Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hg.): Globale Armutsstrategie - ein Trojanisches Pferd? Auswege aus der Armutsspirale oder westliche Kriegsstrategien? Wien u. Berlin 2008. 362 S.

Wie so viele, bietet auch dieser Tagungsband, der die Schlaininger Sommerakademie 2008 dokumentiert, einen bunten Strauß. Die 23 Beiträge stellen unterschiedliche Ansprüche, vom Grußwort mit kritischem Ton bis zur komprimierten Analyse; auch der redaktionelle Standard ist uneinheitlich, des Öfteren leider miserabel, teils wohl aufgrund der erstaunlich kurzen Produktionszeit. In jedem Fall bietet der Band eine Reihe nützlicher Einsichten. Diese liegen allerdings eher quer zu möglichen Interpretationen des sehr breit gefächerten Titels: Die Millenium Development Goals werden an keiner Stelle hinterfragt, sondern öfters als Meilenstein oder Orientierungspunkt erwähnt, und auch die semantische Verschiebung von "Entwicklung" zu "Armutsbekämpfung" wird nicht thematisiert. Spannend sind dagegen die Überlegungen zur Verknüpfung von Entwicklungs- und Sicherheitspolitik, zu failed states und zur Interventionsproblematik sowie zu zivilgesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten. Kontroversen bleiben, wie bei Tagungsbänden auch leider üblich, zumeist implizit.

Dies gilt etwa von dem mehrmals als Paradigma eines failed state angeführten Somalia. Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) belegt eindrucksvoll, wie von IWF und Weltbank durchgesetzte Strukturanpassungsprogramme sowie später auch Nahrungsmittelhilfen in Krisensituationen die Selbstversorgungs- und Austauschkreisläufe zerstörten. In dieser "sozioökonomischen Desintegration" sieht sie "die eigentlichen Ursachen (Root Causes) des Konflikts" (104) und auch der Piraterie, die derzeit soviel Aufmerksamkeit auf sich zieht und ihren Ausgang von schlichten Überlebensstrategien perspektivlos gewordener Fischer genommen habe. Die von den USA gestützte äthiopische Intervention 2006 stürzte mit dem Regime der Union Islamischer Gerichtshöfe eine Instanz die vorübergehend "eine Art Ordnung im Lande" hergestellt und "die Piraterie fast vollständig zum Erliegen" gebracht hatte (107). Zugleich betont Haydt, dass entgegen dem common sense nicht Homogenität, sondern gerade Diversität "das Risiko von Bürgerkrieg deutlich" reduziert - Somalia war schließlich "ethnisch und religiös äußerst homogen" (110). Demgegenüber demonstriert Rainer Tetzlaff unfreiwillig, was folgt, wenn der Analysezeitraum falsch angesetzt wird: Es bleibt nur das Horrorszenario des Leitartikels: Anomie als Folge von "Bürgerkrieg" (170f); freilich betont Tetzlaff im Blick auf das Größere Horn von Afrika zurecht und anregend, dass Ordnung und Sicherheit nicht notwendig in moderner Staatlichkeit aufgehen. Gerade in dieser Region finden sich "Friedensräume" gerade jenseits der Zentralstaaten, die autochthone Ressourcen der Konfliktregulierung mobilisieren (173). Wieder eine ganz andere Geschichte erzählt Volker Matthies, der Somalia als "Epizentrum" regionaler "Gewaltkonflikte" (257) insbesondere in der Auseinandersetzung zwischen Äthiopien und Eritrea sieht, aber auch auf konstruktive Ansätze verweist, insbesondere in Somaliland, dem ehemals britischen nordwestlichen Landesteil, der sich faktisch als eigener Staat konstituiert hat. Es wäre zu wünschen, dass solche teils kontroversen, teils komplementären Sichtweisen direkter miteinander konfrontiert würden. Eine Kenntnisnahme dieser Beträge erschwert es jedenfalls erheblich, im Zusammenbruch oder Fehlen von Staatlichkeit ein Erklärungsmuster für unterschiedlichste Katastrophen und unliebsame Erscheinungen zu suchen.
Ausführlich kommen die Entwicklungspolitik, die Außenwirtschaftsstrategie und die Interventionspolitik der EU zur Sprache, nicht zuletzt der scheinbare Widerspruch zwischen den Rollen der EU als insgesamt größte Geberinstanz von Entwicklungshilfe und "Rüstungsexportweltmeisterin" (177). Auch hier wurde die Chance zur Darstellung kontroverser Positionen verschenkt; zumal Gunther Hauser von der österreichischen Landesverteidigungsakademie hat den von ihm präsentierten Zettelkasten nicht zu einer (gegenüber den kritischen Stimmen) These verdichtet, die sich dann vermutlich von der durch die Mehrheit der Beiträge vorgetragenen Kritik an der Militarisierung der Außenpolitik zumal der EU und der Verschmelzung von Sicherheits- und Entwicklungssektor unterschieden hätte. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Werner Rufs vehemente und überzeugende Kritik an der europäischen Außen- und Abschottungspolitik, die insbesondere die Rede Josef Fischers von "gleicher Augenhöhe" (128) mit den USA einmal mehr in einem besorgniserregenden Licht erscheinen lässt, sowie Elmar Altvaters Dekonstruktion der "Schutzverantwortung" (responsibility to protect), die einerseits im Schutzanspruch der Menschenrechte gründe, aber andererseits und entscheidend immer wieder und an prominentester Stelle im Kosovo-Krieg 1999 zum Vorwand einseitiger und unmandatierter Intervention genommen wurde (68ff). Auch hier findet sich in diesem Band eine implizite Kontroverse, wenn Franz Nuscheler in seiner Verteidigung des "Projektes" der Global Governance frag- und klaglos eben das Prinzip der responsibility to protect als Meilenstein auf dem Weg zu dem angestrebten Ziel eines regelhaften Weltregierens meint verbuchen zu dürfen (316).
Die Kritik, gegen die Nuscheler sich wendet, wird in dem wohl lesenswertesten Beitrag des Bandes von Ulrich Brand vorgetragen. Er verweist zum einen auf den Funktionalismus des Konzepts, das unterstellt, aus der Not werde sich die globale Kooperation zwangsläufig ergeben - den erneuten Beleg dafür liefert Nuscheler in seiner Replik (316). Wichtiger aber ist Brands sehr dichte und aufschlussreiche Skizze von Ansätzen emanzipativer Politik auf dem Hintergrund des gramscianischen Hegemoniebegriffs. Ansätze "positiver Handlungshorizonte" sieht Brand unter Verweis auf die "vielfältigen Sozialforen" vor allem in der Politisierung konkreter Konflikte, gerade weil damit ein vorschneller Bezug auf das "Allgemeine der gesamt(Welt-)Gesellschaft" und damit die erneute Fixierung auf etablierte, in Parteien und Staat gefangene Politikformen vermieden werden könnte (297f). Freilich stellt sich damit auch jeweils die Frage der konkreten Analyse des Einzelfalls, während man vermuten darf, dass die Problematik etwa der Weltsozialforen eher mit den Risiken vorschneller institutioneller Verfestigung verknüpft ist.
Insgesamt kann die Lektüre dieses schnell produzierten Tagungsbandes im Februar 2009 angesichts der vielfältigen Bezugnahmen auf Globalisierung auch dafür sensibilisieren, was in dem kurzen halben Jahr seit der Sommerakademie alles geschehen und in Erscheinung getreten ist. Heute würden manche Beiträge vermutlich anders geschrieben werden als vor dem Manifestwerden der kapitalistischen Krise.
Reinhart Kößler

Quelle: Peripherie, 29. Jahrgang, 2009, Heft 114-115, S. 362-364