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Kategorie: Rezensionen

Wolfgang Pomrehn: Heiße Zeiten. Wie der Klimawandel gestoppt werden kann. Köln 2007. 236 S.

Verf. führt zunächst gut verständlich in die Grundlagen von Klimasystem und Klimafolgen ein. Dabei erwähnt er auch weniger Bekanntes wie das drohende Auftauen von submarinen Gashydraten an den Kontinentalhängen, das einerseits große Mengen des Treibhausgases Methan freisetzen und andererseits infolge von Hangrutschungen Tsunamis auslösen könnte (71ff), oder die Tatsache, dass der Kühlungseffekt anthropogener Aerosole, v.a. Ruß und SO2, derzeit (noch) rund die Hälfte des Effekts der anthropogenen Treibhausgase aufhebt und folglich weitere Maßnahmen zur Luftreinhaltung bzw. zum Waldschutz die globale Erwärmung beschleunigen (218). Gefährlich am Klimawandel sei v.a. die Existenz nicht genau bestimmbarer Schwellenwerte, deren Überschreitung unabsehbare und irreversible Folgen hätte (z.B. Zusammenbruch der Nordatlantikströmung, Abschmelzen der grönländischen und antarktischen Gletscher). In dieser Eigenschaft des Klimasystems glaubt Verf. - auf den Spuren von Engels' Dialektik der Natur - ein "dialektisches Prinzip" zu erkennen, das sich auch "in gesellschaftlichen Entwicklungen oft beobachten" lasse (66).
Dass Klimaschutz in den Industrieländern mit Verweis auf die steigenden Emissionen der Schwellenländer und bes. China verzögert werde, sei "heuchlerisch und ahistorisch" (95); im übrigen könne Umweltschutz in China möglicherweise, wie Ministerpräsident Wen fordert, zum "Angelpunkt für ein neues Muster wirtschaftlicher Entwicklung" werden (97). Die Klimaschutz-Vorreiterrolle Deutschlands sei ein "Mythos" (214), solange die "Individualisierung der Klima-Verantwortung" weit verbreitet sei, obwohl ein "gesellschaftlicher Ansatz" in den beiden emissionsintensiven Bereichen Stromversorgung und Verkehr nötig wäre (103ff). Bei der Stromversorgung sei v.a. Windenergie vielversprechend, deren Potenzial beim "Drei- bis Siebenfachen" des derzeitigen globalen Stromverbrauchs liege (135). Dazu bedürfe es allerdings neuer dezentraler Netzstrukturen in öffentlichem Eigentum (141ff). Statt dem Neubau von Kohlekraftwerken sollten dezentrale Erdgas-Blockheizkraftwerke errichtet werden (163). Atomenergie scheide wegen der vielfältigen Risiken, der Endlichkeit des Urans und nicht zuletzt wegen der etwa im Vergleich zu Wind- oder importiertem Solarthermiestrom ungünstigeren CO2-Bilanz aus (205ff). Auch im Bereich Verkehr stünden mächtige wirtschaftliche Interessen den notwendigen Veränderungen entgegen, denn vom Umsatz der 100 größten Industriekonzerne der Welt entfielen rund 60 % auf Öl-, Auto- und Flugzeugbau-Konzerne (189). Ein Ansatzpunkt sei Widerstand gegen Bahnprivatisierungen, bei dem der "politische Kampf um den Klimaschutz mit dem um menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Bezahlung " verbunden werden könne (187). Biokraftstoffe hingegen seien eine Sackgasse, denn einerseits konkurrieren sie mit der Nahrungsmittelproduktion (sofern keine Abfälle verwertet werden), andererseits ist ihre Treibhausgas-Bilanz oftmals schlechter als die von herkömmlichem Benzin - aufgrund der Entwaldung der Anbauflächen, des bei Düngung entstehenden Treibhausgases N2O und der Emissionen bei Verarbeitung und Transport (190ff).
Verf. zufolge sei es unakzeptabel, "Markt und Wettbewerb zur obersten Instanz" beim Klimaschutz zu machen (215). Stattdessen müssten etwa Entscheidungen über Energieversorgung und Verkehr demokratisch und möglichst auf kommunaler Ebene getroffen werden. Anlass zur Hoffnung gebe, dass zumindest bei den Umweltverbänden im Gegensatz zu den 1990er Jahren "in letzter Zeit große Risse im neoliberalen Konsens auszumachen" seien (ebd.). Wünschenswert wären weitere Bündnisse zwischen Globalisierungskritikern, Gewerkschaftern und Umweltschützern, wie sie bei zahlreichen Initiativen gegen die Privatisierung bzw. für eine Rekommunalisierung der Stadtwerke oder in der Antikohlekraftbewegung entstehen (216f). - Verf. liefert eine nützliche und ausgewogene Sammlung von Sachargumenten zur emissionssenkenden Restrukturierung des Energie- und Verkehrssektors. Die demokratisch-emanzipatorische Perspektive ist allerdings gesellschaftstheoretisch zumeist wenig unterfüttert. Obwohl möglicherweise nicht so gemeint, klingen einige Passagen, wie z.B. dass der "nötige Umbau der Industriegesellschaft auch eine gewaltige Jobmaschine" sei (106), allzu regierungsamtlich nach grünem Kapitalismus.
Oliver Walkenhorst

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 937-938