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Kategorie: Rezensionen

V. M. Lampugnani, T. K. Keller, B. Buser (Hg.) 2007: Städtische Dichte. Zürich. 174 S.

N. Nathalie Mill, L. Knab (Verfass.) 2008: Qualitätsvolle innere Verdichtung. Zürich (Regionalplanung Zürich und Umgebung). 76 S.

Brandneu ist die Botschaft nicht: An der Verdichtung soll der urban sprawl genesen, soll der Verschleiss von Land und Landschaft gebremst, wenn nicht gestoppt, soll neue Urbanität geschaffen werden. Die Diskussion hierüber begann vor rund zwanzig Jahren unter dem Stichwort "Stadt- und Siedlungsentwicklung nach innen". Doch so gründlich ist das Thema wohl noch nie abgehandelt, von allen Seiten be- und durchleuchtet worden wie im Band "Städtische Dichte".

Aus zwei Quellen flossen die Materialien zusammen: Erstens aus einem Forschungsprozess am Institut für Städtebau im Netzwerk Stadt und Landschaft (NSL) der ETHZ, in welchen zwei studentische Seminare in den Studienjahren 2004 und 2005 integriert waren; zweitens aus einem Symposium, das Avenir Suisse 2003 durchführte und das den Titel trug "Städtische Dichte: Chancen und Potenziale einer wirtschaftlichen Ausnutzung".
Verdichtung als Programm wird in diesem Band eingebettet in eine Analyse der städtischen Dichte. Was ist das überhaupt? Was ist darunter zu verstehen? Antworten geben im umfangreichen Mittelteil des Buchs "ausgewählte Bestandesaufnahmen", die Vittorio Magnago Lampugnani und Thomas K. Keller mit Studierenden erarbeitet haben, und zwar zu historischen Städten, zu Zentren zeitgenössischer Metropolitanräume auf der ganzen Welt und im Besonderen zu sieben Schweizer Kernstädten.
Aus der Analyse folgen dann Erörterungen wie Abwägungen zur Handlungsmöglichkeit "verdichten". Dies geschieht aus städtebaulich-architektonischer Sicht (Vittorio Magnago Lampugnani), aus raumplanerischer Perspektive (Christian Schmid und Thomas K. Keller), aus regionalpolitischer (Stephan Bieri), aus juristischer (Hans Hagmann), aus immobilienwirtschaftlicher (Martin Hofer) sowie aus ökonomischer und sozioökonomischer Sicht (Marco Salvi und Jürg Baumberger). Das gedankliche Fundament legt Hartmut Häussermann, Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, mit seinem Beitrag "Phänomenologie und Struktur städtischer Dichte".
Häussermann zerlegt vorerst den "magischen Begriff" Dichte. Die "Aussendichte" oder bauliche Dichte ist zu unterscheiden von der "Innendichte" oder Einwohnerdichte und diese wiederum von der "Interaktionsdichte" oder sozialen Dichte. Diese verschiedenen Dichten treten nicht deckungsgleich in Erscheinung und sind auch nicht unbedingt aneinander gekoppelt. Wo zum Beispiel die bauliche Dichte zunimmt, kann die Einwohnerdichte gleichzeitig abnehmen (etwa wegen steigender Wohnfläche pro Person). Oder die Interaktionsdichte kann auch bei tiefer baulicher Dichte hoch sein, falls hochentwickelte Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen. Möglich ist auch eine Diskrepanz zwischen Tages- und Nachtdichte, ob erwünscht oder nicht. Und etliche der Dichten ziehen, wenn sie zunehmen, zwangsläufig eine Erhöhung der Regelungsdichte nach sich. Und zu bedenken ist, dass jegliche Dichte an einem gewissen Punkt in "Enge" umkippen kann.
Dichte als solche ist kein Ziel, vielmehr - mindestens eventuell - ein Mittel, um dem eigentlichen Ziel näher zu kommen. Und dieses heisst "Urbanität ". Häussermann definiert sie als "Dichte und Heterogenität", was Christian Schmid in seinem Beitrag so umschreibt: " ‹Stadt› bedeutet Austausch, Versammlung, Zusammentreffen [...] Kontraste, Überlagerungen und das Nebeneinander verschiedener Wirklichkeiten." "Stadt ist da, wo gesellschaftliche Differenzen aufeinanderprallen und produktiv werden." Und damit erreichen wir die aktuellste Definition des Urbanen: Die gute und dichte Stadt ist ein "Innovationsstandort", ein Ort der Kreativität, von dem Impulse ausgehen, wo "namentlich durch Produktion und Verteilung von Wissen komparative makroökonomische Vorteile" entstehen (Stephan Bieri).
Es geht also darum, "positive Dichte" zu erzeugen. Martin Hofer sagt es in seinem Beitrag klar und lapidar: Dichte ist dann positiv besetzt, wenn sie zur Erlebnisdichte wird. "Erst in jüngster Zeit hat die Stadtentwicklung das Phänomen der Erlebnisdichte wieder entdeckt, die nur durch Multifunktionalität entsteht. Aber erst in einzelnen Fällen wird das Rezept der Durchmischung auch praktisch wieder angewandt. ... Damit echte Durchmischung - und somit echte Erlebnisdichte - entsteht, braucht es eine sehr feinmaschige, fast parzellenscharfe Durchmischung: Publikumsnutzung im Erdgeschoss, Arbeiten und/oder Wohnen in den oberen Geschossen - und am liebsten Parzellengrössen, die mit den Hauseingängen korrespondieren."
Wie steht es nun nach so viel Erkenntnis um die Massnahme "Verdichten" oder "Nachverdichten". Ist sie das "Zaubermittel, um urbane Qualitäten zu schaffen und eine nachhaltige Stadtentwicklung zu ermöglichen" (Christian Schmid)? Vittorio Magnago Lampugnani meint, es müssten für eine Stadt der Dichte erst mal "architektonische Leitbilder" entwickelt werden und dazu das Instrumentarium, wie solche Leitbilder umgesetzt werden können. Der Bau- und Planungsrechtler Hans Hagmann hat hiezu bereits  manches anzubieten, beispielsweise Abweichungen von der Regelbauweise bei Arealund Gesamtüberbauungen oder die Gewährung von Ausnützungsboni. Hagmann plädiert vor allem für den "Nutzungstransport", d. h. die Übertragung von Nutzungen von einem  tartgrundstück (das hierauf unüberbaut bleibt) auf ein Zielgrundstück (das hierauf verdichtet überbaut werden kann). Hagmann empfiehlt die Einrichtung eines Markts, "um den Handel mit Nutzungsrechten zu ermöglichen. In den Raumordnungsplänen kantonale Richtpläne, kommunale Nutzungspläne) wären die möglichen Verdichtungsgebiete wie auch umgekehrt jene mit Reduktionspotenzialen zu bezeichnen."
Das leuchtet ein, doch sind da in der Praxis einige Hürden zu nehmen, zuerst einmal eine mentale: Urbane Dichte übt nur auf eine intellektuelle Elite Faszination aus. Es handelt sich um die dünn gesäten Menschen, "welche beim Begriff ‹Stadt› unwillkürlich an ihre bevorzugten und relativ privilegierten urbanen Reservate zu denken pflegen - etwa Greenwich Village, Saint-Germain-des-Prés oder viele Altstadtquartiere europäischer Städte" (Jörg Baumberger). Für das Gros der Bewohner europäischer Länder ist das Häuschen in Suburbia nach wie vor das Ideal. Martin Hofer führt Beispiele an, wo Eigentümer und Bewohner sich erfolgreich gegen jegliche Nachverdichtungsversuche der Stadtentwickler gewehrt haben. Und er weist auch hin auf den Zusammenhang zwischen Dichte und Landwert bzw. Rendite: Je höher die Dichte, desto höher der Profit, desto höher der Preis, was dann wieder der angestrebten Multifunktionalität und Durchmischung im Weg steht.
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Und nun der Sprung aus den Höhen der Dichtephilosophie in die Niederungen der Verdichtungspraxis.
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Die Regionalplanung Zürich und Umgebung hat einen Leitfaden herausgegeben mit dem Titel "Qualitätsvolle innere Verdichtung - Anregungen für die Praxis". Das Heft richtet sich vor allem an Baubehörden und Kommunalpolitiker. Es will aufzeigen, "welche Möglichkeiten die öffentliche Hand besitzt, um die innere Verdichtung zu unterstützen und zu fördern." Die Handlungsanweisungen beschränken sich dabei auf den Wohnungsbau und auf den Kanton Zürich, also das zürcherische Bau- und Planungsrecht.
Einleitend wird zusammengefasst, was "innere Verdichtung" soll:
"Mit der inneren Verdichtung werden von der öffentlichen Hand die planerischen Ziele verfolgt, die Ausdehnung des Siedlungsgebiets zu vermeiden und die Siedlungsstrukturen zu verbessern. Dies bedeutet:
• zusätzlichen Einwohnerinnen und Einwohnern sowie neuen Arbeitsplätzen innerhalb des bestehenden Siedlungsgebiets Platz zu bieten;
• der wachsenden Wohnflächenbeanspruchung (Wohnfläche pro Person) der heutigen Bevölkerung Rechnung zu tragen;
• den Verbrauch an unüberbautem Land zu senken;
• die Wohn- und Arbeitsplätze vorrangig im Einzugsbereich von Haltestellen des ÖV anzuordnen;
• Wohn- und Arbeitsplätze so anzuordnen, dass die Infrastrukturen effizient bereitgestellt werden können und
• generell kompakte Siedlungsstrukturen zu schaffen."
Erläutert werden sodann die baulichen Massnahmen der inneren Verdichtung, als da sind: Baulücken überbauen, Anbau, Aufstockung, Ergänzungsbau, Abbruch und Ersatzneubau. Und gleich folgen unter dem Zwischentitel "Qualität statt Quantität" die Vorbehalte, nämlich worauf zu achten ist, damit die Nutzung der "inneren Reserven" in einem Siedlungsgebiet zu einer echten Verbesserung führt. Da wäre zuerst einmal auf die "Körnigkeit" und die "Bautypologie" eines Gebiets zu achten; die zusätzlichen Volumen sollen nicht zu Brüchen und Veränderungssprüngen führen. Weiter hat (hoffentlich) jeder Ort seine Identitätsmerkmale. Mit ihnen ist behutsam umzugehen; der Ort soll nicht verfremdet werden. Es besteht aber die Chance, "neue Identitätsmerkmale zu schaffen". Schliesslich darf der Nachverdichtung nicht die Qualität der Aussenräume geopfert werden. Wenn irgend möglich soll sogar versucht werden, die privaten, halböffentlichen und öffentlichen Freiräume gleichzeitig mit einer Verdichtungsmassnahme aufzuwerten und bewohnerfreundlicher zu gestalten.
Im zentralen Teil der Broschüre folgen dann die konkreten Instrumente, mit denen "eine Gemeinde lenkend einwirken" kann, wobei klargestellt wird, dass ohne den Willen der Grundeigentümer nichts geht. Die Baubehörden könnten dennoch eine aktive und motivierende Rolle übernehmen. Die Instrumente werden hierauf einzeln erläutert. Hier seien sie nur kurz aufgelistet:
• Städtebauliche Leitbilder, Stadtentwicklungskonzepte als Basis;
• ein "Nachverdichtungsartikel" in der kommunalen Bauordnung;
• ein "Gestaltungsartikel" in der Bauordnung;
• Sicherung der Identitätsmerkmale eines Gebiets in der Bauordnung;
• Nutzungsziffern (Überbauungsziffer, Freiflächenziffer) für die Sicherung des Aussenraums;
• Sonderbauvorschriften und Gestaltungspläne;
• Wettbewerbspflicht für grössere Vorhaben;
• vorgängige Testplanungen oder Studienaufträge;
• Beratung durch die Gemeindebehörden;
• Beizug von Fachgutachtern;
• Erarbeitung von Merkblättern und Checklisten zuhanden der Grundeigentümer und deren Architekten.
Die einzelnen Instrumente werden nicht abstrakt erklärt, sondern stets mit real bereits existierenden Beispielen illustriert. Und zum Schluss führt die Broschüre dreizehn exemplarische realisierte Beispiele in Bild und Text und mit Kennzahlen vor, Beispiele eben für Baulückenschliessung, Aufstockung, Anbau, Abriss und Ersatzneubau sowie verschiedene Kombinationen solcher Massnahmen. So können sich Bauherren wie Behördemitglieder ein klares Bild machen und ein Urteil bilden. Sie können sich auch vor Ort näher informieren, sich mit den angeführten Baubehörden, Bauherren, Architekten vernetzen. Und die Architektur- und Städtebaukritik kann mit ihren Räsonnements einsetzen.
Rudolf Schilling

Quelle: disP 173, 2/2008, S. 69-70