Leo Panitch u. Colin Leys (Hg.), Global Flashpoints. Reactions to Imperialism and Neoliberalism. Socialist Register 2008, Monthly Review Press, New York 2007. 362 S.

Das Socialist Register, das seit 1964 erscheint, widmet sich Widersprüchen neoliberaler Globalisierung und imperialer Politiken, die in etlichen Regionen der Welt Widerstände und Gegenstrategien hervorbringen. Hg. schließen damit an den ursprünglichen Anspruch des Jahrbuches an, Untersuchungen sozialer Bewegungen und ihrer Ideen zu liefern, und eine Art "political topography" (IX) nachzuzeichnen. Dabei treten in der arabisch-islamischen Region v.a. anti-imperialistische Kräfte auf, während in der lateinamerikanischen Region diverse Bewegungen sich gegen die neoliberalen Politiken der letzten 20 Jahre wenden und versuchen, sog. ›post-neoliberale‹ Ansätze durchzusetzen. 22 Verf. aus 14 Ländern widmen sich Themen wie der Natur des islamistischen Antiimperialismus, dem Irak, dem Verhältnis von Religion und Politik aus marxistischer Perspektive, dem israelischen Kolonialismus in Pälastina, der Demokratie in Venezuela, den Klassenkämpfen in Brasilien, der Landreform in Bolivien, den Problemen in Argentinien, der Kommune in Oaxaca in Mexiko, daneben aber auch Vorgängen in Frankreich, Osteuropa und den USA.
Das Verhältnis des Westens zu arabisch-islamischen Gesellschaften ist besonders prekär und verzerrt, wie Edward Said in seinem Klassiker Orientalismus herausgearbeitet hat. Daher soll hier v.a. der Beitrag "Islam, Islamisms and the West" von Aijaz Ahmad erwähnt werden, der die beiderseitigen Wahrnehmungsmuster beschreibt und sie einer systematischen Kritik unterzieht. Eine Kernthese: Regierungen der kapitalistischen Kernländer, westliche Medien und Wissenschaftler, einschließlich einiger Linker, wollten uns glauben machen, "that Islamic exceptionalism, that hyper-religiosity among the Muslims, that civilizational difference of Islam which the Islamic revivalists, fundamentalists and would-be martyrs" befördern, bestimmend sind, um ihrer interessengeleiteten imperialen Politik Legitimität und Unterstützung zu verleihen (10). Die vorherrschenden kulturalistischen Klischees postulieren dann je nach intellektuellem Niveau und ideologischer Ausrichtung einen Konflikt zwischen Tradition und Modernisierung, von Authentizität und Pluralismus, oder (die rassistische Variante) von biologistisch determiniertem So-Sein - aber fast immer liegt dem das Muster zugrunde: Der Westen ist entwickelt, der Orient ist es noch nicht. Ahmad beschreibt zahlreiche Beispiele für Doppelstandards des Westens im Umgang mit arabisch-islamischen Gesellschaften, die den Westen unglaubwürdig werden lassen, was einen dramatischen Ansehensverlust zur Folge hat: Der Umgang der Türkei mit den Kurden war kaum besser als der durch den Irak, der gewalttätige Fundamentalismus einiger Hindus wird nicht annähernd so thematisiert wie islamistischer Fundamentalismus, der inhumane Umgang Israels mit den Palästinensern wird weiterhin klein geredet, während sich westliche Staaten als säkular verstehen, wird Europa zugleich als judeo-christlich angesehen - die eigenen Standards werden im Westen nicht eingehalten, allen voran in den USA. Ahmad analysiert z.B. die berüchtigte Rede von Papst Benedikt an der Universität Regensburg über Religion und Rationalität, Huntingtons These vom "Kampf der Kulturen" und immer wieder die imperiale Politik der USA im Nahen Osten mit ihrem sehr speziellen Verständnis von Freiheit und Demokratie. Den massenmedialen Stereotypen gelte es die authentischen Sichtweisen von Menschen und Analysen aus jenen Gesellschaften entgegenzusetzen, die nicht nur religiös bestimmte Handlungsweisen, sondern alle relevanten Lebensumstände berücksichtigen. Das wäre nach Ahmad eine Aufgabe für eine "comparative sociology of Islamism" (27). Dann ergibt sich ein widersprüchlicheres Bild: Beispielsweise wenn Yildiz Atasoys Text über den Geist des Kapitalismus in der Türkei herausarbeitet, dass eine neo liberal-kapitalistische Modernisierung durchaus über eine Reartikulation und Renaissance traditioneller islamischer Denkmuster betrieben wird: "The Islamic emphasis on brotherly love and ethical discipline feeds into very personalized cultural processes of economic rationality which Weber seems to have ignored." (135) Hier entsteht eine neue islamisch geprägte Bourgeoisie. Doch die Geschichte und die komplexen Realitäten in anderen Gesellschaften, nicht nur im arabischen Raum, werden vom Westen selten wahrgenommen, dass z.B. Indien einen moslemischen Präsidenten hat, einen Sikh als Premierminister und eine römisch-katholische Frau italienischer Abstammung die politisch mächtigste Person des Landes ist (21). Zur Geschichte gehört natürlich auch, die meist kolonialen Hintergründe der gegenwärtigen Problemlagen herauszuarbeiten, die im Westen gerne ignoriert werden.
Edgar Göll

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 454