Nicko Paech: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München 2012. 144 S.

In Zeiten der Krise ist die Forderung nach ›mehr Wirtschaftswachstum‹ genauso präsent wie Meldungen zu Entwicklungen und Strategien, die ihm entgegenwirken. Desungeachtet hat sich in der jüngsten Krise eine boomende ›Wachstumskritik‹ entwickelt, die mit diesem Buch neue Nahrung erhält.

 

Verf. beginnt mit einer Kritik des Lebensstils in modernen Konsumgesellschaften. ›Die Menschen‹ lebten dreifach über ihre Verhältnisse. Erstens übersteigen der Bedarf und die Dinge, die sie sich leisten, ihre »gegenwärtigen Möglichkeiten, ihre körperlichen Fähigkeiten und die lokal oder regional vorhandenen Güter« (10). Im »gnadenlos auf Expansion und Mobilität gebürsteten europäischen Wirtschaftsraum« (14) erzwingen höchstspezialisierte Produktionsketten unzählige Schiffs- und LKW-Transporte; das »moderne Subjekt« praktiziere ein »kerosintriefendes Bildungs-, Projekt- und Party-Nomadentum« (15). Das Leben sei in allen Bereichen auf Vernetzung und Streckenüberwindung angewiesen. Zweitens herrsche ein »Verschuldungssyndrom« (17): die Nutzung gehe der Leistung voraus. Es entstehe die »Geiselhaft einer unerbitterlichen Wachstumsmaschinerie« (20). Und drittens diagnostiziert Verf. ein »Fortschrittsmärchen« (25), das auf Effizienzsteigerung aufbaue. Er kritisiert Mythen von den Vorteilen der Spezialisierung mit der damit einhergehenden »Durchdringung und Verdichtung von Raum und Zeit« (29), den Glauben an materiell entkoppeltes Wachstum und die Überwindung von Ressourcenknappheit durch Innovation und Produktivitätsfortschritt. Gegen Vorstellungen eines ›qualitativen Wachstums‹ argumentiert Verf., dass gesteigerte Effizienz immer auch ein Mehr an materiellem Verbrauch hervorrufe und zu höherem Energieverbrauch führe. Die Formel eines »grünen Wachstums « sei daher ein Trugbild, eine »magische Diät für Übergewichtige« (72).

Im »spektakulären Scheitern der Entkopplungsstrategie« (97) verortet Verf. die Bedingung für die Akzeptanz wachstumskritischer Positionen: Wirtschaftswachstum sei nicht ohne Belastung der Ökosphäre, ohne »Plünderung« der Natur zu bekommen. Die Zuschreibung von Nachhaltigkeitsmerkmalen an Produkte, Technologien, Dienstleistungen etc. ist von ihrer tatsächlichen Nutzung zu unterscheiden. So könne ein 20-Liter-Auto klimafreundlicher sein, wenn es im Gegensatz zu einem 3-Liter-Auto nur in der Garage steht. Objektbezogene Vorstellungen dienen der Immunisierung »aktueller Versorgungsmuster gegen notwendigen Wandel« (99). Da Nachhaltigkeitswirkungen nicht von Objekten ausgehen können, bilde eine subjektorientierte Nachhaltigkeitsbemühung den Ausgangspunkt einer Postwachstumsökonomie, die sich gegen die »Schizophrenie einer Gesellschaft« stellt, »deren Nachhaltigkeitsziele nie lauter bekundet wurden und deren Lebenspraktiken sich nie weiter davon entfernt haben« (101).

Verf. entwirft dagegen eine Theorie der Subsistenz und Suffizienz. Sie bestehe vor allem aus einem Aufsprengen komplexer Produktionsketten durch eine »Ökonomie der Nähe« (114), d.h. der De-Globalisierung und Stärkung kürzerer Wertschöpfungsketten. Ihr zweites Standbein bilde die Umorganisierung von Selbst- und Fremdversorgung. Güter sollten möglichst gemeinsam, möglichst lange genutzt und möglichst durch Eigenproduktion (z.B. urbane Landwirtschaft) erzeugt werden. Die industrielle Produktion könnte so zum Vorteil der Umwelt und zu Ungunsten des »Fremdversorgungsregimes« (123) abgebaut werden.

Einer lesenwerten Analyse der Entkopplungsschimäre folgt eine stark vereinfachende Analyse geldbasierter Arbeitsteilung, die zu der seines Erachtens verwerflichen Lebensweise beiträgt. Ungeachtet dessen legt Verf. überzeugend die Paradoxien des wachstumsgetriebenen Kapitalismus offen. Teils sarkastisch, teils mahnend, aber immer latent missionierend trägt er sein Anliegen vor. Die systemische Ursache kapitialistischen Wachstums bleibt allerdings im Dunkeln: die Herstellung des Profits. Entsprechend unbestimmt bleiben die Konsequenzen eines ›Austritts aus der Wachstumsökonomie‹. Die Forderung nach mehr individueller Verantwortung spielt neoliberalen Ansichten eher in die Hände. Ebenso vergisst die moralisierende Kritik an der Technik, dass sie viele soziale Errungenschaften hervorgebracht hat. Der Appell an den Einzelnen lässt die entscheidende Frage ungestellt, wer eigentlich darüber entscheidet, welche Lebensstile angemessen und wie sie einzuhalten sind.
Luisa Fischer (Siegen)

Quelle: Das Argument, 54. Jahrgang, 2012, S. 633-634

 

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