Myriam Ximena Galleguillos Araya-Schübelin: Möglichkeiten zum Abbau von Segregation in Armenvierteln. Die Frage nach der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit urbaner Ballungsräume am Beispiel Santiago de Chile. Kiel 2007 (Kieler Geographische Schriften 115). 226 S.

In der geographischen Forschung zu lateinamerikanischen Städten ist das Thema der Armenviertel ein wenig in den Hintergrund getreten. Daher nimmt man die in Kiel erschienene Dissertation mit Spannung zur Hand. Der Titel verspricht die Analyse eines bislang noch unbekannten Phänomens, der sozialräumlichen Segregation in (also nicht von) Armenvierteln. Um es gleich zu sagen: Im Buch wird zu dieser "Mikro-Segregation" wenig gesagt. Wohl aber geht es der Autorin um die Makro-Segregation, d.h. um die Konzentration von sozial Unterpriviligierten in Kommunen und Barrios der Agglomeration Santiago de Chile, und um Fragen der Meso-Segregation, also der Neuanlage von Vierteln höherer Gesellschaftsschichten in unmittelbarer Nähe der Armenviertel.

Und noch ein anderer im Untertitel genannter Aspekt wird nicht wirklich thematisiert: Die Frage der sozialen und vor allem auch der ökonomischen Nachhaltigkeit urbaner Ballungsräume. Hierzu würde man - zumindest im Schlusskapitel - eine methodisch klare Bewertung erwarten: Wie sozial und ökonomisch nachhaltig ist die durch akzelerierte Prozesse der Mikro-, Meso- und Makro-Segregation geprägte Stadtentwicklung der letzten jahrzehnte? Aspekte hierzu findet man jedoch durchaus in den "Schlussfolgerungen", aber keine stringente Bewertung.
Abgesehen von dieser Kritik, die mehr auf die Betitelung als auf den Inhalt der materialreichen Arbeit zielt, kann konstatiert werden, dass die Autorin eine interessante und gut dokumentierte stadtgeographische Studie der Armenviertel Santiago de Chiles vorgelegt hat, die die weitere Forschung sicher befruchten wird. Sie beginnt mit einer Reflexion über Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Wohnzufriedenheit und erweitert das Konzept benachteiligter Wohnviertel um den Aspekt der benachteiligenden Wohnräume. Es folgt eine sehr eingehende empirische Studie anhand von Fallbeispielen, die am Ende auch eine soziale Bewertung einschließt, die sowohl aus der Sicht der Bewohner als auch der Bearbeiterin nicht ganz so negativ ausfällt, wie manche a priori Feststellungen der Autorin erwarten ließen. Dazu muss der Leser aber die Arbeit sorgfältig lesen, da sie in sich nicht widerspruchsfrei bleibt. Es wurden Befragungen und Interviews durchgeführt. Eine Dokumentation, wie viele Menschen in welchem Viertel befragt wurden oder eine Liste der Interviewpartner fehlt.
Die unter der Militärregierung durchgeführte Zwangsumsiedlung von Marginalviertel-Bewohnerinnen und Bewohnern in neue Behausungen wird von aus der Binnenperspektive durchaus differenziert gesehen, negative Bewertungen betreffen die Maßnahme als solche, die vielfach als Trauma erlebt wurde, und die nach wie vor nicht zufrieden stellende infrastrukturelle Ausstattung des neuen Wohnumfeldes. Positiv dagegen werden dagegen vielfach die materielle Ausstattung und die Möglichkeit der Sozialkontakte über das eigene Milieu hinaus bewertet. Diese ist eine Folge der Meso-Segregation, die eine Kleinkammerung der Sozialstruktur der Stadt zur Folge hatte. Es wäre aufschlussreich gewesen zu erfahren, wie solche Kontakte zwischen ummauerten Vierteln (condominios) der Mittelschicht und den Quartieren der Unterschicht im Einzelfall aussehen können. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die negativen Bewertungen des eigenen Wohnumfeldes mit der Distanz zu solchen sozial höherwertigen Vierteln zunehmen.
Frau Galleguillos Araya-Schübelin  trifft eine nachvollziehbare Auswahl aus den Theorien zum Sozialraum Stadt in Lateinamerika, sie führt eine methodisch saubere empirische Analyse durch. Sie ist in leicht lesbarem Stil verfasst und bietet eine fesselnde Lektüre. Es wäre hilfreich gewesen, wenn alle theoretischen Stränge am Ende aufgenommen und daraus Anhaltspunkte für deren Ergänzung oder Neuformulierung extrahiert worden wären. Dennoch: Diese Studie wird dazu anregen, manche Theorie neu zu überdenken, wird aber auch zu deren Präzisierung beitragen. Die Arbeit ist gut veranschaulicht und mit Karten, Diagrammen (freilich leider manchmal auch in Form dreidimensionaler Excel-Diagramme und leider bei Relativwerten immer ohne Angabe von "n"!) und Tabellen ausgestattet.
Autor: Axel Borsdorf

Quelle: Erdkunde, 63. Jahrgang, 2009, Heft 1, S. 98-99