Gabi Troeger-Weiss, Peter Jurczek (Hg.): Goldkronacher Gespräche zur Regional- und Kommunalentwicklung, Dokumentation eines Erfahrungs- und Meinungsaustausches. Kaiserslautern 2008 (Sonderheft der Schriftenreihe: Materialien zur Regionalentwicklung und Raumordnung, Heft 25).94 S.

Nehmen wir es gleich vorweg. Die Publikation unter dem Titel "Goldkronacher Gespräche zur Regional- und Kommunalentwicklung", mit Beiträgen aus Deutschland, Estland, Finnland Österreich, Schweiz und Slowenien, übersteigt im Endeffekt nationale Fragestellungen. Sie greift auch über die engere Thematik der Regional- und Kommunalentwicklung hinaus - die Grundfragen und die Entwicklungskräfte wie raumrelevante Trends, Governance- Strukturen, Migration, demographischer Wandel, Schrumpfung der Bevölkerung (und der Raumansprüche?), ländlicher Raum, Nachhaltigkeit usw. sind elementar verbreitet, also nicht primär regional-kommunaler Art. Dass sie Auswirkungen vor Ort zeitigen, darf vermutet, sogar vorausgesetzt werden. Offen sind Art und Intensität, je nach dem sozio-ökonomischen Umfeld, je nach der Bereitschaft zur Innovation im Gleichklang mit dem Bestreben des kulturellen Bewahrens.  


Die Initiative und die Organisation für die hier zu besprechenden jüngsten der mehreren Tagungen lagen in den Händen von Professorin Gabi Troeger- Weiss (TU Kaiserslautern), mitinspiriert von Professor Peter Jurczek (TU Chemnitz). Auf weitere Begegnungen mit ebenso reicher wissenschaftlicher und praxisrelevanter Ausbeute ist zu hoffen. Spannend wird die künftige Rolle der Gespräche sein. Bleibt es bei einer "Ad-hoc-Gruppierung", gewinnen die Gespräche gar einen festen Platz innerhalb der Regional- und Kommunalwissenschaften? "Börsen " des Austausches und des Disputierens sind für die Raumwissenschaften und die entsprechende Praxis unerlässlich, vor allem in einer Zeit, die im "Wissenschaftsgetriebe" eine gewisse Neigung zu einseitigen "Trendverstärkungen" in Richtung Life- Sciences verrät. Echte Aufbrüche ereignen sich eher im kritischen Dialog denn im unkritischen Mitgehen.  
Zwei Abhandlungen wecken erhöhtes Interesse: Frau Professorin G. Troeger-Weiss spürt die raumrelevanten Trends auf - mit Blick auf die Regional- und Kommunalentwicklung. Sie handelt auslotend von der Demographie, der Siedlungsstruktur, der ökonomischen Entwicklung und vom Arbeitsmarkt im Besonderen. Sie setzt voraus, dass es zunächst um Megatrends geht, die allgemein relevant sind, also international, national, regional und kommunal, allerdings unterschiedlich bezüglich der Ansprache und Absteckung, vor allem aber hinsichtlich der konkreten Auswirkungen. Unter den Megatrends fallen folgende Stichworte auf: Zunahme intelligenter Systeme, Länger Leben, Klimawandel, Bedeutungszuwachs von Asien, Sprachen mit Schwerpunkt Englisch, Urbanisierung, Frauen, Arbeitswelt. Konkretisierend geht es aus deutscher Sicht vor allem darum, die demographischen Aspekte im Auge zu behalten - mit den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, das Wohnungsangebot, die Bildungs- und Versorgungsinfrastruktur, die technische Infrastruktur, die seniorengerechte Ausstattung und die kommunalen Finanzen. Weitere Dimensionen mit zahlreichen Fokussierungen kommen dazu. Daraus lässt sich eine innovative Liste offener Probleme erstellen, auch für schweizerische Planungen, die teilweise (für wie lange?) unter anderen Vorzeichen stehen.  Nicht minder anregend, wenn auch vermeintlich gegenwärtig für die Schweiz nicht aktuell, sind die Ausführungen von Gerlind Weber, Professorin an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie befasst sich mit der "Schrumpfung" als Herausforderung für eine wachstumsorientierte Raumplanung. Allein schon die hier vorfindbare Darstellung der denkbaren "negativen Entwicklungsspirale" gebietet Aufmerksamkeit. Die Folgeaufgaben von der Implementierung der Nachhaltigkeit über die Aufgaben- und Instrumentenerweiterung bis zur Neufassung des Rollenverständnisses der Raumplanung bedarf der kritischen Diskussion und Vertiefung. Genügt der Hinweis auf das partnerschaftliche Kooperieren? Zu unterstreichen ist: Einmal mehr zeigt sich, wie elementar das Prinzip der Nachhaltigkeit für die innere Tauglichkeit und Rechtfertigung der Raumplanung ist - ob in Phasen des Schrumpfens, ob in Phasen des Wachstums.
Ein Problem bleibt. Aufgrund der Definition der Zielgruppen und der Themenwahl für die Gespräche geht es, wenn ich recht sehe, eher um einen Erfahrungsaustausch als um wissenschaftlichtheoretische Erkenntnisse. Dies ist vertretbar und durchaus gewinnbringend. Zu fragen aber ist, ob es unter diesen Umständen angezeigt ist, von der Leitung her auf neuen Ansätzen und Konzepten zu insistieren. Sicherlich, diese Akzente tönen attraktiv und ermuntern die Autoren, als Vordenker zu operieren. Wenn es aber wirklich darum geht, neue Ansätze und Konzepte nachvollziehbar und kritisierbar zu unterbreiten, dann genügt das Ausbreiten von Informationen nicht. Theoretisches Reflektieren, mindestens Vergleiche wären gefragt. Und dies lässt sich als echte Bereicherung wünschen, mindestens für einen Teil der Referate.
Martin Lendi

 

Quelle: disP 174, 3/2008, S. 84-85