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Kategorie: Rezensionen

Friederike Habermann: Der homo oeconomicus und das Andere. Hegemonie, Identität und Emanzipation. Baden-Baden 2008. 320 S.

Das Buch ist eine kritisch-theoretische Intervention und eine Einführung in linke Theorieentwicklung zugleich. Ausgangspunkt von Friederike Habermanns Überlegungen ist die Frage, wie die Verschränktheit der Herrschaftsverhältnisse - sie untersucht vor allem Kapitalismus, Rassismus und Sexismus - theoretisch gefasst werden kann. Auch wenn es verschiedene Versuche gibt, diese Verschränktheit ernst zu nehmen, werden diese in den meisten Arbeiten zumeist als additive Herrschaftsverhältnisse (+ Klasse + Rasse - Geschlecht entspricht dann z.B. einem 'reichen', 'weißen' und 'weiblichen' Subjekt) verstanden. Eine solche (intersektionale) Herangehensweise ist allerdings äußerst unbefriedigend. Denn hierbei wird impliziert, dass sowohl Herrschaftsverhältnisse wie auch Lebensweisen und Identitäten eindeutig voneinander isolierbar wären (vgl. S.24f.).


Immerhin gehen diese Herangehensweisen über die meisten marxistischen Theorieansätze hinaus, die häufig implizit (und interessanterweise verstärkt wieder explizit) die anachronistische Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenwiderspruch hervorholen. Trotz anderslautender Bekundungen werden hierbei Sexismus und Rassismus zwar (manchmal) als eigenständige Herrschaftsverhältnisse gesehen. Jedoch werden sie als immer schon durch den Kapitalismus überformt verstanden, der selbst wiederum von diesen Verhältnissen seltsam unberührt bleibt.
Während sich insbesondere marxistische und neo-marxistische Theorien mit einer Kapitalismusanalyse beschäftigen, gibt es verschiedene postkoloniale Theoriestränge, die der Unterdrückung von people of colour nachgehen. Feministische Theorien haben patriarchale Herrschaftsverhältnisse analysiert. Auch wenn es immer wieder zu Überschneidungen zwischen diesen Theorien kam, wurden sie bislang nicht systematisch zueinander in Beziehung gesetzt.
Genau an dieser Stelle setzt nun Habermann an. Ihre These lautet, dass sich die Verwobenheit der Herrschaftsverhältnisse in den einzelnen Identitäten ausdrückt. Um die Herrschaftsverhältnisse angemessen analysieren (und kritisieren!) zu können, bedarf es eines entsprechenden Ansatzes, der das Subjekt als Ausgangspunkt der Analyse nimmt. Zugleich muss es darum gehen, "die bisherigen Verkrustungen zwischen den Theorien zu überwinden" (S. 12).
Als Grundlage für eine Verflechtung der verschiedenen Theoriestränge nimmt Habermann den Hegemoniebegriff Antonio Gramscis. Dieser beinhaltet eine Auffassung von Macht, die vor allem auf der Fähigkeit beruht, die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen als u.a. politische, kulturelle und sozioökonomische Strukturen zu universalisieren. Hierbei geht es daher weniger um ein politisches Bündnis der führenden gesellschaftlichen Gruppen als um die gesellschaftliche Universalisierung einer (partikularen) Ideologie und damit auch um die hegemoniale Konstruktion von bestimmten Identitäten. Nicht integrierbare Interessen und Identitäten müssen, notfalls mit Gewalt, unterdrückt oder ausgeschlossen werden.
Habermann spürt dem Hegemoniebegriff in verschiedenen Theorieansätzen nach. Angefangen von neomarxistischen, regulationstheoretischen und neogramscianischen Konzepten, geht sie über zu dessen Verwendung bei Michel Foucault und Jacques Derrida. Die poststrukturalistische Synthese dieser Ansätze findet sie bei Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, die u.a. die These aufstellen, dass alle sozialen Beziehungen und Identitäten einen politischen Ursprung haben. Soziale Handlungen und Identitäten bilden sich heraus, indem über hegemoniale Auseinandersetzungen bestimmte Handlungen und Beziehungen privilegiert und andere unterdrückt werden.
Diesen Ansatz ergänzt Habermann nun sowohl mit der postkolonialen Theorie Stuart Halls als auch mit der postfeministischen Theorie Judith Butlers. So entwickelt sie in ihrem Buch Stück für Stück einen Entwurf, den sie selbst als eine subjekttheoretisch fundierte Hegemonietheorie bezeichnet. Hierbei wird nicht nur deutlich, dass ein solcher Ansatz nicht im Widerspruch zu einer historisch-materialistischen Hegemonietheorie stehen muss. Vielmehr ist das Buch auch ein Angebot und eine Aufforderung zur Kommunikation zwischen den - und zum queeren von - Theoriesträngen und -traditionen, die viel zu lange getrennt voneinander entwickelt und gedacht wurden.
Anwendung finden die Überlegungen von Habermann in der systematischen Aufarbeitung des Leitbilds des homo oeconomicus in der Wirtschaftstheorie. Auch untersucht sie, wie dieses Leitbild in den Identitätskonstruktionen innerhalb der westlichen Hemisphäre hegemonial geworden ist und sich durch verschiedene Globalisierungsprozesse weltweit in vielen Gesellschaften durchsetzte.
Habermanns Buch stellt nicht nur eine inspirierende Einführung in die - und eine Kritik an den - spannendsten Theorien unserer Zeit dar. Es zeigt zugleich auf, in welche Richtung ein kritischer linker Theorieansatz heute gehen kann, der Theoriearbeit als politische Praxis begreift und bei ihr immer auch im Zusammenhang mit politischem Aktivismus steht. In dem Buch wird die Lebendigkeit eines solchen Ansatzes deutlich: Emanzipation nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern als lebendige Praxis. Insofern schließe ich mich Habermanns Forderung unumwunden an: "Queeremos!"
Joscha Wullweber

 

Quelle: Peripherie, 29. Jahrgang, 2009, Heft 114-115, S. 370-372