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Kategorie: Rezensionen

Jason Glynos u. David R. Howarth: Logics of Critical Explanation in Social and Political Theory. London u.a. 2007. 264 S.

Das Buch von Jason Glynos und David R. Howarth kann als eloquente Ausarbeitung einer kritischen Theorie der Methodik (Methodologie) wie auch als politische Intervention und damit als der Versuch gesehen werden, ein vorherrschendes und, wie die Autoren betonen, verkürztes Verständnis von sozial- und politikwissenschaftlichem Arbeiten zu dekonstruieren. Beide Autoren sind u.a. Schüler von Ernesto Laclau und waren maßgeblich am Aufbau der Essex-Schule für Ideologie- und Diskursanalyse beteiligt. Als solche fokussieren die Autoren vor allem auf die Reproduktion und Veränderung hegemonialer Ordnungen und Praktiken bzw. auf die Entwicklung einer theoretischen "Grammatik" zur Analyse der Frage, wie bestimmte politische Projekte und soziale Praktiken hegemonial werden.


Hierbei werden positivistische Erklärungen wie Rational-Choice Ansätze und spieltheoretische Annahmen innerhalb der Geisteswissenschaften kritisiert, da diese davon ausgehen, naturgesetzmäßige und ahistorische Modelle sozialen Handelns entwickeln zu können, und dabei einem naiven Glauben an die Objektivität der Dinge anhängen. Gleichzeitig werden Ansätze abgelehnt, die sich nur auf die Selbstwahrnehmung der Subjekte stützen und sich jeglichen Verallgemeinerungen widersetzen. Auch wird Sichtweisen eine Absage erteilt, die - in der Tradition Kants - meinen, Fakten und Analyse scharf von Kritik und normativen Fragen trennen zu können, indem die (scheinbare) Wertneutralität geisteswissenschaftlicher Untersuchungen hoch gehalten wird. Dem wird ein kritischer Theorieansatz gegenüber gestellt, der eine Trennung von ForscherIn und Untersuchungsobjekt für unmöglich hält und sich von Anfang an auch als emanzipatorische Praxis versteht.
Der von Glynos und Howarth entwickelte Ansatz fußt auf einer Ontologie, die von TheoretikerInnen wie Lacan, Foucault, Wittgenstein, Derrida und natürlich Laclau & Mouffe beeinflusst wurde. Diese basiert auf der Annahme einer essentiellen Instabilität und damit einer Kontingenz, Historizität und Prekarität sozialer Strukturen. Eine solche Sichtweise ermöglicht die Betonung des konstruierten und damit politischen Charakters sozialer Objektivität. Hierbei soll die Selbstwahrnehmung sozialer Akteure ernstgenommen und gleichzeitig die Analyse nicht auf subjektive Sichtweisen reduziert werden. Es wird also ein Ansatz vorgestellt, der ein bestimmtes methodologisches Analyseraster mit einem bestimmten Grad an Allgemeingültigkeit entwickelt und zugleich die Spezifität jeder empirischen Untersuchung respektieren soll.
Hierfür machen Glynos und Howarth den Begriff der Logik stark. Eine Logik ist einerseits immer historisch spezifisch, existiert also nicht unabhängig vom historischen, sozio-politischen Kontext und beschreibt zugleich ein über diese Spezifität hinausgehendes allgemeines Muster (eine "Grammatik"). Drei allgemeine Formen von Logiken - soziale, politische und phantasmatische - werden ausgearbeitet. Die dieser Unterscheidung zugrunde liegende These lautet, dass das Politische und das Soziale nicht eindeutig voneinander trennbare Bereiche sind. Alle sozialen Beziehungen haben einen politischen Ursprung: Soziale Handlungen und Beziehungen bilden sich heraus, indem über hegemoniale Kämpfe bestimmte Handlungen und Beziehungen privilegiert und andere unterdrückt werden. In dem Moment, in dem sich bestimmte Handlungen gegenüber konkurrierenden durchsetzen und hegemonial werden, gerät der ursprünglich politische Charakter dieser Handlungen über die Zeit in Vergessenheit. Den Begriff der phantasmatischen Logik leiten die Autoren hingegen von Lacans Begriff der jouissance (in etwa: Genuss, Freude) ab. Mit ihm soll die treibende Kraft von Handlungen erklärt werden, also die Frage, wieso bestimmte Praxen und Handlungsregime von den Subjekten angenommen werden und über einen bestimmten Zeitraum relativ stabil bleiben. Im Bereich des Sozialen hat die Logik der Fantasie eine stabilisierende Wirkung, indem der natürliche Charakter einer sozialen Ordnung betont wird, während diese Logik politischen Praxen eine bestimmte Richtung und Kraft gibt.
Ihre grundlegende Forschungsmethode bezeichnen sie als Artikulation, verstanden als ein In-Beziehung-Setzen von Empirie und Theorie. Diese setzt sich aus fünf Schritten zusammen: Problematisierung des Gegenstands; Entwicklung einer retroduktiven Erklärung (als Alternative zu deduktiven und induktiven Erklärungen); Herausarbeiten von konkreten Logiken; konkrete Artikulation von spezifischer Empirie und Theorie und schließlich die Ausarbeitung einer kritischen (und damit auch normativen und ethischen) Bewertung der Ergebnisse.
Insgesamt ist der Band ein gelungenes Werk, das die untrennbare Einheit von Theorie, Methodologie und Praxis überzeugend und mittels vieler empirischer Beispiele anschaulich darstellt. Die schwierigen diskurstheoretischen Begriffe und der nicht immer ganz eingängige dekonstruktive Jargon werden auch Nicht-Eingeweihten verständlich erklärt, ohne die komplexen theoretischen Annahmen zu versimplifizieren. Nur der Begriff der phantasmatischen Logik ist nicht überzeugend. Weder kann erklärt werden, woher diese treibende Kraft kommt, noch, warum sie immer eine stabilisierende Wirkung haben soll. Während die Autoren mit diesem Begriff richtigerweise betonen wollen, dass die Kontingenz immer eine eingeschränkte Kontingenz ist, wird zur Erklärung dieser Einschränkung unnötigerweise ein transzendentes Prinzip eingeführt. Hier sind die Arbeiten von Bob Jessop und insbesondere sein Begriff der strategischen Selektivität überzeugender.
Alles in allem handelt sich bei diesem Buch um eine viel versprechende, umfassende und äußerst innovative Ausarbeitung einer Methodologie, die eine überzeugende Alternative zu positivistischen und hermeneutischen Ansätzen bietet.
Joscha Wullweber

 

Quelle: Peripherie, 29. Jahrgang, 2009, Heft 114-115, S. 374-375