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Kategorie: Rezensionen

Klaus Brake, Günter Herfert (Hg.) 2012: Reurbanisierung – Materialität und Diskurs in Deutschland. Wiesbaden. 422 S.

Reurbanisierung ist seit nunmehr mehr als einem halben Jahrzehnt eines der am intensivsten in den Raumwissenschaften diskutierten Phänomene. Die Vielzahl an Publikationen zu diesem Thema ist fast nicht mehr zu überblicken. Der von Klaus Brake und Günter Herfert, jenen Autoren, die gut zehn Jahre zuvor bereits einen state of the art Band zum (vermeintlichen) Vorläufer- bzw. Gegentrend stadtregionaler Entwicklung – der Suburbanisierung – veröffentlicht haben (Brake, K.; Dangschat, J. S.; Herfert, G. (Hg.) 2001: Suburbanisierung in Deutschland. Aktuelle Tendenzen. Opladen.), herausgegebene Sammelband fasst den Stand der Diskussion fundiert zusammen. Ziel der Herausgeber ist es, zur «materiellen und theoretischen Fundierung eines Phänomens zwischen Beschwörung und Selbstverständlichkeit beizutragen.» (S.14)

 

Reurbanisierung ist ein als vielschichtiger Begriff. Im einleitenden Kapitel benennen die Herausgeber eine plausible Definition im Sinne eines Arbeitsbegriffes oder Vorverständnisses: «Mit Reurbanisierung soll ein Entwicklungsprozess gemeint sein, der mit dauerhafter Wirkung zu einer neuerlichen Bedeutungszunahme von Städten durch eine belebende Nutzung ihrer zentralen Gebiete beiträgt.» (S.15). Demnach haben die Herausgeber ein qualitatives Verständnis des Begriffes, welches sich nicht an den administrativen Grenzen der Kernstädte orientiert.

Der Hauptteil des Bandes mit insgesamt 19 Beiträgen namhafter Stadtforscher ist in vier Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt (Zugänge) dient der Strukturierung des Themas und geht sowohl auf die materielle wie die diskursive Dimension der Debatte ein. Zwei Beiträge in diesem Abschnitt (Brake sowie Gerhard) stellen die Verknüpfungen zwischen der Reurbanisierung und dem wirtschaftlichen Strukturwandel bzw. der eng damit verknüpften Globalisierung der Wirtschaft heraus. Dies verdeutlicht bereits, welchen Fokus auf die Erklärung des Phänomens Reurbanisierung der Band legt. Etwas irritierend ist die Abfolge der Beiträge in diesem Abschnitt: Der zentrale Überblicksbeitrag zum Begriff der Reurbanisierung (Brake, Urbanczyk) steht erst an zweiter Stelle. Dieser Beitrag stellt auch eine der wenigen Schwächen des Bandes dar: In diesem wird der Begriff bzw. das Phänomen der Reurbanisierung anhand einer Vielzahl an Dimensionen beschrieben. Verwirrend für den Leser ist allerdings, dass sich diese Strukturierung nicht mit der zusammenfassenden Tabelle zu den «Bedeutungsdimensionen des Begriffs Reurbanisierung» (S. 45) deckt. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum der Beitrag tief in die historischen Ursprünge des Begriffes Reurbanisierung eindringt, wesentliche Beiträge aus den letzten Jahren hingegen nicht aufgreift.

Abschnitt 2 (Motoren) zeigt in vier Beiträgen mit methodisch sehr unterschiedlichen Zugängen (von quantitativ-analytisch bis essayistisch) eine neue Stadtaffinität von Haushalten, Beschäftigen und Konsum als wesentliche treibende Kräfte der Reurbanisierung auf. Während im ersten Abschnitt die besondere Rolle wissensintensiver Ökonomien für Reurbanisierungsprozesse sehr prominent herausgestellt wird, kommt dieser Aspekt im zweiten Abschnitt leider zu kurz. Der Beitrag unter dem Titel «Reurbanisierung und wissensbasierte Ökonomie» fokussiert ausschliesslich auf den Teilbereich der Kulturwirtschaft. Hier vermisst der Leser einen weiteren Beitrag mit einem umfassenderen empirischanalytischen Blick auf die Stadtaffinität des wissensbasierten Produktions- und Dienstleistungssektors.

Der dritte Abschnitt (Auswirkungen) untersucht die Auswirkungen der Neubewertung des Städtischen durch unterschiedliche Akteursgruppen (Immobilienwirtschaft, politische Akteure, Haushalte und Beschäftigte) auf städtische Räume. Thematisiert werden z.B. städtische Aufwertungsprozesse, die aus dem Handeln ökonomischer Akteure resultieren, aber auch die negativen Begleiterscheinung der Reurbanisierung wie Verdrängungseffekte. Im letzten Abschnitt (Fallbeispiele) werden sehr ausführlich die spezifischen Ausprägungen und Wirkungen von Reurbanisierungsprozessen in Berlin, Dortmund, Hamburg, Leipzig und München betrachtet. Diese Auswahl hätte um Beispiele aus der Vielzahl mittelgrosser und kleiner Grossstädte ergänzt werden sollen, welche weniger offensichtlich als die grossen Metropolen in globale Produktionsund Dienstleistungsnetzwerke eingebunden sind. Ergänzend werden drei kurze internationale Fallstudien (Barcelona, London und Chicago) dargestellt und deren Gemeinsamkeiten herausgearbeitet. Insbesondere diese Fallstudien verdeutlichen die mit der Reurbanisierung einhergehende Gefahr einer räumlichen Fragmentierung der Städte und werfen daher die Frage nach deren Sozialverträglichkeit auf. Der Band schliesst mit einem Resümee der Herausgeber. Anhand von sieben Fragen werden Schlussfolgerungen und offene Fragen aus dem Band diskutiert. Leider wird in diesem Kapitel das in der Einleitung benannte Vorverständnis der Herausgeber von Reurbanisierung lediglich wiederholt, nicht aber – wie vom Leser mit Spannung erwartet – explizit vor dem Hintergrund der Erkenntnisse des Bandes reflektiert.

In der Summe der einzelnen Beiträge schärft der Band den Blick auf die wesentlichen Motoren einer Reurbanisierung: Die zunehmende Wissensorientierung der wirtschaftlicher Aktivitäten und der eng damit verknüpfte gesellschaftlichen Wandel. Die neue Stadtaffinität von Wohnen und Arbeiten ist damit «systematisch» durch neue Spielregeln des Lebens und Wirtschaftens in Städten bedingt. Der Band stellt darüber hinaus prägnant den Quartiersbezug des Phänomens Reurbanisierung heraus. Einzelne Quartiere und nicht das administrative Gebiet der Städte oder die innere Stadt per se sind die räumliche Kulisse, in denen sich selektiv Inwertsetzungs- und Aneignungsprozesse abspielen.

Als wesentliche Träger der Reurbanisierung werden junge Erwachsene, etwa im Alter von 18 bis 30 Jahren, identifiziert. Hier lässt der Band zwei Aspekte vermissen: Zum einen hätte analytisch he-disP 192 · 49.1 (1/2013) rausgestellt werden sollen, inwiefern die derzeitig zu beobachtende Reurbanisierung lediglich strukturell durch den momentan «günstigen» Besatz dieser immer schon stadtaffinen Altersgruppe im Vergleich zu den traditionell umlandaffinen Altersgruppen (insbesondere der 30 bis 45jährigen) bzw. durch ein tatsächlich verändertes Wanderungsverhalten der entsprechenden Alterskohorten bedingt ist. Zum anderen lässt das Resümee zur Dauerhaftigkeit der Reurbanisierung eine Diskussion darüber vermissen, welche (qualitativen) Auswirkungen es haben wird, wenn die absolute Zahl sowie der relative Anteil dieser wesentlichen Trägergruppe der Reurbanisierung an der städtischen Bevölkerung zukünftig im Zuge der demographischen Alterung merklich abnehmen wird.

Der Band ist sicherlich der bisher umfassendste Beitrag zum hochaktuellen Thema der Reurbanisierung, welcher – mit kleinen Schwächen – den derzeitigen Erkenntnisstand zu diesem Phänomen im Sinne eines Meilensteins im Forschungsprozess fundiert beleuchtet. Ob die Herausgeber mit diesem Band an die Erfolge ihres «Suburbanisierungs-Bandes» anknüpfen können, welcher sich über Jahre hinweg als das Standardwerk zum Thema etabliert hat, bleibt aber abzuwarten. Denn das postfordistische Phänomen der Reurbanisierung ist sehr viel heterogener und damit schwerer zu erfassen als das fordistische Phänomen der Suburbanisierung. Auch wenn der Band mit dem Zusammenhang zwischen der Reurbanisierung und den weiterhin andauernden Prozessen der wirtschaftlichen Globalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung prägnant und sehr plausibel einen wesentlichen Kern zur Erklärung aktueller wie zukünftiger räumlicher Entwicklungen in Stadtregionen herausgestellt, wird das Phänomen der Reurbanisierung die Raumforschung daher auch weiterhin beschäftigen.
Angelika Münter, Dortmund

Quelle: disP 192, 1/2013, S. 78-79

Lesen Sie auch die Besprechung von Dieter Rink und Manfred Kühn.

 

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