Schichten einer Region

Christa Reicher, Klaus R. Kunzmann, Jan Polívka, Frank Roost, Yasemin Utku und Michael Wegener (Hg.): Schichten einer Region. Kartenstücke zur räumlichen Struktur des Ruhrgebiets. Berlin 2011. 248 S.

Nachdem vor inzwischen drei Jahren der beeindruckende Atlas zur Metropole Ruhr im Emons Verlag erschienen ist, gibt es jetzt im Jovis Verlag ein weiteres phantastisches Werk zum Ruhrgebiet, das die Siedlungsstruktur und den Strukturwandel der Region in Form von zahlreichen Karten thematisiert. Christa Reicher, Klaus R. Kunzmann, Jan Polívka, Frank Roost und Michael Wegener, die an der Fakultät Raumplanung an der Technischen Universität Dortmund bzw. am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund arbeiten, sind Herausgeber dieses prächtigen Gemeinschaftsprodukts. Mit sechs weiteren Autoren bzw. acht Ko-Autoren, darunter auch die Geographen Ludger Basten und Achim Prossek, haben sie die Texte zu diesem Buch verfasst.

 

Der besondere Reiz des Buches liegt zunächst einmal in den eindrucksvollen Karten, die in geradezu kunstvoller Weise die Besonderheiten dieser polyzentrischen Städteregion herausarbeiten. Die klassische, traditionelle thematische Kartographie, die meist recht strengen Spielregeln folgt und selten größere Experimente eingeht, erscheint in diesem Buch in einem neuen Design, das räumliche Sachverhalte phantasievoll darstellt und bei manch klassisch ausgebildeten Geographen anfangs sicherlich einige Vorbehalte hervorrufen wird. Doch gelingt es nach meiner Einschätzung den Verfassern der zahlreichen Karten vorzüglich, geradezu spielerisch die spezifischen und charakteristischen Raumstrukturen des Ruhrgebiets herauszuarbeiten und damit die Texte der beteiligten Autoren eindrucksvoll zu illustrieren. Die „Kartenstücke zur räumlichen Struktur des Ruhrgebiets“ werden so zu einem anschaulichen und durchaus auch unterhaltsamen Gesamtkunstwerk, indem die einzelnen Autorenbeiträge in ungewöhnlicher Weise von den Karten eingerahmt und zusammengehalten werden.

Die besonderen Qualitäten der Karten resultieren u.a. aus der Weiterentwicklung von Schwarzplänen, die bei Stadtplanern eine gängige Darstellungsform sind, aus interessanten Vergleichen und Gegenüberstellungen des Ruhrgebiets mit anderen Regionen dieser Welt sowie aus der immer wieder gelungenen Reduktion von komplexen Gegebenheiten auf wesentliche Elemente in Einzelkarten, die dann aber geschickt nebeneinander gestellt werden und auf diese Weise das Zusammenspiel verschiedener Sachverhalte verdeutlichen. So werden – wie es auch der Titel des Gemeinschaftswerkes vermittelt – die verschiedenen Schichten der Region in anschaulicher Weise herausgearbeitet. Besonders eindrucksvoll gelingt dies beispielsweise in der Darstellung der 50 Handlungsräume unterschiedlicher Akteure im Ruhrgebiet. Aber auch der Wechsel zwischen den gut gewählten Maßstäben sowie die Gegenüberstellung von gesamtregionalen und exemplarischen Darstellungen etwa aus dem Bereich Gelsenkirchen/Herne tragen zu dem positiven Gesamtbild bei und eröffnen auch dem Leser, der bereits mit dem Ruhrgebiet vertraut ist, neue Perspektiven. An die Grenzen stößt die designmäßige Verarbeitung der verschiedenen Themen aber bei einigen klassisch thematischen Karten, in denen die Ästhetik der Karten manchmal vor ihre Lesbarkeit tritt – etwa im Bereich der Hochschul- und Technologiestandorte. Gefallen können hingegen die plakativen Zeichnungen zu den Raumvorstellungen des Ruhrgebiets aus Sicht unterschiedlicher Perspektiven, beispielsweise aus japanischer, holländischer oder bayerischer Sicht. Dieser originelle Zugang gilt auch für ganz neue Formen von Landkarten, die die Herkünfte der Bewohner im Ruhrgebiet bzw. in der Stadt Duisburg darstellen, oder für eine weitere Karte, die die Verteilung von Luxusanbietern an Rhein und Ruhr zeigt und verdeutlicht, dass das Ruhrgebiet kein Ort der „Schönen und Reichen“ in Nordrhein-Westfalen ist.

Bei dem neuen Atlas werden sich die meisten Leser vermutlich erst im zweiten Durchgang mit den Texten auseinandersetzen. Auch hier werden sie in den acht Kapiteln nicht enttäuscht. Im Kern steht immer wieder die Besonderheit der polyzentrischen Städtestruktur des Ruhrgebietes. So werden etwa die netzartige Siedlungs- und Freiraumstruktur mit ihrer dispersen räumlichen Verteilung von Arbeitsorten dargestellt, die aus der Geschichte des Ruhrgebietes heraus zu verstehen ist. Aspekte der Erreichbarkeit und der Mobilität werden in ihrer Spezifik eines polyzentrischen Verdichtungsraumes ebenso herausgearbeitet wie die Zusammensetzung und Verteilung der Bevölkerung nach verschiedenen soziodemographischen Merkmalen oder die wirtschaftliche Situation in Folge des langjährigen Strukturwandels. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Metaphern der „Landschaftsmaschine“, der „Geländemaschine“ oder auch der „Wassermaschine“, die die Veränderungen im landschaftlichen Erscheinungsbild verdeutlichen sollen. Auch der Begriff der „Ruhrbanität“, der im Abschlusskapitel kreiert wird und der Wege in die räumliche Zukunft des Ruhrgebietes zeigen will, wirkt etwas gekünstelt. Dies kann das positive Gesamtbild aber kaum trüben.

Insgesamt vermittelt das Buch einen positiven und optimistischen Eindruck der Entwicklung der letzten Jahre. So wird in dem Buch mit den Karten gezeigt, wie sich das Ruhrgebiet „von einer grauen Industrielandschaft in eine grüne polyzentrische Stadtregion verwandelt“ hat. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass es nach dem Ruhrgebietsatlas aus der Reihe der Stadtatlanten jetzt ein zweites Atlaswerk zum Ruhrgebiet gibt, das nicht nur für Leser, die an der Region interessiert sind, ausgesprochen empfehlenswert ist, sondern auch allen denjenigen, die Interesse und Freude an thematischen Karten haben, ans Herz gelegt sei.
Claus-C. Wiegandt

Quelle: Erdkunde, 66. Jahrgang, 2012, Heft 2, S. 269-270

 

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