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Kategorie: Rezensionen

Ann Fletchall, Chris Lukinbeal und Kevin McHugh: Place, Television and the Real Orange County. Wiesbaden 2012. 144 S.

Das Buch Place, Television and the Real Orange County ist aus der Dissertation von Ann Fletchall entstanden. Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, wie Fernsehen sinnstiftende Erfahrungen von Ort erschafft und erhält. Dazu wird untersucht, wie bestimmte Produktionstechniken fernsehtaugliche Landschaften (landscapes) erzeugen, Erzählinhalte strukturieren und ein aktives Einlassen des Zuschauers mit dem Ort (place) erlauben. Thematisiert wird also die Darstellung von place und dessen Erzeugung im Zuge des place-making-Prozesses in und durch das Fernsehen. Damit, so die Autoren, schließen sie eine bis heute existierende Lücke der (Medien-)Geographie, die sich bisher vor allem auf literarische und cineastische Analysen von place und place-making fokussiert und das Fernsehen weitgehend unberücksichtigt gelassen hat. Gegenstand ihrer Untersuchungen sind die drei Sendungen The OC, Laguna Beach und The Real Housewives.

 

Das erste Kapitel der Arbeit dient einer theoretischen Verortung der Arbeit und des Themas. Das place-making des Fernsehens wird dabei als Prozess verstanden, der sich einerseits aus der Produktionslogik des Fernsehens und andererseits der aktiven Konstruktionsleistung der Zuschauer zusammensetzt. So stellen auf der einen Seite die Abbildungen tatsächlich existierender Landschaften und Orte einen geographischen Realismus dar. Auf der anderen Seite ist der Zuschauer bei der Betrachtung der Landschaften ein aktiver Entdecker, der sich unterbewusst mit den dargestellten Elementen koppelt. Einem Ort ist hierbei keine spezifische Lokalität mehr zuordenbar, sondern wird in Anlehnung an Doreen Massey (1994) als place-making-Prozess verständlich.
Im zweiten Kapitel stehen die historische Entwicklung und das Bewusstsein der Bevölkerung Orange Counties im Vordergrund. Orange County (OC) erlebte seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ein immenses Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Das Selbstverständnis der Bewohner OCs wird kontrastierend zu Los Angeles, das als korrupt, amoralisch und gefährlich gilt, beschrieben. Die Autoren hingegen schildern OC als stark konservativ, wohlhabend, vorstädtisch und evangelisch geprägt. Gegen diese Monotonie des vorherrschenden Lebensstils der weißen Mittelklasse rebellierte die Jugend der 1990er in Hardcore-Punkbands. Zur gleichen Zeit gab es zahlreiche Filme, die OC als gefährlichen, korrupten und überbevölkerten Ort inszenierten. Die neueste mediale Aufmerksamkeit jedoch stellt OC als einen außerordentlich attraktiven und erstrebenswerten Ort dar.

Dieser Aspekt der Inszenierung wird in Kapitel drei weiter ausgeführt. Dazu werden die drei Sendungen in ihrem (produktions-)technischen Aufbau und Inhalt verglichen, um zentrale Elemente der Fernsehproduktionsverfahren zu identifizieren, die aktiv zum place-making beitragen. So finden sich in allen Sendungen Darstellungen der Landschaften, junger, schöner und reicher Menschen, die weitgehend ohne Alltagsverpflichtungen das Leben am Strand, in Bars oder Restaurants, am Pool, beim Shopping, auf dem Golfplatz, beim Reiten oder auf Cocktailpartys verbringen. Die Autoren fassen das durch die drei Sendungen entstandene Bild von OC als überdramatisch, großtuerisch und glamourös zusammen, das aber zum Imagewechsel OCs von extrem langweilig zu supercool führte.
Das folgende vierte Kapitel betrachtet das Zusammenspiel von Landschaft und place-making im Fernsehen, d. h. es erfolgt eine vergleichende Analyse der drei Sendungen mit Blick auf das place-making. Dabei wird Landschaft sowohl als Produkt als auch als Prozess verstanden. Landschaft als Produkt steht für kulturelle Bedeutungen, Werte und Machtbeziehungen. Als Prozess wird Landschaft als fortlaufende Beziehung zwischen Mensch und Ort verstanden, die kontinuierlich geformt und neu erschaffen wird. Landschaft ist damit Gegenstand von Bedeutungszuschreibung und gelebter Praxis, d. h. Hintergrund und Ausführungsort von Dialog und Handlung zugleich. Dies wiederum unterstützt den geografischen Realismus der Landschaft und dieser den emotionalen Realismus der Zuschauer. Weiterhin besitzt Landschaft vier Funktionen: Raum, Ort, Spektakel und Metapher.

Landschaft als Raum bietet der Handlung und dem Dialog einen Platz. Landschaft als Ort unterstützt den geografischen Realismus und gibt ihm eine Bedeutung. Im Sendungsverlauf kommt es wiederholt zu einem Wechsel zwischen räumlichen und örtlichen Funktionen der Landschaft, d. h. einmal steht sie im Hintergrund der Handlung, wird aber z. B. in Übergangsszenen wieder in den Vordergrund gerückt. Der Ort wird damit zur sozialen Sphäre, zum diskursiven bzw. bedeutungsvollen Aktionsraum, in dem die Geschichten handeln und der zentral für das place-making ist. Dabei erfolgt die Darstellung stets vom Allgemeinen zum Speziellen, mittels der sowohl eine eigene Sichtweise auf die Landschaft als Produkt erzeugt als auch eine Zusammenstellung aus sozialen und räumlichen Aspekten der Landschaft als Prozess erreicht werden soll.

Hierbei gilt es die speziellen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen des Fernsehens zu berücksichtigen: Die Sendungen erscheinen z. B. wöchentlich, dadurch werden Darstellungen der Landschaften bzw. Räume und Orte mit jeder Episode wiederholt. Weiterhin ist einerseits die Sendezeit auf 20 bis 40 Minuten begrenzt, andererseits kann die Rezeptionssituation unterschiedlich sein, ebenso wie die Größe und Form der Darstellungsfläche des Fernsehers. Dennoch, so attestieren die Autoren, schaffen es die drei Sendungen vor allem durch die sich wiederholenden Landschaften zu einem Teil unserer täglichen Erfahrungswelt zu werden, wodurch das televisuelle place-making als dynamischer, repetitiver und fortlaufender Prozess erfolgt.

Kapitel fünf nimmt das von Ien Ang (1985) entworfene Konzept des ?emotionalen Realismus“ auf, wendet ihn auf die untersuchten Sendungen an und kontrastiert diese anschließend zu klassischen Seifenopern (z. B. Dallas, Beverly Hills 90210 oder The Osbornes etc.) sowie Reality TV-Sendungen (z. B. American Idol, Bachelor, Survivor etc.). Die Autoren zeigen damit, dass place-making nicht nur auf die Einblendung spektakulärer Landschaften beschränkt ist, sondern auch emotionaler Reaktionen des Zuschauers bedarf. Es zeigt sich bis hierhin also, dass der Prozess des place-making durch das Fernsehen aus einer Mischung aus Produktionsverfahren und Zuschauerengagement besteht.

Kapitel sechs dient der Vorstellung der Resultate einer Zuschauerbefragung zur Erfahrungsweise von OC in Fernsehsendungen sowie zum Prozess des place-making. Als Ergebnis kann u. a. eine Dreiteilung der Zuschauer festgehalten werden: Gruppe A unterscheidet sehr wohl zwischen dem fiktionalem Handlungsort einer Serie und der Wirklichkeit. Antworten der Gruppe B hingegen zeugen von einer teilweisen Übernahme der im Fernsehen dargestellten Welt, anhand generalisierter Meinungen und Stereotype. Die Befragten der Gruppe B distanzieren sich zwar von der Fernsehwelt, sind aber – wenn auch in geringer Weise – zugleich am Prozess des place-making beteiligt. Die dritte Gruppe schließlich weist eine enge emotionale Beziehung mit der dargestellten Welt auf. Diese affektive Verbindung bricht die Dichotomie zwischen Künstlichkeit und Wirklichkeit auf und erlaubt es dem Zuschauer sich auf den Ort des Geschehens einzulassen, und sich direkt am place-making zu beteiligen.

Besonders interessant wird es, wenn, wie in Kapitel sieben dargestellt, die fiktionale und wirkliche Welt im Zuge des TV-Tourismus aufeinandertreffen. Die Zuschauer identifizieren sich derart mit der faszinierenderen, stimulierenderen und einnehmenderen Fernsehwelt, dass sie diese mythische Aura im Rahmen einer ?Pilgerfahrt“ selbst erfahren wollen. Dabei stellen sie jedoch fest, dass der Schauplatz in Wahrheit zwei Orte beinhaltet: Zum einen den affektiv aufgeladenen Ort der Serie, der aber zum anderen nicht dem tatsächlichen und lokalisierbaren Ort entspricht.

Schließlich, so halten die Autoren z. B. fest, haben die drei Sendungen einen immensen Einfluss auf das Image von OC gehabt, was sich v. a. an den touristischen Veränderungen zeigt. Place-making ist also ein Prozess aktiver Partizipation der Zuschauer mit der durch spezielle Fernseh-Produktionsverfahren dargestellten Welt. Mediatisierte Orte sind also keine Repräsentationen einer Welt, sondern ein fortlaufender Prozess der Erzeugung vieler Welten.

Place-making existiert als Gegenstand der Geographie seit Jane Jacobs und William H. Whyte in den 1960er Jahren als Strukturierungs- und Gestaltungselement urbaner Räume. In der weiteren Beschäftigung entstanden humangeografische Werke wie Place and Placeness (1976) von Edward Relph oder Space and Place (1977) von Yi-Fu Tuan. Für Relph ist Place untrennbar von einer emotionalen Verbindung durch das Erleben eines Ortes, erst dadurch wird der Ort erzeugt. Gerade die von Relph entwickelten Konzepte der Insideness und Outsideness von Orten hätten vor dem Hintergrund der empirischen Untersuchungen ein interessantes Spannungsfeld für weitere Interpretationen geboten. Ebenso interpretiert auch schon Tuan den Ort als eine Entität mit Geschichte und Bedeutung.

Die medienwissenschaftliche bzw. mediengeographische Beschäftigung mit place und space setzt daran an. Ort und Raum werden in fotografie-, film- und fernsehanalytischen Arbeiten mit Blick auf die räumliche Wirkung des zweidimensionalen Bildes, den Aufbau des Raumes als Szenerie, mit Blick auf Kameraeinstellungen und -führung usw. thematisiert (vgl. Hickethier 2007, Kühnel 2004, Faulstich 2008 etc.). Seit den 1970er Jahren erfuhr die primär auf Filmanalyse ausgerichtete wissenschaftliche Beschäftigung eine zunehmend interdisziplinäre Ausrichtung. Dabei kamen zu den zunächst literaturwissenschaftlich und soziologisch ausgerichteten Analysen historische, psychologische, statistische, ästhetische und morphologische Analysen sowie Untersuchungen der Bedeutungs- und Inhaltsebenen hinzu, die Ort und Raum aber primär in den bereits geschilderten Kontexten betrachteten. Gerade aus der Forschung der Medienpsychologie und -wirkungsforschung fehlen Bezüge zu Aspekten wie kognitiver Verarbeitung, Involvement, Empathie, Publikumsbindung usw. Aspekte dieser Art hätten der Studie eine erweiterte Vertiefungsmöglichkeit geboten.

Die Autoren von Place, Television, and the Real Orange County setzen die Interdisziplinarisierung durch eine mediengeographische Betrachtung fort und erweitern zugleich den Gegenstandsbereich auf Fernsehinhalte, wodurch sie der Disziplin ein weiteres spannungsreiches und fruchtbares Feld eröffnen. Das Buch selbst versucht zwar durch Verweise auf Literatur- und Filmanalysen den Prozess place-making im Fernsehen vergleichend einzuordnen, bleibt dabei aber auf einer noch sehr oberflächlichen Ebene. Interessant hingegen ist die Fundierung der theoretischen und analytischen Vorannahmen und Erkenntnisse im Zuge der Befragungen und Gespräche zur Auswirkung des place-making bei Rezipienten, Anwohnern und Behörden, denn daran zeigt sich die Auswirkung des place-making durch die Sendungen. Neben einem Imagewandel der Region führt das place-making zu veränderten Einstellungen bei den Zuschauern sowie zu einem verstärkten Tourismus usw. Sind diese Erkenntnisse also prinzipiell für Vermarktungs- und/oder Aufwertungschancen anderer Regionen interessant, so bleibt eine Betrachtung dieser Potentiale aber auch möglicherweise entstehender Risiken für ländliche, städtische sowie ökologische Räume im Zuge eines verstärkten Tourismus aus. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Place, Television, and the Real Orange County ein interessanter Aufschlag zu einer Reihe neuer mediengeographischer Analysen mit interessanten Ergebnissen und Schlüssen sein kann. Es bleibt abzuwarten ob und wie das Thema in der wissenschaftlichen Beschäftigung aufgenommen und weiterführend bearbeitet wird.

Christoph Groneberg

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Geographische Zeitschrift, 102. Jg. 2014, Heft 1, S.60-62