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Kategorie: Rezensionen

Theo Rauch: Entwicklungspolitik. – Braunschweig (Das Geographische Seminar) 2009. 383 S.

Von der ersten bis zur letzten Seite merkt man es diesem Buch an: Hier spricht ein ausgewiesener Praktiker, der nicht nur den Alltag der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) aus eigener Erfahrung bestens kennt, sondern der außerdem diese Erfahrungen auch schon seit vielen Jahren an Studierende weitergibt. Auf fast 400 Seiten liefert der Band einen Überblick über Ziele, Formen und Strategien der EZ, fasst deren Veränderungen im Verlauf verschiedener historischer Phasen zusammen, stellt ausführlich die wesentlichen Problemdimensionen und Instrumente der Entwicklungspolitik vor und setzt sich konstruktiv-kritisch mit deren praktischer Umsetzung auseinander.

Der Fokus liegt dabei eindeutig auf der Praxis der EZ, während Entwicklungstheorie im eigentlichen Sinne hier nicht im Mittelpunkt steht. Das komplizierte Gerüst an entwicklungspolitisch relevanten Institutionen wird nicht in allen Details nachgezeichnet, sondern nur so weit skizziert, dass die widersprüchlichen Interessen und Einflussmöglichkeiten nachvollziehbar werden, die die Entwicklungspolitik prägen. Der Band schließt in der Studienliteratur eine Lücke, die der inzwischen nach zahlreichen Neuauflagen etwas angestaubte „Nuscheler“ hinterlassen hat. Dabei ist er aber ganz gewiss nicht einfach ein „Ersatz“, sondernaufgrund seiner hervorragenden Ausstattung, der didaktisch ansprechenden Aufbereitung des Stoffes und der Aktualität seiner Inhalte eine echte Neuerung, die allen entwicklungspolitisch Interessierten zur Lektüre empfohlen werden kann. Die gelungene Aufmachung als Lehrbuch zeigt sich in dem gut lesbaren Text, in zahlreichen farbigen Abbildungen, tabellarischen Übersichten, Zusammenfassungen zu jedem Kapitel und weiterführenden Literaturhinweisen. Besonders hervorzuheben sind die in dem Buch durchscheinenden geographischen Perspektiven, die zwar nicht explizit in den Vordergrund gestellt werden, aber doch die fachliche Heimat des Autors erkennen lassen. Beispiele dafür sind die Ausführungen zur Multidimensionalität von Entwicklungsprozessen, zu Mehr-Ebenen-Ansätzen, zu Problemen der Mensch-Umwelt-Beziehungen im Entwicklungskontext oder zu aktuell diskutierten Theorien. Den Westermann-Verlag kann man zu diesem Band in der Reihe „Das Geographische Seminar“ beglückwünschen, aber an diese Adresse gehen auch zwei kleine Kritikpunkte: Beim Formatieren des Textes gingen komplette Zeilen verloren (S. 87, 95). Und die Umschlaggestaltung mit einem Satellitenbild von Istanbul mag zwar zum einheitlichen Erscheinungsbild der Reihe passen, aber gewiss nicht zum Inhalt dieses Buches. Anzumerken ist noch, dass das Literaturverzeichnis nur einen vergleichsweise kleinen Anteil an englischsprachigen Titeln aufführt, was jedoch zu dem recht stark auf die deutsche Entwicklungspolitik gerichteten Fokus passt. Die Intention dieser Publikation wird ganz offensichtlich durch die Biographie des Autors getragen und wirkt dadurch besonders glaubwürdig: Das Buch bleibt nicht bei der selbstkritischen Einsicht stehen, dass in der Entwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte vieles daneben gegangen ist, und es verliert sich auch nicht in den luftigen Höhen der Theoriediskussion, sondern kommt immer wieder auf den Boden der entwicklungspraktischen Tatsachen zurück. Damit vermittelt es den Leserinnen und Lesern (und insbesondere Studierenden) zweierlei: erstens einen fundierten und aktuellen Überblick zu dem komplexen Themenfeld der Entwicklungspolitik; und zweitens eine Ermutigung, sich weiter mit dieser Thematik zu befassen.
Detlef Müller-Mahn

 

Quelle: Die Erde, 141. Jahrgang, 2010, Heft 1-2, S. 150-151