Sönke Widderich: Die sozialen Auswirkungen des kubanischen Transformationsprozesses. Kiel 2002 (Kieler Geographische Schriften 106). 185 S.

Die Dissertation über die sozialen Auswirkungen des kubanischen Transformationsprozesses ist eine erste aktuelle und umfassende Bestandsaufnahme der Veränderungen in den Bereichen Arbeit, Versorgung und Wohnen des seit den 1990er Jahren andauernden Transformationsprozesses im "socialismo tropical".

Das Buch gliedert sich in 5 Hauptkapitel: "Zielsetzung und Aufbau der Arbeit", "Entwicklungen im Arbeitssektor und Veränderung der Einkommensstruktur", "Versorgungslage und Konsummöglichkeiten für die Bevölkerung", "Wohnsektor" sowie "Die kubanische Gesellschaft im Wandel". Einleitend (S. 1-13) erklärt der Autor Ursachen des kubanischen Transformationsprozesses und zeichnet die staatlichen Reformen und deren Wirkungen nach, wodurch der Leser einen Überblick über den Strukturwandel Kubas während der Sonderperiode zu Friedenszeiten (período especial) erhält. Kernstück des ersten Teils ist weiterhin die Frage, ob es sich bei Kuba wirklich um ein Transformationsland handelt. Ungeachtet spekulativer Szenarien, ob der Transformationsprozess in Kuba zu einer Marktwirtschaft oder zu einem vollständigen Systemwechsel vom Sozialismus zur demokratischen Gesellschaft westlichen Vorbilds führt, argumentiert der Autor bei der Beantwortung nicht trennscharf genug, sondern bedient sich lediglich des Arguments, dass Kubas klassische Exportprodukte wie Zuckerrohr und dessen Derivate durch Massentourismus und finanziellen Familienzuwendungen aus dem Ausland (remesas) als Hauptdevisenquellen substituiert wurden. Die vorsichtige Antwort auf diese Frage, wenngleich eine tiefgehende Analyse der sozialen Komponenten im Hauptteil erfolgt, ist für den Leser unerfreulich und verdeutlicht ihm nicht in ausreichendem Maße die Dichotomie des kubanischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems seit 1989.

Teil II (S. 13-23) erläutert Zielsetzung und Aufbau der Arbeit. Die zentrale Fragestellung nach den sozialen Auswirkungen des Transformationsprozesses und damit nach den Lebensverhältnissen der kubanischen Bevölkerung erfolgt dabei folgerichtig nach ausgewählten Aspekten der Grundbedürfnisse (Arbeit und Einkommen, Grundversorgung, Wohnen). Die Schwierigkeit empirischer Arbeit, die verzerrte Datenlage offizieller Quellen bzw. unvollständige Zeitreihen in Kuba rechtfertigen diese Vorgehensweise, genauso wie die Beschränkung auf eine Untersuchungsregion des Landes, Havanna.Teil III (S. 23-53) beleuchtet den ersten Teil der empirischen Analyse - Arbeitssektor und Einkommensstruktur. Der Autor zeigt auf, wie sich der Arbeitssektor während der período especial verändert hat, welche neuen Beschäftigungsmöglichkeiten im privatwirtschaftlichen Bereich durch die Reformmaßnahmen eröffnet wurden und welche Veränderungen sich dadurch in der Einkommensstruktur der Bevölkerung ergaben. Die Verarbeitung von Informationen aus persönlichen Gesprächen und die Ergebnisse der Haushaltsbefragung liefern dabei ein objektives und realistisches Bild der momentanen Ungleichgewichte bei den Haushaltseinkommen in Kuba durch Beschäftigung im staatlichen bzw. privatwirtschaftlichen Bereich oder durch Zuwendungen von Familienangehörigen aus dem Ausland. Auf dieser Basis gelingt es dem Bearbeiter, die Zunahme der Einkommensdisparitäten und damit direkt die sozialen Auswirkungen auf andere Bereiche darzustellen. Dazu zählen die Diskussion der Versorgungslage und der Konsummöglichkeiten der Bevölkerung, welche im Teil IV (S. 53-119) besprochen werden. Die Dokumentation beginnt bei der Produktion und dem Import von Grundnahrungsmitteln. Der Verfasser beleuchtet die Schwierigkeiten im Agrarsektor, der wegen der Konzentration auf den Zuckerrohranbau nie in der Lage war, genügend Nahrungsmittel für die Bedürfnisbefriedigung der Kubaner zu produzieren. Kuba musste von jeher einen Großteil der Lebensmittel importieren. Überleitend schließt sich eine Diskussion der Versorgungskrise der Bevölkerung an, die ihren Höhepunkt 1993/94 erreichte und bis heute - jedoch abgeschwächt - anhält, ebenfalls initiiert durch interne Strukturdefizite Kubas und fehlender Weltmarktintegration ab 1989. Gleichzeitig unternimmt Widderich eine Strukturierung verschiedener Markt- und Angebotsformen, über welche die Güter des Grundbedarfs den Verbraucher erreichen und die während der Reformphase z.T. neu entstanden. Dabei wird dem Leser der auf Kuba allgegenwärtige Dualismus zwischen Distributionsformen basierend auf der Nationalwährung und dem USDollar sehr deutlich. Eine folgende Betrachtung der Nachfragerstruktur auf Haushaltsebene dient der Bewertung dieser Angebotsformen bei der Befriedigung der Bevölkerung mit Artikeln des Grundbedarfs. Letzte Komponente zur Beurteilung der sozialen Dimension der kubanischen Transformation - der Wohnsektor - wird im Teil V (S. 119-134) abgebildet. Dabei wird vom Autor die Entwicklung im Wohnungswesen zwischen 1959 und 1989 sowie die Veränderung in der anschließenden Phase der Desintegration Kubas skizziert. Auf dieser Basis unternimmt Widderich den Versuch, den Wohnungssektor unter dem Focus des sich gegenwärtig vollziehenden gesellschaftlichen Wandels prognostisch zu beurteilen. Die Auswertung primär- und sekundärstatistischer Daten für die dargestellten Bereiche erreichen die vom Verfasser verfolgte Zielstellung. Das Bild wird durch Teil VI (S. 134-150) 'Kubanische Gesellschaft im Wandel' vervollständigt. Erläuterungen zum Bildungs- und Gesundheitssystem sowie zum sozialen Sicherungssystem schließen sich an, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die auf Kuba zu verzeichnenden sozialen Ungleichheiten primär durch die Öffnung der Einkommensschere in der Bevölkerung hervorgerufen wurden. Leider gelang es dem Verfasser nicht immer, die sich sinnvoll ergänzenden Abschnitte in Beziehung zu setzen. Dies beeinträchtigt teilweise den analytischen Charakter der ansonsten sehr informativen Arbeit. Insgesamt ist die Dissertation allen zu empfehlen, die Informationen zu den gesellschaftlichen Auswirkungen des kubanischen Transformationsprozesses suchen.

Autor: Daniel Krüger

Quelle: Die Erde, 134. Jahrgang, 2003, Heft 3, S. 275-276