Drucken
Kategorie: Rezensionen

Klaus Brake, Günter Herfert (Hg.) 2012: Reurbanisierung – Materialität und Diskurs in Deutschland. Wiesbaden. 422 S.

Seit einigen Jahren spielen in der urbanistischen Debatte Stichworte und Begriffe wie «Wiederkehr der Städte», «Renaissance der Städte» oder eben «Reurbanisierung» eine prominente Rolle. Das von Klaus Brake und Günther Herfert herausgegebene Buch «Reurbanisierung» macht sich zum Ziel, in dieser breiten und ausufernden Debatte Orientierung zu bieten und Antworten auf einige ihrer zentralen Fragen zu geben: Wie wird Reurbanisierung verursacht und welche Gestaltungspotenziale und Begleiterscheinungen hat sie? Was gibt sie her, welche Zukünfte eröffnen sich mit ihr für Städte? Handelt es sich nur um eine kurzatmige Mode oder aber um eine zumindest mittelfristig wirksame Tendenz?

Der Band will dazu «im Sinne einer materiellen und theoretischen Fundierung» beitragen und die Auseinandersetzung auf eine solide Basis stellen (Brake, Herfert, S. 14). Dabei stehen Entwicklungen in Deutschland im Vordergrund, die auf ihre strukturellen Kontexte hin betrachtet und verglichen werden («quer zu West/Ost oder wachsend/ schrumpfend») sowie ergänzt um einen Vergleich mit ausländischen Beispielen (Barcelona, London, Chicago) (Brake, Herfert, S. 15). Der Band umfasst neben dem Editorial und dem Resümee der Herausgeber 19 inhaltliche Beiträge, die in vier Abschnitten geordnet sind: Im ersten Abschnitt finden sich Beiträge, die die Begrifflichkeit entfalten, das Diskursfeld strukturieren und es im Kontext übergreifender Diskussionen verorten. Die Aufsätze im zweiten Abschnitt fragen nach den «Motoren» der Reurbanisierung aus bzw. in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (Haushalte und Bevölkerung, Wirtschaft und Arbeit, Handel und Kultur, Freizeit und Tourismus). Die Beiträge im dritten Abschnitt beschäftigen sich mit Auswirkungen von Reurbanisierung – etwa von übergreifenden städtebaulichen Programmen und Instrumenten, von atomisierten Investitionsentscheidungen – und Paradoxien sowie unintendierten Begleiterscheinungen. Im vierten Abschnitt werden dann exemplarisch fünf deutsche Fallbeispiele behandelt (Berlin, Dortmund, Hamburg, Leipzig und München) und ergänzend dazu ein Blick auf europäische bzw. transatlantische Erfahrungen geworfen (Barcelona, London und Chicago). Die Herausgeber haben sich bemüht, Reurbanisierung aus unterschiedlichen disziplinären bzw. thematischen Perspektiven zu beleuchten und dazu einschlägige und renommierte Autorinnen und Autoren – Geografen, Soziologen, Planer und (Immobilien)Ökonomen – gewonnen. Ein Symposium und ein vorbereitender Workshop dienten dazu, die Autoren unter dem konzeptionellen Dach zu versammeln und die inhaltliche Konsistenz des Bandes zu stärken, der mehr sein will als ein Sammel-Band. Eingangs wird zunächst ein eigenes Vorverständnis präsentiert: «Mit Reurbanisierung soll ein Entwicklungsprozess gemeint sein, der mit dauerhafter Wirkung zu einer neuerlichen Bedeutungszunahme von Städten durch eine belebende Nutzung ihrer zentralen Gebiete beiträgt» (Brake, Herfert S. 14f.). Wie nötig ein solches Vorverständnis ist, zeigt sich schon im ersten Beitrag von Brake und Urbanczyk, der sich der Vielfältigkeit des Begriffs bzw. Slogans «Reurbanisierung» widmet (S. 34ff.). Der fachliche Diskurs und die mediale Berichterstattung zeichnen sich demzufolge durch eine äusserst diffuse Begrifflichkeit aus, sie sind uneinheitlich, z.T. kontraproduktiv und arbeiten mit ganz verschiedenen Konnotationen, die sich zudem oft auch überschneiden, ausschliessen oder widersprechen können, (Brake, Urbanczyk, S. 34). Brake und Urbanczyk unterscheiden allein elf verschiedene Dimensionen von Reurbanisierung (S. 36ff.): die administrative, qualitative, räumliche, zeitliche, analytische, normative, physische, ökonomische, soziodemographische, sozialstrukturelle und quantitative. Eine Tabelle zeigt zudem die unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs, der schon seit 1959 in der deutschen Literatur verwendet wird. Das Fazit ihrer instruktiven Übersicht ist freilich ernüchternd: Die Strukturierung des Begriffsfeldes «Reurbanisierung» hat die verwirrende Vielfalt unterschiedlicher Bezeichnungen und eine erhebliche inhaltliche Dehnung des Begriffs deutlich gemacht (ebd.). Markus Hesse sieht Reurbanisierung nicht zuletzt als eine Frage veränderter Wahrnehmung (Hesse, S. 71), in seinem Beitrag «Sprachspiel Reurbanisierung» definiert er Reurbanisierung als Metadiskurs und zerlegt ihn in mehrere Spezialdiskurse. Dazu gehören der architektonisch-städtebauliche Diskurs über eine «Renaissance der Innenstädte» in Publikationen zu Architektur, Stadtgeschichte und Stadtplanung, der sozialwissenschaftliche Diskurs über die beobachtete «Renaissance des innerstädtischen Wohnens» in den Forschungen der Stadt- und Raumforschung sowie der öffentliche Diskurs zur «Renaissance der Städte» bzw. «Reurbanisierung» in der Tagespresse (Hesse, S. 69f.).

Soweit zum Diskurs, in Bezug auf die Materialität des Prozesses fragen Herfert und Osterhage nach einer «Trendwende zur Reurbanisierung» und arbeiten auf der Basis einer quantitativen Bevölkerungsanalyse drei Typen heraus: «Typ 1: Relative Zentralisierung in leicht wachsenden Stadtregionen bei anhaltender bzw. sogar ansteigender Bevölkerungszunahme in der Kernstadt und geringer, sich abschwächender Bevölkerungszunahme im Umland. Typ 2: Absolute Zentralisierung in Stadtregionen bei anhaltender Bevölkerungszunahme in der Kernstadt und leichter Bevölkerungsabnahme im Umland. In diesen Regionen vollzieht sich ein sanfter Übergang vom Wachstum zur Schrumpfung. Typ 3: Relative Zentralisierung in schrumpfenden Stadtregionen bei leichtem Bevölkerungsrückgang in der Kernstadt und stärkerem Bevölkerungsrückgang im Umland» (Herfert, Osterhage, S. 89; vgl. auch die Zusammenfassung von Brake, Herfert, S. 412). Der Trendwechsel in der Stadtregionsentwicklung – so ihr Fazit – sei augenscheinlich, auch wenn der aktuelle Trend in Richtung Reurbanisierung in vielen Stadtregionen bislang eher schwach ausgeprägt und teilweise noch instabil sei (Herfert, Osterhage, S. 95). Herfert und Osterhage sehen Reurbanisierung daher nicht als ein punktuelles Phänomen, sondern «als ein starkes Anzeichen für einen neuen Leittrend» (Herfert, Osterhage, S. 95). In einem weiteren empirischen Übersichtsbeitrag kommen die Autoren Johann Jessen, Stefan Siedentop und Zakrzewski allerdings zu einer eher verhaltenen Einschätzung, sie sehen «kleine quantitative Veränderungen, welche die Richtung verschoben haben. Ob sie von Dauer sind, muss hier zunächst offen bleiben» (Jessen, Siedentop, Zakrzewski, S. 210). In diesen Befunden kann der «materiale» Ertrag des Bandes gesehen werden, ganz unterschiedlich fallen freilich die diskursiven Begründungen für Reurbanisierung aus. So erklärt etwa Klaus Kunzmann die «Rückbesinnung auf die Stadt» mit dem «urbanen Pentagon»: Konsum, Stadttourismus, Kultur, Kreativwirtschaft und Wissen(schaft) (Kunzmann, S. 151). Gerhard ordnet Reurbanisierung demgegenüber in ein komplexes, neoliberales Streben ein, Städte auf globaler Ebene attraktiv zu machen (Gerhard, S. 57). Tobias Just fasst Reurbanisierung als «Ausdruck vieler atomistischer Investitionsentscheidungen – sowohl kleiner privater als auch grosser institutioneller Investoren – mit dem Ergebnis, dass die Peripherie relativ zur Kernstadt geschwächt würde» (Just, S. 167). Für ihn erfolgt «Reurbanisierung […] – wenn überhaupt – durch dass Nichtfortziehen der künftig jungen Familien» (Just, S. 170). Sigrun Kabisch et.al. identifizieren soziale Träger der (Wohn)Reurbanisierung, demzufolge kommen als Reurbaniten sehr verschiedene Haushaltstypen infrage, sowohl nicht-familiale Haushalte als auch Kernfamilien, die sowohl zuziehen als auch (bewusst) im Quartier verbleiben (Kabisch, Steinführer, Haase, S. 122f.). Uwe Altrock vertritt in seinem Beitrag die These, dass durch «die Stadtentwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte massgebliche Beiträge zu einer qualitativen Reurbanisierung geleistet worden sind, die sich nur sehr selektiv quantitativ niederschlagen» (Altrock, S. 180). Zur Untermauerung seiner These führt er ein «Fülle von Programmen, Wettbewerben und Initiativen (an), die auf die Attraktivitätssicherung der Innenstädte ausgerichtet waren und sind (Altrock, S. 186ff.). Gornig und Mundelius gehen in ihrem Beitrag dem Verhältnis von Reurbanisierung und wissensbasierter Ökonomie nach und kommen zu dem Befund, dass Tendenzen einer räumlichen Konzentration wirtschaftlicher Aktivitäten in Deutschland unverkennbar seien. «Reurbanisierung – im Sinne einer Stärkung der Kernstädte – ist der dominante räumliche Trend in der aktuellen Entwicklung wissensintensiver Dienstleistungen» (Gornig, Mundelius, S. 147; vgl. auch Brake sowie Herfert, Osterhage). Einige Argumente sprächen für eine Fortsetzung der räumlichen Konzentration der Wirtschaft und damit für eine Dauerhaftigkeit des Trends (Gornig, Mundelius, S. 147). Es gibt freilich auch generelle Skepsis gegenüber dem Befund «Reurbanisierung», so zeigen für Hesse empirische Längsschnittstudien zur Stadtentwicklung in Europa ein in der Summe ausserordentlich heterogenes Bild, gegenüber dem Etikette wie «wachsend», «stagnierend» und «schrumpfend» eine «eher grobkörnige Sicht auf komplexe Pfade erscheinen» (Hesse, S. 72).

Soweit zum Diskurs, viel «Materialität» enthalten dann wieder die fünf Fallstudien zu deutschen Grossstädten. In ihnen wird allerdings nicht das eingangs entwickelte «Vorverständnis» von Reurbanisierung operationalisiert, eher testen und diskutieren sie vorsichtig die generelle Anwendbarkeit von Reurbanisierung. Klaus Brake spricht in Bezug auf Berlin von einer eher «relativen Reurbanisierung» mit selektiven Effekten – sprich Gentrifzierung (Brake, S. 282). Ähnlich betont auch Markus Menzl in seinem Beitrag über Hamburg «nichtintendierte Effekte» wie steigende Preise auf dem Wohnungsmarkt sowie Aufwertungs- und Verdrängungeseffekte bis hin zu sozialräumlicher Polarisierung (Menzl, S. 305). «Was in München als Reurbanisierung bezeichnet werden könnte», ist für Detlev Sträter eine «Gemengelage von wirtschaftlicher, und kultureller Aufwertung und sozialer Umstrukturierung der inneren Stadt» (Sträter, S. 362). Auch hier wird explizit auf Verdrängung und damit verbundene Konflikte verwiesen. In Leipzig können Stefan Heinig und Günther Herfert eine klare Tendenz der Reurbanisierung erkennen, nach einer Phase der Schrumpfung konzentriere sich das Bevölkerungswachstum auf die innere Stadt (Heinig, Herfert, S. 323ff.). Auch für Dortmund arbeiten Frank Osterhage und Stefan Thabe eine «Trendverschiebung in Richtung Reurbanisierung» heraus, die jedoch «kein Selbstläufer» sei (Osterhage, Thabe, S. 302). Die Restrukturierungen des innerstädtischen Raums in den untersuchten internationalen Städten (Barcelona, London und Chicago) folgen globalen Logiken, orientieren sich an den «Interessen von Mittelschichten und Dienstleistungs-, Finanz-, Kreativ- sowie Freizeitindustrie und kommodifizieren ein mit den Interessen dieser Nutzergruppen kompatibles Lebensgefühl des «Urbanen» als Standortfaktor» (Calbet i Elias et. al., S. 400).

Der Band startet mit einer klaren Zielsetzung, formuliert übergreifende Fragen, ein eigens als Arbeitsdefinition entwickeltes Vorverständnis, das den konzeptionellen Rahmen des Bandes bilden soll. Die Beiträge sind gut gegliedert, in sich jeweils gehaltvoll und innerhalb des grossen inhaltlichen Rahmens Reurbanisierung angesiedelt – wenngleich nicht strikt auf das eingangs entwickelte Vorverständnis ausgerichtet. Die Lektüre offenbart freilich auch Schwächen, so werden manche Themen öfter behandelt – wie etwa die Rolle der Wissensökonomie in zwei thematischen Beiträgen und zwei konzeptionellen Texten – sicher im Rahmen eines solchen Unterfangens schwer vermeidbare Redundanzen. Andere Themen bzw. Bereiche – wie die Rolle von Handel, Kultur, Freizeit sowie (Städte) Tourismus – werden demgegenüber nicht eigenständig thematisiert. Auch Inkonsistenzen sind zu finden, so wird die «Rezentralisierung der Bevölkerung» mal unter den «Motoren», mal unter den «Auswirkungen» thematisiert. Die Fallbeispiele machen deutlich, dass zwar meist von Reurbanisierung gesprochen werden kann, dies aber unterschiedliches heisst, von den Städten selbst nicht unter diesem Label verfolgt wird und sich z.T. schwer von konkurrierenden Konzepten bzw. Begriffen (wie insbesondere Gentrifizierung) abgrenzen kann. Eine der eingangs gestellten zentralen Fragen, ob es sich nur um eine kurze Mode oder einen langfristigen Trend, zieht sich zwar durch alle Beiträge des Bandes, wird aber ganz unterschiedlich beantwortet. Just meint etwa, wir befänden uns hier erst am Anfang einer Entwicklung, die wohl eher eine «Akzentverschiebung» sei (Just, S. 172). Hesse vermutet, dass es sich als «ein temporäres Phänomen herausstellen» könnte (Hesse, S. 81), demgegenüber sehen Herfert und Osterhage starke Anzeichen für einen «Leittrend» (Herfert, Osterhage, S. 86f.), Brake gar einen «Paradigmenwechsel» (Brake, S. 49). Brake und Herfert lösen in ihrem Fazit diese Differenzen nicht auf, sondern kommen zu dem Kompromiss einer «mittelfristig wirksamen Tendenz» (Brake, Herfert, S. 417). Theoretisch interessant ist die bereits in der Einleitung konstatierte begriffliche Nähe von Reurbanisierung zu stadtregionalen Entwicklungsphase-Modellen, etwa von van den Berg (1982) oder Alonso (1964) (Brake, Herfert, S. 16). Auch hierauf gibt es in mehreren Beiträgen explizite Bezugnahmen, die durchgängig negativ ausfallen (Herfert, Osterhage, S. 87; Gerhard, S. 52). Es handelt sich demzufolge nicht um die wiederholte Abfolge bestimmter Phasen, sondern um eine Neukonstituierung oder Restrukturierung (Brake, Urbanczyk, S. 47). Schwieriger erscheint die Abgrenzung von anderen urbanistischen Konzepten, wie insbesondere dem auch international gebräuchlichen Konzept der Gentrification, aber auch von «urban renaissance» u.ä. Der Band markiert damit den aktuellen Stand der empirischen Forschung und des theoretischen Diskurses, er macht insbesondere deren Breite und Kompliziertheit deutlich. Hier wird er am ehesten dem selbst gesetzten Ziel einer nötigen Orientierung in der laufenden Debatte gerecht. Dadurch könnte er sich – wie schon sein Vorgängerband «Suburbanisierung» – zu einem Standardwerk entwickeln.
Anmerkungen
1 Brake, K.; Dangschat, J.S.; Herfert, G. (Hg.) 2001: Suburbanisierung in Deutschland. Aktuelle Tendenzen. Opladen.

Dieter Rink, Leipzig

Quelle: disP 192, 1/2013, S. 76-78

 

Lesen Sie auch die Besprechung von Manfred Kühn.

 

zurück zu Rezensionen

zurück zu raumnachrichten.de