Drucken
Kategorie: Rezensionen

Cedric Janowicz: Zur sozialen Ökologie urbaner Räume. Afrikanische Städte im Spannungsfeld von demographischer Entwicklung und Nahrungsversorgung. Bielefeld 2008. 436 S.

Der Autor dieser Dissertation hat einen hohen Anspruch: Er will einen Beitrag leisten zum „Verstehen der Wechselwirkungen zwischen dem demographischen Prozess der Urbanisierung und der Nahrungsversorgung“ (S. 11). Er geht dabei von einer sozial-ökologischen Perspektive aus, um die Beziehungen zwischen Individuum, Gesellschaft und Natur zu verstehen.

Gut zwei Drittel des Bandes verwendet Janowicz darauf, die konzeptionellen Grundlagen für seine Studie zu legen. Nach einer ausführlichen Einführung in zentrale Fragestellungen der sozialen Ökologie stellt er in Anlehnung an Martina Löw den Raum als Brückenkonzept vor, das zwischen sozio- und naturzentrierten Zugängen zu vermitteln in der Lage sei. Daran anschließend entwickelt er einen zweiten Argumentationsstrang: den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Nahrungsversorgung, insbesondere in den urbanen Zentren der Entwicklungsländer. Dieser Teil ist überschrieben „Auf der Suche nach den Diskursaufspaltungen“. In der Tat ist faszinierend, wie er in diesem Teil seiner Arbeit Denkfiguren aus sehr unterschiedlichen Diskursen und verschiedenen Wissenschaften referiert: Er gibt seine Interpretation der Geschichte der Demographie als Wissenschaft, setzt sich mit den globalen Urbanisierungsprozessen und der spezifischen afrikanischen Urbanisierungsgeschichte auseinander und charakterisiert die Funktion von urbaner Landwirtschaft in Afrika. Viele seiner Exkurse sind interessant und geistreich, seine Argumentation ist auch durchweg mit empirischen Befunden aus den Sozial- und Humanwissenschaften belegt. Aber eine stimmige Synthese, die Überwindung der von ihm konstatierten „Diskursaufspaltungen“, gelingt dem Autor doch nicht so recht. Nach so viel Vorspiel, so viel Bemühung um eine konzeptionelle Basis für die eigene Arbeit folgt der letzte Teil des Bandes, der überschrieben ist: „Auf der Suche nach der afrikanischen Stadt“. Im Kern handelt es sich um eine empirische Untersuchung des Versorgungssystems der ghanaischen Hauptstadt Accra, einschließlich der Versorgung über urbane Landwirtschaft. Die Studie ist als Einzelfallstudie angelegt. Zentrale Feldforschungsmethoden waren Experteninterviews und narrative Interviews mit 13 Bauern, die in Accra städtische Landwirtschaft betreiben. Darüber hinaus hat Janowicz Sekundärliteratur zu Accra und Ghana ausgewertet. Allerdings fällt auf, dass er sich in die auf Ghana bezogene Literatur nicht so gründlich eingearbeitet hat, wie man es nach seiner wirklich sehr breit entfalteten Literaturanalyse in den vorangegangenen konzeptionellen Kapiteln hätte erwarten können. So fehlen zum Beispiel in seiner Bibliographie die neueren empirischen Arbeiten von Jacob Songsore und Carola Lentz. Sehr schade ist auch, dass er die wunderbar dichte sozio-ökonomische Studie über die Kenkey-Frauen in Accra von Rocksloh-Papendieck aus dem Jahre 1988 nicht zur Kenntnis genommen hat. Aussagekräftig wird der empirische Teil der Arbeit da, wo aus den transkribierten Interviews zitiert wird, zum Beispiel wenn der Bauer Emmanuel zu Wort kommt (S. 354). Doch die Interpretation und Analyse dessen, was Informanten dem Autor erzählt haben, kommt an vielen Stellen etwas kurz. Er interpretiert das gegenwärtige Versorgungssystem Accras als die Konkurrenz zwischen zwei  Strukturprinzipien, dem „traditionellen, stark gruppenorientierten und auf Reziprozität und Subsistenz ausgerichteten Modell und dem stärker individualisierten, monetarisierten, …urban dominierten Lebensstil“ (S. 313). Gleichsam nebenbei stellt er die These auf, dass „in Accra das rurale Subsistenzsystem, …das das Fortbestehen der Gruppe ermöglichte“ verloren gegangen sei (S. 312). Diese These wird leider kaum belegt. Auch bei der anschließenden Auseinandersetzung mit urbaner Landwirtschaft und ihren Rahmenbedingungen (der ghanaischen Landwirtschaftspolitik und den Besonderheiten des ghanaischen Bodenrechts) verliert er sie wieder aus dem Auge. Aus der Art, wie er sein empirisches Material vorlegt, ist nicht herauszulesen, ob sich in Accra eine hybride Form von subsistentem / gruppenbezogenem und eher individualisiertem / monetarisiertem Lebensstil eingestellt hat. Dabei wäre genau das eine interessante Fährte gewesen. Seine Schlussfolgerung aus der Empirie ist lediglich der Befund, dass die Nahrungsversorgung in Accra ein Beispiel für „fehlgeschlagene Regulation“ sei, eine These, die mit dem Hinweis auf regelmäßig auftretende Versorgungskrisen nur dünn belegt ist. Vielleicht war Janowiczs Feldaufenthalt in Accra zu kurz, vielleicht waren die Forschungsfragen für die Feldforschung nicht klar genug, vielleicht hat er die transkribierten Interviews nicht gründlich genug analysiert – jedenfalls bleibt der Leser nach der Lektüre seines empirischen Teils mit vielen offenen Fragen zurück.
Einhard Schmidt-Kallert

 

Quelle: Die Erde, 141. Jahrgang, 2010, Heft 1-2, S. 85-86