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Kategorie: Rezensionen

Kurt Gilgen: Raum hat keine Lobby.  Anekdoten und 99 Thesen zur Raumplanung Schweiz. Zürich 2009. 320 S.

Nicht jedes Buch zur Raumplanung braucht wissenschaftlich zu sein. Denn: Die Raumplanung ist vorweg eine öffentliche Aufgabe. Als solche bedarf sie zwar der wissenschaftlichen Bereicherung und Kritik, doch tut sie gut daran, sich aus ihrem Erstanliegen heraus an die breite Öffentlichkeit, an die Parlamentarier, die Exekutiven, die Verwaltungen, die Planungsbüros, aber auch an die privatwirtschaftlichen und öffentlichen Unternehmungen zu wenden.

Raumplanung muss verstanden sein, sie muss verständlich sein. Akzeptanz und Legitimation muss sie gewinnen – wiederkehrend, unter sich verändernden Bedingungen. Dazu verhelfen Darstellungen der Raumplanung, die sich an die Stimmbürger genau so adressieren wie an die Fachleute. Von einer neuen ist hier die Rede: «Raumplanung hat keine Lobby», verfasst von Kurt Gilgen. Der gewählte Titel verdeutlicht: Die Raumplanung akzentuiert öffentliche Interessen, mit ihr ist kein Prestige zu gewinnen.
Wichtig ist deshalb, dass von der Raumplanung gehandelt wird. Den inhaltlich zentralen Beitrag leisten derzeit – mindestens der Menge nach – die «rechtswissenschaftlichen Abhandlungen» – materielle Portraits des grossen Wurfes und amtliche Konzeptvorstellungen beflügeln weniger unmittelbar. Greifbar sind: Kommentare zum RPG, zu kantonalen Planungs- und Baugesetzen, systematische Abhandlungen, Monographien zu gewichtigen Teilthemata, von der Baupflicht bis zur Grundsatzgesetzgebung. Sie beeinflussen das Raumplanungsund Baurecht des Bundes und der Kantone, von der Sinnstiftung über die Brückenschläge zum raumrelevanten Recht bis hin zur Anwendung und Durchsetzung. Dies reicht aber nicht hin. Von Normen her in Normen zu denken, genügt nicht! Für eine gelingende Raumplanung bedarf es, dies kann nicht genug betont werden (gerade auch von juristischer Seite) sorgfältiger materieller Problemanalysen samt interdisziplinärem Seitenblick auf die Welt der Tatsachen, auf deren Politik- und Rechtsrelevanz sowie inhaltsreicher Klärungen, was Raumplanung ist, was sie leisten kann/muss und was sie gerade nicht zu erreichen imstande ist. Die Substanz der Verantwortung für den Lebensraum, gekoppelt an die Prioritäts-Ziele der Raumplanung, muss einwirken.
Die Zahl entsprechender «Lehrbücher zur Raumplanung», die sachliches, methodisches und
erst noch ökonomisches, gesellschaftliches und rechtliches Wissen verknüpfen und handlungsfähig machen, ist mindestens in der Schweiz nicht sehr gross. Dies ist gleich mehrfach zu bedauern. Raumplanung ist nicht Selbstzweck. Sie dient den Menschen. Dies zwingt zu ausholendem Analysieren und fokussierendem Normieren. Nicht zuletzt darf sich die hiesige Raumplanung zeigen, auch international. Sie hat Klarheiten geschaffen, die weit herum Beachtung verdienen: Kompromisslose Integration der Raumplanung als öffentliche Aufgabe in den Rechtsstaat, Einbindung in die politischen Prozesse, konsequentes Beachten der Grundrechte mit Einschluss der Gewährleistung des Eigentums, volle Entschädigung bei formeller und materieller Enteignung, Pflege der Lehre von den Schranken der Eigentumsfreiheit, demokratische Entscheidungen zum Raumplanungsrecht und stellenweise zum Erlass von Plänen, deutliche Abgrenzungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftsplanung, umgekehrt sachlich bedingte Nähe zur politischen Planung, Dreiklang von demokratischer Mitbestimmung, Planungspartizipation und Rechtsschutz, ausgereiftes Plansystem abgestimmt auf den (föderativen) Bundesstaat usw.
Einer der Autoren, der sich seit Jahren mit dem «Wesen und den Funktionen der Raumplanung» in der Schweiz befasst, ist der besagte Kurt Gilgen, dessen neustes Werk es mit Nachdruck anzuzeigen gilt – ein erfahrener Raumplaner praktischer Provenienz und seit vielen Semestern engagierter Lehrer der Raumplanung/Raumentwicklung an der Hochschule für Technik in Rapperswil. Praxisnah und doch den ausholenden Vernetzungen der Raumplanung auf der Spur. Nachdem er die Akzente früher auf die örtliche Planung und die Planungsmethodik gelegt hatte und nachdem er sich die Gewandtheit angeeignet hat, sich sachlich breit, dennoch verständlich und informativ zu äussern, publiziert er nun eine umfassende Darstellung der Anliegen und der Vorgehensweisen der Raumplanung, gegliedert nach 99 Thesen im Sinne von Kernaussagen, gewürzt mit Anekdoten und Erfahrungsschätzen, unterlegt mit vielen alltagstauglichen Befunden. Der innerste Autorenwunsch weist wohl in Richtung der Sicherung des sachlich-politischen Stellenwertes der Raumplanung im Konzert der öffentlichen Aufgaben. Allein mit seinem neuen Opus wird er dies wohl kaum schaffen. Einen Kernbeitrag aber leistet er. Beachtenswert.
Mit dem neuen Werk stehen vor uns gleichsam gemeinverständliche «Allgemeine Lehren zur
Raumplanung» – nicht wissenschaftlich hergeleitet, nicht als Theoriensumme ausgebreitet, nicht systemisch systematisch entwickelt, sondern als bedachter Erfahrungsschatz. Verdichtet führen diese den Leser geschickt durch die vielseitigen Facetten, mittels der 99 sog. Thesen. Die grösseren Zusammenhänge werden im Nachvollzug der rubrizierenden Kapitel luzid. Hier sind, in begrenzter Auswahl, einige Titel: Sicherung der Grundversorgung, Ökologischer Rahmen, Siedlungsqualität, Verantwortung für den Raum, Nutzung des Grundeigentums, Planungsinstrumente und Planungsräume, Controlling, Zukunftsbilder oder Standortwettbewerb, Ressourcen und Umweltbelastung – Novellierung des Schweizer  Planungsrechts. Sicherlich liesse sich vieles anmerken, auch Kritisches. Oft möchte man gar widersprechen. Dies macht aber für einmal keinen Sinn. Wichtig ist einzig, dass von der Raumplanung (lesenswert, anregend und herausfordernd) geredet wird, verständlich, aufgrund bewährter Zutritte, gerechtfertigt durch eigene Erfahrungen, gestützt durch gewonnene, überprüfbare Einsichten.


Das an den Schluss gesetzte Stichwort der Revision des Bundesgesetzes über die Raumplanung markiert Aktualität. Bekanntlich ist eine Erneuerung des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG) angesagt. Der verwaltungsseitige Vernehmlassungsentwurf vom Dezember 2008 zu einem Raumentwicklungsgesetz (REG) überzeugt nicht, sicherlich nicht in allen Teilen. Er wird unter kritischer Nachprüfung der Verfassungsmässigkeit und der Sorgfalt der Gesetzgebung substantiell überarbeitet werden müssen, doch darf festgehalten werden: Er bringt einige wichtige Themata (teilweise erneut?) zur Sprache. Warum, eine Vorfrage erster Güte, wird der geltende verfassungsrechtliche Rechtsbegriff der Raumplanung verleugnet und durch Raumentwicklung ersetzt, obwohl auch dieser Begriff bereits seine eigene Geschichte hat?
Verdienstvoll, dass Kurt Gilgen mit seinem Werk zur rechten Zeit den Bogen weit spannt und daran erinnert, um was es bei der Raumplanung wirklich geht.
Martin Lendi

 


Quelle: disP 176, 1/2009, S. 61-62