Drucken
Kategorie: Rezensionen

Hanspeter Buba u. Susanne Globisch: Ökologische Sozialcharaktere. Von Weltveränderern, Egoisten und Resignierten. Persönlichkeitstyp und Lebenswelt als Basis von Umweltverhalten. München 2008. 134 S.

Als wesentliches Merkmal der ökologischen Herausforderung wird das teilweise eklatante Auseinanderklaffen von geäußertem Umweltbewusstsein und entsprechenden Handlungsweisen angesehen, sodass das allgemein verbreitete gewohnheitsmäßige ›Weiter so‹ unangetastet bleibt. Ein trauriges Paradebeispiel dafür ist der mehr als zögerliche Umstieg auf Ökostrom. Allerdings zeigen neue Forschungsergebnisse wie die hier vorgestellten, dass die einfache Dichotomie von Umwelteinstellung und -verhalten die Realität nicht hinreichend erfasst, und dass alltagstauglichere Konzepte vielversprechender auch für die Förderung umweltfreundlichen Verhaltens sind.

Verf. schöpfen aus einem reichen Fundus an Studien. Sie geben einen guten Einblick in die   sozialwissenschaftliche Debatte zur Erklärung unterschiedlichen Umweltverhaltens und identifi zieren drei maßgebliche Konzepte: Lebensformen und -phasen, Lebens- und bes. Konsumstile sowie ökologische Sozialcharaktere (12). Letzteres entwickeln Verf. durch Verknüpfung der beiden ersten mit Elementen der Persönlichkeitspsychologie. Sie folgen dabei der Einsicht, dass »grundlegende, individuelle Haltungen in Bezug auf sich selbst (Selbstvertrauen) und andere (Sozialvertrauen)« maßgeblich für die Herausbildung spezifischer »Copingstile« gegenüber Umweltherausforderungen sind: »Umwelteinstellungen und besonders das Umweltverhalten sind sehr viel enger als bislang angenommen mit dem allgemeinen sozialen Verhalten des Menschen und seinem generalisierten Menschenbild verknüpft.« (76) Auf diese Weise konstruieren Verf. vier Verhaltenstypen: der Typus »Weltveränderer « hat die Einstellung »Es gibt eine Lösung und ich werde mich dafür einsetzen, sie zu verwirklichen«; der »überforderte Helfer« lebt nach dem Motto »Ich hoffe, es gibt eine Lösung, aber sie muss von anderen ausgehen. Ich kann dazu wenig oder nichts beitragen«; der »Egoist aus Überzeugung« hingegen vertritt die Überzeugung »Es gibt sowieso keine Lösung und deswegen brauche ich auf nichts und niemanden Rücksicht zu nehmen«; der »Resignierte« schließlich glaubt »Es wird keine Lösung geben und diese Tatsache belastet mich so sehr, dass ich am liebsten gar nicht daran denke« (15). Auf der Grundlage der Ergebnisse der Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamts von 2000 ermitteln Verf. für die vier »ökologischen Sozialcharaktere« folgende Anteile an der Bevölkerung in Deutschland: 27 % Weltveränderer, 30 % überforderte Helfer, 13 % Egoisten aus Überzeugung und 30 % Resignierte (78). Zusammenhänge zwischen »ökologischen Sozialcharakteren« und »soziodemografischen Fakten« zeigen sich v.a. bei der Herkunftsregion: im Westen Deutschlands gibt es mehr Weltveränderer, im Osten mehr überforderte Helfer und Resignierte (ebd.). Zudem gebe es Zusammenhänge mit dem Alter (Weltveränderer sind eher im mittleren Alter, ältere Menschen sind eher überforderte Helfer), besonders aber mit der Bildung: Je höher diese ist, umso höher sei der Anteil der Weltveränderer, je niedriger diese ist, umso höher sei der Anteil der Resignierten (ebd.).
Das wichtigste theoretisch-konzeptionelle Forschungsresultat liegt in der Aussage, dass »umweltrelevantes Verhalten« von »einer Reihe anderer Wertorientierungen, Einstellungen, Basiskompetenzen, aber auch von den mit Lebenswelten verbundenen Obligationen, Zeitstrukturen und Rollen sowie gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflusst« wird und folglich dieses »komplexe Gefüge von Zusammenhängen vollständiger zu erfassen« ist (98).
Zur Förderung von Umweltengagement und umweltfreundlichem Verhalten empfehlen Verf., die typenspezifi sche Sichtweise stärker zu betonen (102) und dabei das breite Spektrum an Instrumenten und Diskursformen gezielter als bisher einzusetzen. Sie beschreiben dazu pädagogische Initiativen, Umweltkommunikation, social marketing und geben konkrete Anregungen für die Umweltkommunikation mit jedem der vier Verhaltenstypen (106ff). Dabei wird deutlich, dass es z.B. wenig Sinn macht, den Resignierten noch einmal das ganze Horrorszenario der akuten Bedrohungen vor Augen zu führen, sondern dass andere Zugangswege gesucht werden müssen: »Beeinflussbar erscheinen diese nur durch fi nanziellen Druck, rechtliche Maßnahmen, Gewinn an Prestige, Sicherheit und Bequemlichkeit« (110).
Wie wichtig solche praxisorientierten Erkenntnisse sind, lässt sich z.B. an der hochproblematischen weltweiten Verbreitung nichtnachhaltiger Konsummuster erahnen, deren Dynamik von Gerhard Schulze als  »Steigerungsspiel« in »Erlebnisgesellschaften« beschrieben worden ist: Die Individuen werden »gewissermaßen in einen Sog der Erweiterung, Perfektionierung und Vermehrung gezwungen«, der »sich dann in den herrschenden Konsummuster nausdrückt« (18). Die Ergebnisse der Verf. zeigen, »dass die Verbreitung von Nachhaltigkeitsorientierungen als Chance für einen Ausweg aus diesem ›Steigerungsspiel‹ gesehen  werden kann« (ebd.). Das Lernen des aufrechten Gangs, die Befreiung aus der Leistungsmühle, die Schaffung von Emanzipationschancen und andere Topoi linker Strategie sind demnach höchst relevant für das Überleben der Gattung Mensch. Die Stärkung von Handlungskompetenzen ist wichtiger denn je. Verf. gehen davon aus, dass »Selbstvertrauen« und »soziale Verantwortung« Basiskompetenzen darstellen, die einen Großteil der Umwelteinstellungen und des tatsächlichen Umweltverhaltens erklären. Beide stehen »in engem Zusammenhang mit den Grundsatzproblemen, die es so schwierig machen, Nachhaltigkeit zu verbreiten: die Konfrontation mit komplexen Zusammenhängen, mit Ungewissheit und Informationsmangel, die Wahrnehmungsprobleme in Bezug auf Umweltentwicklung und ihre lokalen wie globalen Auswirkungen, die geringen, nicht erkennbaren Effekte eigenen Handelns« (111). Daraus leiten Verf. ab, dass die »ökologischen Grundsatzprobleme offenbar auf der Basis der Werthaltungen, die mit Selbstvertrauen und Sozialvertrauen sowie -verantwortung verbunden sind, gelöst werden müssen« (ebd.).


Dieses Buch führt die Debatte über Umweltbewusstsein und –verhalten konstruktiv weiter und ist  außerordentlich anregend, indem es neue, sehr fruchtbar scheinende, alltagstaugliche Denk- und Handlungsakzente setzt. Da diese Erkenntnisse überdies nicht nur im Bereich der Umweltpolitik relevant sind, ist Verf. eine überaus nützliche und sehr empfehlenswerte Publikation gelungen.
Edgar Göll

 

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, S. 369-371