Drucken
Kategorie: Rezensionen

Peter Plander: Die Herausforderungen der neuen EU-Strukturförderung für die ungarische Raumordnungspolitik. Augsburg (Schriften zur Raumordnung und Landesplanung, Band 28) 2008. 91 S.

Die Diplomarbeit des ungarischen Geographen Peter Plander enthält bedenkenswerte Ansätze zur Weiterentwicklung der ungarischen Raumordnung. Nach einer gut gegliederten und übersichtlichen Darstellung der europäischen Strukturförderung - wobei er allerdings auf das "Mainstreaming" der städtischen Dimension in der Förderperiode 2007-2013 nicht eingeht - wendet er sich seinem eigentlichen Gegenstand, der Betrachtung der ungarischen Raumordnungspolitik zu.

Erkennbar schwebt ihm als Leitbild für eine Reform der ungarischen Raumordnung das Beispiel von Bayern vor - angesichts der vielfältigen historischen und kulturellen Verflechtungen des Freistaats mit Ungarn sowie der annähernd gleichen Grössenordnung im Hinblick auf die jeweilige Fläche und Bevölkerung eine durchaus plausible Überlegung.  
Der Autor konstatiert eine Zunahme der räumlichen Disparitäten seit Ende der 90er Jahre und macht dafür Mängel des Gesetzes über Raumentwicklung und Raumordnung aus dem Jahre 1996, insbesondere eine fehlende Verpflichtung der raumrelevanten Fachressorts auf die Ziele der Raumordnung verantwortlich. Für den Rezensenten scheint eher der - unabhängig von der parteipolitischen Couleur der jeweiligen Regierung - mangelnde politische Wille zur Umsetzung der Ziele der Raumordnung das Hauptproblem zu sein, zumal § 8 des Gesetzes nicht nur dem für die Raumordnung zuständigen Minister umfangreiche konzeptionelle und koordinierende Befugnisse einräumt, sondern auch alle (Fach-)Minister ausdrücklich darauf verpflichtet, "bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben den in diesem Gesetz festgelegten Zielen Geltung zu verschaffen". Plander erkennt in diesem Zusammenhang sehr richtig eine Gefahr, die neben der Raumordnung auch in der Stadtentwicklungspolitik Ungarns latent vorhanden ist - die Gefahr, dass die Förderung aus den EU-Strukturfonds eingesetzt wird, ohne auf die räumliche Nachhaltigkeit der jeweiligen Massnahme zu achten: "Die Fördermittel werden [...] themenbezogen vergeben, die anhand einer ausgewählten, stark wirtschaftsbezogenen Prioritätenliste erstellt worden sind und unter der Federführung von einzelnen Fachpolitiken stehen. Den Planungsregionen wird dabei kein grosser Spielraum im Rahmen ihrer Regionalen Operationellen Programme überlassen.".  
Eingehend befasst sich Plander mit der Verwaltungsstruktur Ungarns und hält es für "unerlässlich, dass die Ebene der statistischen Planungsregionen als eine eigenständige Ebene der planenden Verwaltung etabliert wird", zumal dies die Ebene sei, "auf der die europäische Förderpolitik zum Tragen kommt". Bei aller planungs- und verwaltungssystematischen Nachvollziehbarkeit dieser Argumentation befällt den Rezensenten doch der leise Zweifel, ob die ohnehin schon überbordende und sich häufig gegenseitig blockierende Behördenlandschaft Ungarns nicht eher umgekehrt schlanker, dafür aber effektiver ausgestaltet werden müsste.  
Regionen haben in Ungarn keine Tradition, die klassische "Trias" lautet Staat - Komitat (Landkreis) - Gemeinde. Im Zuge der Neuordnung der kommunalen Selbstverwaltung seit 1990 sind die Komitate entscheidend geschwächt worden und fungieren im Wesentlichen nur noch als Träger der überörtlichen Daseinsvorsorge (Krankenhäuser, höhere Schulen, Museen usw.). Im Übrigen gab es die Regionen bereits einmal, allerdings nicht als Ebene der kommunalen Selbstverwaltung, wie von Plander vorgeschlagen, sondern ähnlich den bayerischen Bezirksregierungen als staatliche Mittelinstanz - sie waren 1990 eingeführt und nach einem Regierungswechsel 1994 wieder abgeschafft bzw. zur Aufsichtbehörde für die einzelnen Komitate umgestaltet worden. Das von Plander stark favorisierte bayerische Modell weist den - parallel zu den Bezirksregierungen als Selbstverwaltungskörperschaften ausgestalteten - Bezirken im Übrigen auch keine umfassenden Aufgaben zu. Sachgerechter und dem bayerischen Modell ähnlicher wäre vermutlich die Wiedereinführung der staatlichen Mittelinstanz und die Stärkung der Komitate durch Übertragung von staatlichen Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung als untere staatliche Instanz bei gleichzeitiger Straffung der zahllosen Sonderverwaltungen. Klar erkennbar wird das Versagen des derzeitigen Systems z. B. bei den chaotisch und ineffizient strukturierten Bauaufsichtsbehörden. Insoweit ist Plander bei seinem Ruf nach "Reform an Haupt und Gliedern" unbedingt beizupflichten, bei dem "Wie?" dieser Reform gibt es allerdings noch erheblichen Klärungsbedarf. Ein Weg dahin  könnte nach Plander sein, echte "Planungsregionen" einzuführen, die ausschliesslich Regionalplanung betreiben und zwar in der Ausformung, dass sämtliche in der fraglichen Region liegenden und in einem Regionalen Planungsverband zusammengefassten kommunalen Gebietskörperschaften (im übertragenen Wirkungskreis) Träger dieser Regionalplanung sind. Nach Meinung des Rezensenten sollten dann im Gegenzug zwecks Verschlankung des Systems die "Entwicklungsräte" der einzelnen Komitate sowie der Regionen in ihrer jetzigen Form abgeschafft werden.  
Plander fordert schliesslich als Instrument zur Stärkung der Raumordung die "Einführung eines Raumordnungsverfahrens nach bayerischem Vorbild ". Abgesehen davon, dass in Ungarn die Einführung neuer Verfahren kaum eine Garantie für eine tatsächliche Verbesserung der Sachlage bietet, ist dem Verfasser offenbar entgangen, dass nach § 23/D. Abs. 1 des Raumordnungsgesetzes ein solches Verfahren im Wesentlichen bereits vorgesehen ist: "Für Netze der technischen Infrastruktur von räumlicher Bedeutung und singuläre Bauwerke, die in den Raumordnungsplänen nicht enthalten und durch besondere Rechtsvorschriften bestimmt sind, ist eine räumliche Flächennutzungsgenehmigung des staatlichen Chefarchitekten erforderlich." Die staatlichen "Chefarchitekten" - eine noch etwas realsozialistisch klingende Wortkreation - nehmen Aufgaben wahr, die in etwa denen der Höheren Verwaltungsbehörde nach dem deutschen Baugesetzbuch (BauGB) bei der Bauleitplanung entsprechen; die zitierte und der Bauleitplanung vorgreiflich wahrzunehmende Aufgabe ist erst vor Kurzem hinzugekommen und dem Autor vermutlich daher entgangen.  
Derartige kleine sachliche Ungenauigkeiten mindern aber keineswegs den Wert der Arbeit als übersichtlichen und mit sachlich begründeten Verbesserungsvorschlägen versehenen Einstieg in die Fragen der Raumordnung in Ungarn.
János Brenner

 

Quelle: disP 174, 3/2008, S. 85-86