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Kategorie: Rezensionen

Andreas Pott: Orte des Tourismus. Eine raum- und gesellschaftstheoretische Untersuchung. Bielefeld 2007. 326 S.

In dem ersten Kapitel "Tourismus und Raum als gesellschaftstheoretische Herausforderung" zeigt ANDREAS POTT, warum eine Beschäftigung mit Tourismus aus dem Blickwinkel der gesellschafts- und raumtheoretischen Debatten problematisch ist und daher kaum in Angriff genommen wurde. Während gesellschaftstheoretische Studien touristische Phänomene nicht berücksichtigen, werden tourismusbezogene Arbeiten nur selten gesellschaftstheoretisch eingebettet. Sein Anliegen ist jedoch, den Zusammenhang zwischen Gesellschaft, Tourismus und Raum zu beleuchten - und er tut dies mit systemtheoretischen Bezügen. Dies ist alles andere als nahe liegend, da NIKLAS LUHMANN, ein wichtiger Vertreter der Systemtheorien, "neben dem Menschen auch alles Physisch-Materielle - und damit auch viele der Räume, auf die die Alltagssprache referiert - in die nicht-kommunikative Umwelt der Gesellschaft ‚verbannt'" (S. 12) hat und somit - mit Blick auf das Thema Städtetourismus - weder an den Akteuren noch an den Orten des Tourismus Interesse zeigte.

Dennoch scheint die Betrachtung des Phänomens Städtetourismus mit systemtheoretischen Bezügen dem Autor gewinnbringend zu sein, zumal er sich insbesondere auf Weiterentwicklungen der Systemtheorie stützt. Am Beispiel des Städtetourismus geht er folgenden Fragen nach: "Inwiefern fungiert Raum im Städtetourismus strukturbildend? Wie wird seine Entwicklung durch die Raumkategorie strukturiert und beeinflusst? Welche Rolle spielen räumliche Unterscheidungen und Formen für die Entstehung, die Reproduktion und die Veränderung städtetouristischer Strukturen?" (S. 14).
In den folgenden vier Kapiteln wird mit systemtheoretisch geleitetem Blick das Phänomen Städtetourismus systematisch diskutiert. Im Kapitel "Städtetourismus und Raum" wird eine systemtheoretische Konzeption von Raum entwickelt und die Bedeutung der Kontextualisierung raumbezogener Beobachtungen verdeutlicht. Vor dem Hintergrund eines beobachtungstheoretischen Ansatzes wird Raum als ein Medium der Wahrnehmung und der Kommunikation begriffen.
Anschließend wird das Verhältnis von Tourismus und Gesellschaft beleuchtet. Die entscheidende Frage einer gesellschaftstheoretischen Charakterisierung des Tourismus richtet sich nach POTT auf die gesellschaftlichen Bedingungen und Veränderungen, die sich hinter den vielfältigen Reisemotiven der Touristen verbergen. Die gängige Auffassung, Tourismus sei eine Reaktion auf die Entstehung entfremdeter Arbeit im Zuge der Industrialisierung (S. 54), wird infrage gestellt. Es wird stattdessen die "zentrale alltägliche Zumutung der modernen Gesellschaft" betont, die auf ausgeprägten Spezialisierungen und abstrakten Beschränkungen im Alltag beruht, und gezeigt, dass auch die moderne (Arbeits-) Welt den Menschen erholungsbedürftig macht. Tourismus dient demnach der Strukturlockerung und Strukturvarianz.
In den beiden folgenden Kapiteln wird zunächst die Form des Städtetourismus als spezifischer Sinnzusammenhang der modernen Gesellschaft untersucht und Städtetourismus als privat motivierter Kulturtourismus entwickelt. Anschließend wird argumentiert, dass Städtetourismus als Erholung in oder durch Kultur gesehen werden kann, indem alltägliche Urbanität durch touristische Urbanität ersetzt wird.
Bis an diese Stelle kommt die elegant strukturierte und inspirierende Arbeit ohne jegliche Abbildungen aus. Die Lektüre dürfte bis hierhin jedoch eher den/die gesellschaftstheoretisch interessierte/n Leser/in ansprechen als denjenigen/diejenige, der/die sich für das Phänomen Tourismus interessiert. Für Tourismusspezialisten bieten die Ausführungen jedoch eine ungewöhnliche systemtheoretische Perspektive auf ihren Forschungsgegenstand. Im anschließenden Kapitel mit dem Titel "Ortssemantik und städtetouristische Entwicklung", in dem der Zusammenhang zwischen städtetouristischen Semantiken und Städtetouristen dargestellt sowie die Entstehungsgeschichte des städtetouristischen Reiseziels Wetzlar rekonstruiert wird, kommt vermutlich eher der/die Tourismusforscher/in unter den Lesern auf seine/ ihre Kosten.
Es gelingt ANDREAS POTT durchaus sehr überzeugend, den Zusammenhang zwischen Gesellschaft, Tourismus und Raum zu beleuchten und zu zeigen, inwieweit systemtheoretische Bezüge für die Geographie fruchtbar sein können. Es bleibt jedoch die Frage, ob diese Arbeit gesellschaftstheoretisch und tourismusbezogen Interessierte gleichermaßen anzusprechen vermag. Wenn man jedoch sowohl an gesellschaftstheoretischen Debatten als auch am Phänomen Städtetourismus Interesse findet, ist sie ohne jeden Zweifel ein Gewinn.
Carmella Pfaffenbach

Quelle: Erdkunde, 63. Jahrgang, 2009, Heft 2, S. 189-190