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Kategorie: Rezensionen

Alan Cafruny u. Magnus Ryner: Europe at Bay. In the Shadow of US Hegemony. Boulder 2007. 171 S.

Elmar Altvater u. Birgit Mahnkopf: Konkurrenz für das Empire. Die Zukunft der Europäischen Union in der globalisierten Welt. Münster 2007. 304 S.

Seit den 1990er Jahren häufen sich Publikationen, in denen die Rolle der EU in der internationalen Politik betrachtet wird. Die Erklärungskraft der meisten Untersuchungen bleibt jedoch begrenzt, weil sie das internationale Gestaltungspotenzial der EU entweder primär durch die verfügbaren ökonomischen und militärischen Machtressourcen oder aber die politikfeldspezifischen Verfahren, Instrumente und internationalen Repräsentationsformen bestimmt sehen. Analysen, die darüber hinaus gehen und die strukturellen Machtbeziehungen, d.h. die Interaktions- und Reproduktionsmuster der internationalen politischen Ökonomie, in den Blick nehmen, lagen bislang nicht vor. Die beiden vorliegenden Untersuchungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie den vornehmlich neoliberalen Charakter der europäischen Integration herausarbeiten und dessen Implikationen für die internationale Gestaltungsmacht der EU kritisch reflektieren.

Trotz der relativ ähnlichen, kritisch-politökonomischen Analyseperspektive werden in beiden jedoch unterschiedliche, zum Teil entgegengesetzte Thesen vertreten.
Cafruny und Ryner argumentieren, dass die EU infolge der neoliberalen Ausrichtung des Integrationsprozesses in eine tiefe Krise geraten ist. Diese manifestiert sich nicht nur in einem gedämpften Wirtschaftswachstum und einer verfestigten Massenerwerbslosigkeit, sondern auch in der Erosion der traditionellen Formen der Solidarität und des sozialen Ausgleichs sowie einer subalternen Einbindung der EU in das zunehmend gewaltsam operierende US-Imperium. Dies ist verbunden mit einer Transformation der US-Hegemonie (15ff). Diese bestehe v.a. darin, dass die Strukturen der "integralen Hegemonie", d.h. die relativ umfassende konsensuale Einbindung Westeuropas in den globalen Fordismus der Nachkriegsjahrzehnte, seit den 1970er Jahren erodierten und durch ein System der "minimalen Hegemonie" ersetzt wurden. Im Unterschied zur integralen ist die minimale Hegemonie durch wachsende Widersprüche und eine schwindende ökonomische und politische Einbindungskraft gekennzeichnet, ebenso aber auch durch den weitgehenden Verzicht auf repressive Instrumente, da die subalternen Staaten und Klassen zu schwach und desorganisiert sind, um einen gegenhegemonialen Block bilden zu können. Trotz der relativen Schwächung definieren die USA daher noch immer die Spielregeln der internationalen Währungs-, Finanz-, Handels- und Sicherheitsbeziehungen. Mehr noch, gestützt auf den US-Dollar als Weltwährung und die Attraktivität des eigenen Finanzmarktes sind die USA sogar in der Lage, andere Wirtschaftssysteme in den eigenen Kapitalkreislauf zu integrieren und die internen Widersprüche zu externalisieren. Dies gilt letztlich auch für die europäische Ökonomie, die sich durch das spezifische Design des EG-Binnenmarktes, der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und der Lissabon-Strategie ein Korsett der neoliberalen Disziplinierung verordnet hat. Das globale Gestaltungspotenzial der EU bleibt hierdurch begrenzt, indessen im Inneren die sozioökonomischen Krisenprozesse zunehmen.
Warum dies so ist, wird im Anschluss ausgeführt. Verf. zufolge orientiert sich die europäische Währungs- und Finanzmarktintegration zwar stark am relativ erfolgreichen US-Modell, vermag jedoch nicht, dessen Dynamik zu entfalten. Die Gründe für diese Entwicklung sehen sie zum einen in der restriktiven Geld- und Finanzpolitik, die nachfrageinduzierte Produktivitätssteigerungen verhindert (54ff); zum anderen darin, dass die auf langfristigen Kooperationsbeziehungen basierenden kontinentaleuropäischen Innovationssysteme durch die neue Dominanz der schnelllebigen Kapitalmärkte beeinträchtigt werden (57ff). Durch Deregulierungs- und Flexibilisierungsschritte in Verbindung mit einer Politik der Lohnzurückhaltung und des Sozialabbaus können sich einzelne EU-Mitgliedstaaten vielleicht vorübergehende Vorteile verschaffen. Letztlich lässt sich diese Politik des ›beggar thy neighbour‹ jedoch nicht verallgemeinern; allenfalls um den Preis, dass sich die Wachstumsblockaden und sozioökonomischen Krisenprozesse in der EU weiter zuspitzen. Tatsächlich ist dies bereits der Fall. Verf. legen dar, wie durch die Schwächung der arbeits- und sozialpolitischen Regime, v.a. durch die Beschneidung sozialer Anrechte, und die wettbewerbsorientierte Reorganisation korporatistischer Arrangements in der EU allmählich die soziopolitischen Legitimitätsgrundlagen erodieren. Was dies bedeutet, wird insbesondere anhand Frankreichs und Deutschlands, d.h. von konservativen, beitragsfinanzierten Wohlfahrtsstaaten, illustriert (87ff). Hier hat sich durch die neoliberale Reformpolitik seit den 1980er Jahren die Krise der politischen Massenorganisationen - vor allem der Gewerkschaften und sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Parteien - spürbar verschärft.
Nach der politökonomischen Analyse schlagen Verf. erneut den Bogen zu den transatlantischen Beziehungen und legen dar, dass nicht nur im Bereich der Währungs- und Finanzbeziehungen, sondern auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik die EU in die us-amerikanische Hegemonie eingebunden bleibt (105ff). Dies liegt zum Teil an der internen Fragmentierung der EU und der Unfähigkeit, eigenständige sicherheits- und militärpolitische Kooperationsstrukturen aufzubauen. Darüber hinaus haben die USA aber auch offensiv eine Strategie der NATO-Erweiterung verfolgt, die es ihnen erlaubt - verstärkt durch die Kooperation mit den neuen EU-Mitgliedstaaten - die europäische Sicherheitspolitik zu kontrollieren. Alles in allem, so das Fazit, strebt die EU zwar danach, sich als weltpolitischer Akteur zu profilieren, verfügt angesichts der wirtschaftlichen Schwäche, wachsender Legitimationsprobleme und zwischenstaatlicher Konflikte jedoch nicht über die Kraft, sich der hegemonialen Kontrolle der USA zu entziehen.
Diese skeptische Einschätzung der europäischen Weltordnungspolitik wird von Altvater und Mahnkopf so nicht geteilt. Dies wird bereits daran deutlich, dass sie die internationale Rolle der EU imperialismustheoretisch interpretieren. D.h., in den wirtschaftspolitischen Strategien der EU artikuliert sich im Prinzip eine geoökonomische Expansionslogik, die notfalls auch durch geopolitische Kontrollstrategien abgesichert wird. Die EU befindet sich demzufolge "in einer Situation imperialistischer Konkurrenz" (52), die allerdings (noch) nicht militärisch ausgetragen wird. Das internationale Gewicht der EU ist primär ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft geschuldet, indessen die militärischen Interventionskapazitäten erst allmählich entwickelt werden. Dieser Grundgedanke wird im Folgenden unterfüttert. Die europäische Ökonomie ist einerseits durch die Prozesse einer neoliberalen Disziplinierung, andererseits aber auch durch das wachsende Gewicht der europäischen Transnationalen Konzerne in der Weltwirtschaft gekennzeichnet (Kap.2). Unterstützt wird diese Entwicklung durch die Transformation von Staatlichkeit (Kap.3). Diese besteht nicht nur darin, dass sich die nationalstaatlichen Gestaltungsmöglichkeiten verengen. Es kristallisieren sich auch Formen einer supranationalen Staatlichkeit heraus, die in Anlehnung an Poulantzas als Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse beschrieben werden. Die Rede von einer - unvollständigen - europäischen Staatlichkeit ist nicht unumstritten, scheint jedoch insofern gerechtfertigt, als sich die supranationalen Institutionen verstärkt spezifischer (Steuerungs-)Medien, d.h. des Rechts, des Geldes und der Macht, bedienen und die nationalen gesellschaftlichen Reproduktionsmuster maßgeblich strukturieren (98ff). Im Spannungsfeld von wirtschaftlicher Integration und politischer Vergemeinschaftung hat sich in den Nachkriegsjahrzehnten zudem ein europäisches Gesellschaftsmodell, hier verstanden als Modell eines wohlfahrtsstaatlich gezähmten Kapitalismus, entwickelt, dessen Kernelemente, so Altvater und Mahnkopf, durch den Primat der ›negativen‹, d.h. markt- und wettbewerbsorientierten Integration jedoch zunehmend unterminiert werden (Kap.4). Schließlich schwächt die Lissabon-Strategie - entgegen dem selbst proklamierten Anspruch - nicht nur die sozialen Kohäsionsmechanismen, sondern auch die produktiven Grundlagen der europäischen Ökonomie.
Ungeachtet dieser Widersprüche erläutern Verf. anschließend, dass sich - in Folge der internen Globalisierung - das Gewicht der EU in der Weltökonomie und -politik in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich erhöht hat. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Handelsbeziehungen (Kap.5), in dem die EU verstärkt eine offensive, zuweilen aggressive Liberalisierungsstrategie verfolgt. Neben den WTO-Verhandlungen, in denen sie sich hartnäckig für eine sehr umfassende handelspolitische Agenda eingesetzt hat, trägt sie durch eine Vielzahl bi- und plurilateraler Handels- und Investitionsabkommen aktiv mit dazu bei, den Globalisierungsprozess voranzutreiben (168ff). Darüber hinaus steht die europäische Globalisierungspolitik zunehmend im Zeichen der Energiesicherheit (Kap.6). Dies ist vor allem dadurch bedingt, dass das europäische Entwicklungsmodell auf einem hohen Energieverbrauch basiert, die EU selbst aber nur über begrenzte Öl- und Gasvorräte verfügt. Um die externe Energieabhängigkeit zu reduzieren, setzt die EU einerseits auf eine größere Energieeffizienz, Energiesparen und einen veränderten Energiemix. Andererseits versucht sie, die Versorgung mit fossilen Energieträgern durch die Diversifizierung der Lieferbeziehungen und die Stärkung militärischer Interventionskapazitäten sicherzustellen (204ff). Nachfolgend verknüpfen Verf. die Politik der Energiesicherung mit der Dynamik der Währungskonkurrenz zwischen dem US-Dollar und dem Euro (Kap.7). Sie gehen davon aus, dass die globale Dominanz des US-Dollars durch die Existenz des Euro perspektivisch unterminiert wird (238ff). Vor dem Hintergrund der strukturellen Ungleichgewichte in der Weltökonomie, insbesondere des großen Leistungsbilanzdefizits der USA, könnte sich die Bereitschaft vieler Länder erhöhen, ihre Devisenbestände in Euro umzuschichten und die internationalen Energieexporte in Euro zu fakturieren. Das Buch endet mit einem Ausblick (Kap.8), in dem die inhärenten Widersprüche des US-Imperiums und die - skeptisch bewerteten - Chancen eines alternativen europäischen Entwicklungspfads skizziert werden.
Wenn die beiden Untersuchungen zu divergierenden, bisweilen konträren Einschätzungen der globalen Rolle der EU gelangen, so ist dies zum einen darauf zurückzuführen, dass wichtige Teilbereiche der EU-Außenbeziehungen unterschiedlich gewichtet werden. So setzen sich Altvater und Mahnkopf ausführlich mit den Handelsbeziehungen auseinander, d.h. einem Bereich, in dem die EU zweifelsohne über weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten verfügt. Im Unterschied hierzu haben Cafruny und Ryner ein ganzes Kapitel der EU-Sicherheitspolitik gewidmet, die noch immer im Schatten der us-dominierten NATO verbleibt. Doch nicht nur diese spezifischen Akzentuierungen erklären die divergierende Gesamtsicht. Noch wichtiger sind die unterschiedlichen Annahmen über die Bestandsfähigkeit der US-Hegemonie. Für Cafruny und Ryner steht diese trotz aller Widersprüche grundsätzlich außer Frage, während Altvater und Mahnkopf - zumindest implizit - eine zunehmende (Selbst-)Überforderung und globale Erosion der US-Hegemonie unterstellen. Letztlich sind es genau diese Kontraste, die beide Studien nicht nur lesenswert machen, sondern auch dazu einladen, sich mit den theoretisch-konzeptionellen Interpretationsfolien der europäischen Globalisierungspolitik intensiver auseinanderzusetzen.
Hans-Jürgen Bieling

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 152-154