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Kategorie: Rezensionen

Angela McRobbie: The Uses of Cultural Studies: A Textbook. London 2005. 242 S.

Die Textsammlung will Studierenden die wichtigsten Theorieansätze der Cultural Studies (CS) vorstellen: Stuart Hall, Paul Gilroy, Judith Butler, Homi Bhabha, Pierre Bourdieu und Fredric Jameson. Als Beigabe werden Analysen zu Bourdieus Das Elend der Welt und Butlers Antigones Verlangen dokumentiert.

Jedes Kapitel untersucht die Arbeit der jeweiligen Protagonisten im historischen Kontext und stellt die wichtigsten Texte chronologisch vor. So beginnt das Kapitel über Stuart Hall mit seiner Arbeit über das Fernsehen aus der Mitte der Siebziger Jahre am Beispiel seiner Fallanalyse des wöchentlichen BBC-TV-Nachrichtenprogramms Panorama, die Verf. kurz darstellt und im Rahmen seines Gesamtwerks als die Periode charakterisiert, in der Hall ›nach einer Methode sucht‹. Diese Suche ist ein emblematisches Moment sowohl für den Einfallsreichtum der CS als auch für die Bildung der Wurzeln der Kulturwissenschaft im besonderen Marxismus der Birminghamer Schule. Verf. argumentiert dann bezüglich seiner Analyse von Thatchers "autoritärem Populismus", dass Hall hier "(New) Labour praktisch erklärte, [...] wie eine wirksame Intervention quer über die gesamte neue gesellschaftliche Landschaft zu organisieren sei, wie ideologisches Terrain für eine andere Form der Labour Party zurückzugewinnen sei, wie Wählerschaften wie zum Beispiel Frauen und Mütter anzusprechen seien, wie mit Akademikerinnen, Akademikern und Think-tanks zusammen zu arbeiten sei und wie man sich als modern neu erfinden könne" (27). Verf. charakterisiert Halls Arbeit als unendlich offen (27) und zeichnet seine Beschäftigung mit dem Multikulturalismus als eine Gelegenheit für "expansive Demokratisierung" nach. Alle Kapitel enden mit Extended Notes, die in diesem Fall einen neueren Artikel von Hall aus dem Jahr 2003 über den damaligen Premierminister Blair bearbeiten. Verf. beschreibt diesen Artikel als "virtuoses Stück" (34), das Zeugnis ablegt für Halls Bedeutung als politischer und gesellschaftlicher Analytiker und darüber hinaus als jemand, dessen "Schriften einen wahrlich bedeutsamen Platz im britischen öffentlichen Leben einnehmen" (34). Dies ist eine stolze Behauptung für die Gründung der CS. Das Kapitel über Hall ist eine Hagiographie, aber wie könnte es auch anders sein?
Die anderen Kapitel gehen ähnlich vor: Sie erklären die jeweils wesentlichen Arbeiten und Begriffe und kommen dann zu den verschiedenen Analysen popularer Kulturformen. Das zeigt die Arbeiten praxisnah und demonstriert zugleich die Gebrauchsweise der Theorien. So wird bspw. im letzten Abschnitt über Gilroys Theorie der Rassenkonstruktion deren Anwendung auf die Musik im allgemeinen und auf Hiphop im besonderen dar gestellt; an Butlers Theorie des Geschlechts wird deren Bedeutung für die Analyse popularer Kulturformen als Mittel sozialer Regulation hervorgehoben; Butlers Arbeit über das "being girled" (die Transformation zum Mädchen) wird anhand einer Analyse von Catherine Hardwickes und Nikki Reeds Film Dreizehn (2003) vorgestellt; Bourdieus Thesen über das Fernsehen werden genutzt für die Analyse der BBC-Fernsehserie Was man nicht tragen sollte, und Jamesons theoretische Arbeit dient als Ausgangspunkt einer Interpretation von David Lynchs Mulholland Drive; das Kapitel über Bhabha endet mit einer Reflexion über die Kunst Yinka Shonibares. Bei fortschreitender Lektüre zeigt sich, dass die Kapitel interagieren, wobei sich das Feld der CS als sehr komplex und widerspruchsvoll präsentiert. So wird Halls Arbeit zu "Rassismus" Gilroys Problematisierung des "Schwarz seins und nicht Schwarz seins" zur Seite und vorangestellt und dann durch Butlers Analysen zu Geschlecht und Sexualität weiter "in Unordnung" gebracht.
Verf. hat die Fähigkeit, die verschiedenen Fragestellungen, Texte und Theorien von einem übergreifenden Standpunkt aus darzustellen. Dabei werden Hall, Gilroy, Bhabha, Boudieu, Jameson und, als einzige Frau, Judith Butler nicht als abgehobene Gurus dargestellt, sondern im Dialog sowohl untereinander als auch mit ihren Kritiker/innen gezeigt. Es gelingt ihr, verständlich zu schreiben, ohne die Komplexität des Gegenstandes zu reduzieren. Manche der konkreten Beispiele erschließen sich den außerhalb des britischen Kontextes stehenden Lesern naturgemäß nicht ohne weitere Vorkenntnisse. Aber auch das verweist noch einmal auf ein spezifisches Merkmal der CS: Ihre Analysen popularer Kultur müssen an lokalen Strukturen ansetzen und die Interessen und Erfahrungen der Akteure und Akteurinnen in ihre Analysen einbeziehen.
Alison Bartlett (Perth). Aus dem Englischen von Nora Räthzel

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 565-566