Roland Günter: Karl Ganser. Ein Mann setzt Zeichen. Eine Planer-Biographie mit der IBA in der Metropole Ruhr. Essen (Deutscher Werkbund Nordrhein-Westfalen, Schriften-Reihe: Einmischen und Mitgestalten, Band 9) 2010. Essen 476 S.

Christa Reicher, Lars Niemann, Angela Uttke (Hg.): Internationale Bauausstellung Emscher Park: Impulse. Lokal, regional, national, international. Essen 2011. 336 S.

Die steigende Popularität des Planungsformats Internationale Bauausstellung (IBA) in den letzten Jahren fiel 1999 mit dem zehnjährigen Ende der IBA Emscher Park im Ruhrgebiet zusammen. Über sie sind zwei sehr unterschiedliche Publikationen erschienen, die doch in einem wichtigen Punkt Gemeinsamkeit aufweisen: Roland Günters Biografie des Emscher Park-Direktors Karl Ganser und ein Sammelband der TU Dortmund, welcher nach den «Impulsen» der IBA auf verschiedenen räumlichen Ebenen fragt. Zentral ist bei beiden die Perspektive der Rückschau von Beteiligten.

Günter bettet die IBA in eine Biografie des Geografen Karl Ganser ein. Von der Ausbildungszeit und der ersten Arbeit an der TU und bei der Stadt München für das Grossprojekt Olympische Spiele, über die Stationen Bonn (Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung) und Düsseldorf (Städtebau-Ministerium) geht es nach Gelsenkirchen ins IBA-Büro und wieder zurück in den Süden nach Augsburg und in Gansers Wohnort Breitenthal. Gansers Standpunkte, Verhalten, Denkweise und Arbeitsstil und natürlich die Ergebnisse seiner Arbeit werden in dieser Biografie ebenso erschlossen wie seine private Seite vorgestellt. Der intensive Naturbezug Gansers, sein Denken auch der Stadt aus der Natur heraus sowie sein Kommunikationstalent sind ein Leitmotiv, die zusammen mit Gansers Analytik und Weitsicht den Charakter prägen, der für Jahrzehnte innovativer Forschung und Planung steht. Günter stützt sich auf lange Gespräche mit Karl Ganser, viele Passagen sind Originalton Ganser, also meinungsstark, klar und unterhaltend. Flankierend werden zahlreiche Fachkollegen aus allen Arbeitszusammenhängen zitiert. Das führt insgesamt zu einem lebendigen Blick hinter die Kulissen, der manches hervorbringt, was man bisher noch nicht lesen konnte, etwa über die Planungsprozesse einzelner IBA-Projekte. Günter schreibt in gewohnt engagiertem Tonfall und aus grosser Nähe. Das Buch wirkt jedoch nicht wie aus einem Guss, denn viele Episoden oder Themen stehen wortwörtlich in verschiedenen Kapiteln – immerhin kommt dies dem kursorischen oder blossen Kapitel-Leser entgegen. Das Personenverzeichnis ist hilfreich, aber das mangelnde Lektorat macht zu schaffen: Falsche Orts- oder Jahresangaben und ähnliche Ungenauigkeiten finden sich leider oft. Gansers Forschungs- und Arbeitsfelder sind die Geografie und die Stadtplanung. Für beide Disziplinen ist seine Biografie sehr interessant und lesenswert, und dabei vor allem wohl für die Jüngeren. Denn sie macht ein Lebenswerk nachvollziehbar und es gelingt ihr, die Begeisterung, die Ganser für seine Arbeit empfindet, im Buch weiterzutragen.

Der «Impulse»-Band ist neben der Projekt-Bestandsaufnahme zehn Jahre nach Abschluss ein weiteres Produkt des Forschungsvorhabens «IBA Emscher Park: revisited» an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund. Massgeblich formuliert wurden die Statements auf Expertenworkshops, an denen Vertreter der Kommunen und Planer teilnahmen. Diesem Abschnitt «Wirkungen in der Region» folgen «internationale Perspektiven», etwa aus China, Holland oder Italien und «Impulse für die Zukunft», ein Blick auf das IBA-Netzwerk und kommende Bauausstellungen (Basel). Wegen dieses weiten Horizonts, der von zahlreichen namhaften Expertinnen und Experten u.a. aus Politik, Verwaltung, Stadtplanung, Soziologie, Architektur und Städtebau abgesteckt wird, ist auch der Impulse-Band für Planer allgemein von Interesse. Da die IBA auch mit ihrer Struktur, Arbeitsweise und ihren Leitthemen und Planungsprinzipien vorgestellt wird, funktioniert der Band auch ohne fundierte Vorkenntnisse; dies gilt gleichfalls für die noch laufenden Grossprojekte Emscher Umbau und Emscher Landschaftspark. Die Leistung und nachhaltige Wirkung der IBA wird vielstimmig erläutert und positiv bewertet. Zu diesem Eindruck mag das als erfolgreich wahrgenommene Kulturhauptstadtjahr im Ruhrgebiet beigetragen haben, welches unmittelbar vor Erscheinen des Bandes endete, denn schon die Nominierung 2006 war einer der grössten Erfolge regionaler Kooperation im Ruhrgebiet.

Der ansprechend gestaltete und um einen schönen Fotoessay mit Impressionen aus Peking und dem Ruhrgebiet ergänzte Band begnügt sich mit der gelegentlichen Erwähnung der Anti-IBA-Stimmung nach ihrem Ende und dem zu der Zeit bestehenden Eindruck des Scheiterns gerade im Hinblick auf innerregionale Impulse, ohne den Meinungs- und Stimmungswandel hin zu heutiger Zustimmung und auch Euphorie explizit zu thematisieren – inhaltlich und als denkbarer Effekt des Forschungsdesigns. Zwar werden «Flops» der IBA auch benannt, etwa von Rolf Kreibich in der Rückschau auf soziale Projekte, die Gründe aber leider kaum mehr als angerissen.

Erkenntnistheoretisch muss man für beide besprochenen Bücher betonen: Sie erzählen von der IBA über einen Umweg. Denn im Kern geht es um Menschen, die sich erinnern, um ihre Art und Weise, mit grossem zeitlichen Abstand über die (oftmals eigene) Arbeit zu berichten. Das ist nicht weniger lesenswert, gerade auch wegen der immer wieder aufblitzenden Offenheit spannend, lässt aber erkennen, dass es an empirischen Forschungen weiterhin mangelt. Notwendig wären etwa empirische Belege für die Erfolgsmeldungen, zum Beispiel die Zunahme anspruchsvollen Bauens betreffend. Aber weiteren Forschungsbedarf haben auch viele derer skizziert, die in dem Impulse-Buch zu Wort kommen. Das Schlagwort «Impulse» bekommt somit eine weitere Bedeutung, welche gerade in der aktuellen Phase der Bauausstellungseuphorie relevant erscheint.
Achim Prossek, Berlin

Quelle: disP 194, 3/2013, S. 63-64