Norbert Gestring u. a. (Hg.): Jahrbuch StadtRegion 2007/08. Arme reiche Stadt. Opladen 2008. 218 S.

Ob die ›französischen Verhältnisse‹ singulär bleiben oder aufgrund der – politisch betriebenen – sozialen Segregation auch in anderen europäischen Städten zur Realität werden können, ist eine Frage, die die Stadtforschung seit einigen Jahren verstärkt umtreibt. Allen Beiträgen des Bandes liegt die Annahme zugrunde, dass die sozialräumlichen Gegensätze innerhalb der untersuchten Städte größer geworden sind.

Ausnahmen von dieser Regel bilden Zürich und ostdeutsche Städte. Frank Ritterhof zeigt für Zürich, dass trotz einer deutlichen Einkommenspolarisierung die sozialräumliche Polarisierung aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes und fehlender Wahlmöglichkeiten gering bleibt. In ostdeutschen Städten führte die umfangreiche Sanierungstätigkeit (sowie die Abwanderung ins Umland und nach Westdeutschland) zu ›Entdichtungen‹. Die für Sanierungsprozesse typische  Stadtteilaufwertung durch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen fand kaum statt. Die Verdrängung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen blieb daher aus, wie Jan Glatter und Karin Wiest feststellen. Bei der Untersuchung überschuldeter Privathaushalte konnten Andreas Farwick und Werner Petrowsky einen starken Zusammenhang zwischen Überschuldung und der Kumulation verschiedener Dimensionen von Armut ermitteln, der auf eine »noch stärkere räumliche Polarisierung gesellschaftlicher Teilhabechancen von städtischen Bewohnern, als bisher schon bekannt war« (84), schließen lässt. Die Beiträge, die sich mit der räumlichen Dynamik in der gespaltenen Stadt befassen, ernüchtern – ein Eindruck, den insbesondere Günter Tempel verstärkt, indem er für Bremen einen Zusammenhang zwischen sozialräumlicher Polarisierung und Mortalität nachweist.
Ingrid Breckner untersucht, welche Wirkung Stiftungen auf die Stadtentwicklung haben und ob sie die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge kompensieren können. So seien die Hamburger Bürgerstiftungen durch ihr Konzept der Bürgerbeteiligung durchaus in der Lage, städtische Lebenswelten unmittelbar zu gestalten. Die Arbeit der Stiftung › Lebendige Stadt‹ erweise sich bei genauerem Hinsehen jedoch als »urbanes Standortmarketing mit verdeckten privaten Interessen« (96). In einer Analyse des deutschen Wohnungsmarktes kommt Andre Holm zum Schluss, dass die am Shareholder Value orientierten Akteure der Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestandes »keine stadtentwicklungspolitische Verantwortung« übernehmen und »insbesondere die Versorgung von ärmeren Bevölkerungsgruppen
nicht gewährleisten« können (107). Die von Richard Florida propagierte Idee, die Verbesserung der Lebensumstände der ›Kreativen Klasse‹ würde Standortentscheidungen von Unternehmen beeinflussen und letztlich allen Stadtbewohnern zugute kommen, lässt laut Herbert Glasauer solide Wissenschaftlichkeit vermissen. Problematisch sei, dass weder diese Gruppe noch ihre gemeinsamen Interessen genau identifiziert werden können und der positive Effekt auf Stadtentwicklungsprozesse nicht nachweisbar ist.


Als anregend erweist sich der umfangreiche Rezensionsteil. Dort wird etwa auf eine innovative Untersuchung von Marcus Menzl verwiesen, die Homogenität von Raumstrukturen und Alltagspraktiken in den Randgebieten Hamburgs auf die Selbstselektion der Akteure zurückführt, statt jene als ›Raumeffekt‹ zu begreifen. Dass soziale Netzwerke, die auf der subjektiven, geographischen und sozialen Einbettung von Individuen beruhen, an Bedeutung gewinnen, ist der Schluss, den Marina Hennig aus ihrer Sichtung der Literatur zur Netzwerkanalyse zieht. Nicht der administrativ defi nierte und territorial abgegrenzte Sozialraum, in dem Individuen nach Merkmalen wie Geschlecht, Alter und Status gruppiert sind, sondern die sozialen Beziehungen selbst seien zu untersuchen, um die soziale Integration beurteilen zu können. – Abschließend dokumentiert das Buch Methoden, Begriffe und statistisches Material zur Analyse ausgewählter Stadtregionen. Damit bietet das Buch eine wichtige  Recherchemöglichkeit für die weitere Forschung.
Taruna Julika Schlüter

 

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, S. 354-355