Karin Harrasser, Sylvia Riedmann u. Alan Scott (Hg.): Die Politik der Cultural Studies - Cultural Studies der Politik. Wien 2007. 271 S.

Der Titel impliziert, dass alles Kulturelle politisch ist, alles Politische eine kulturelle Dimension hat. Um in den auf "Managementmethoden" (24), "Markttauglichkeit" (93) und intellektuelle Prekarität ausgerichteten Universitäten zu bestehen, haben sich die Geisteswissenschaften in Kulturwissenschaften verwandelt. In ihrer Fixierung auf die Konsumsphäre und die Kulturindustrie haben sie sich häufig, so Jim McGuigan, mit dem Objekt der Analyse identifiziert und allen kritischen Impetus eingebüßt.

Nichts weniger als eine "Homologie zwischen dem aktiven Subjekt der Cultural Studies und dem souveränen Konsumenten der freien Marktwirtschaft" (57) prädestiniere die Kulturwissenschaften geradezu zum "Geschäft" (18), indem sie den "creative industries" jene angepassten "Netzwerkopportunisten" (98) und Event-Intellektuellen lieferten, die in ihrem eigenen Verständnis von Kultur und Politik als flexible ›Sprachspiele‹ eben letztere für sich selbst zur habituellen und marktkonformen Perfektion gebracht haben. Die CS haben aktiv an ihrer Entpolitisierung mitgearbeitet, indem sie Marketingkonzepte aufgenommen, akademisch nobilitiert und an die Industrie immaterieller Dienstleistungen zurückverkauft haben.
Der institutionelle Erfolg eines ehemals kapitalismuskritischen Projekts, so die Ausgangsdiagnose des Bandes mit Beiträgen einer Innsbrucker Tagung von 2003, scheint nicht zuletzt einem unkritischen Kulturbegriff geschuldet zu sein. Die Hg. verneinen nicht, dass gerade die theoretische Aufwertung des Kulturellen und der "ästhetischen Eigenlogik als kritischer Stachel im Fleisch der Hegemonie" (22) insgesamt zu einem Kulturbegriff geführt habe, der geeignet war, verkrustete Strukturen aufzubrechen. Zu Recht wird an den antagonistischen Kulturbegriff E.P. Thompsons ("culture as a whole way of struggles") wie auch an das "interventionistische Grundverständnis" der frühen CS erinnert (30), deren britische Genese in der Einleitung ohne Nostalgie nachgezeichnet und deren Projektcharakter erst ex post erkennbar wird, ohne zum ahistorischen Modell zu versteinern (Frank Webster). Exemplarisch illustriert Günther Sander die vielfältigen Korrespondenzen zwischen der austromarxistischen Tradition der Kulturanalyse und der Birminghamer Schule der CS: Beiden ging es in erster Linie um die "theoretische Aufwertung des Kulturbegriffs mit seiner gleichzeitigen Erweiterung und Politisierung" (34), die Forschungssubjekte hervorbrachte, die gleichzeitig im Arbeitermilieu und in intellektuellen Welten tätig waren.
Gerade der den Universitäten global oktroyierte Nützlichkeitsimperativ und die durch neoliberale Konterreformen herbeigeredete Krise der Geisteswissenschaften machen, so der Leitfaden des Bandes, die Konzeption außeruniversitärer, alternativer Institutionalisierungsformen erneut erforderlich. Gesellschaftskritische Forschungsinitiativen müssen sich dabei der (Wieder)Verortung eines ›politischen Subjekts‹ stellen, ist doch der institutionelle Niedergang der Birmingham-School nicht zuletzt rückgekoppelt an die Krise der historischen Arbeiterbewegung sowie der unterschiedlichen gegenkulturellen Strukturen der 70er und 80er Jahre. Eine Perspektive biete möglicherweise das "Bündnis mit neuen gesellschaftlichen Bewegungen" (40). Dass die Komplexität der politischen Organisations- und Artikulationsformen von neuen Protestbewegungen darüber hinaus eine methodische Herausforderung an die CS stellen, das Politische anders zu konzipieren, zeigen die Beiträge von Helga M. Treichl und Oliver Marchart. Hatten sich die CS lange Zeit darauf versteift, subkulturelle Körper-, Medien- und Symbolpraktiken per se als politisch zu begreifen und gesellschaftlichen Protest kulturalistisch zu reduzieren (Roberta Sassatelli), schärft ein politiktheoretischer Ansatz den Blick für jene rebellischen Formationslogiken, die das "Subkulturelle in das Gegen-Kulturelle" (182) transformieren und damit die Analyse weg von Fragen der "Performanz" und des "Stils" hin auf die makropolitische Ebene von Antagonisierung, Hegemoniekämpfen und einer mehrheitsfähigen und sichtbaren Gegenöffentlichkeit lenken.
Gleich mehrere Beiträge fordern eine Rehabilitierung von Analyse-Kategorien wie "Arbeit", "materielle Lage" und "Ideologiekritik", mithin eine handlungstheoretische Konzeption von Kultur als "die andere Seite des Sozialen" (101). Lutz Musners Plädoyer für eine "kritische Kulturwissenschaft" (102) rückt das Ökonomische als das vergessene Dritte zwischen Politik und Kultur in den Blickpunkt (vgl. auch seinen Beitrag in diesem Heft). Das Neu-Denken der Beziehungen zwischen dem Ökonomischen und dem Kulturellen - eine Herausforderung, vor der die CS stehen - verlangt die Konfrontation des "kulturalisierten Spätkapitalismus" mit einer politischen Ökonomie der Kultur (Fran Tonkiss).
So präzise der Band auch den Nexus von Kultur und Politik herausstellt, so unzureichend geklärt bleibt am Ende das Verhältnis und die Differenzen der CS anglo-amerikanischer Prägung zu den Kultur- und Medienwissenschaften im deutschen Sprachraum. Letztere verdanken sich primär wissenschaftspolitischen Strategien, wobei sie weniger auf die Stimulation gesellschaftspolitischer Aktion zielen. Doch gerade die deutschsprachigen Kulturwissenschaften könnten ihre nicht weniger politischen wissensreformatorischen und epistemologischen Innovationen ins Methodeninstrumentarium globalisierter Kulturstudien einbringen. Fasst man Kultur von der Seite des Sozialen her, so lässt sich, vor allem in der Erweiterung des Sozialen um medientechnische und dingliche Akteure, eine Renaissance materialistischer Kulturanalyse in Deutschland und Österreich ausmachen. Die Analyse der imaginären Anteile von Macht und Herrschaft wird seit jüngstem durch ein verstärktes Interesse an den politischen Implikationen der Beziehungen zwischen Menschen, ihrer Arbeit und ihren Produkten ergänzt. Mit dem Rückgriff auf im weitesten Sinne linkskulturalistische Theorieangebote u.a. aus Frankreich und dem angloamerikanischen Raum scheint sich jedenfalls eine vorsichtige Korrektur an sprach- und textzentrierten Kulturtheorien anzubahnen. Letzteres dürfte den längst fälligen transnationalen Synergieeffekten innerhalb und außerhalb der Akademie nur dienlich sein.
Patrick Ramponi

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 568-570