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Kategorie: Rezensionen

Lutz Zündorf: Das Weltsystem des Erdöls. Entstehungszusammenhang, Funktionsweise, Wandlungstendenzen. Wiesbaden 2008. 320 S.

Erdöl ist eine nicht vermehrbare, vielfältig nutzbare und daher international umkämpfte Ressource. Um diesen Rohstoff hat sich seit der ökonomischen Erschließung der ersten Lagerstätten in Pennsylvania im Jahre 1859 ein komplexes und dynamisches Kontrollsystem aus Staaten, Unternehmen, Organisationen und Märkten herausgebildet. Lutz Zündorf analysiert in seinem Buch genau jene politischen und ökonomischen Funktionsweisen und Entwicklungsdynamiken, die zu einer „Weltwirtschaft des Erdöls“ führten.

Dabei unterteilt er sein Werk in die sechs Kapitel „Struktur und Dynamik der kapitalistischen Weltwirtschaft“, „Lange Wellen der ölbasierten Wirtschaft“, „Inkorporation externer Regionen“, „Gegenmacht aus der Peripherie“, „weltwirtschaftlichen Integration“ und „Zukunft des Erdölsystems“.
Der Autor führt kurz und verständlich in die Konzeption unterschiedlicher Hemisphären der globalen Weltwirtschaft (Zentrum versus Peripherie) ein und zeigt deren raumbezogene wirtschaftliche Interaktionen. Es folgt die Darstellung zentraler Elemente des Kapitalismus Profitstreben, Innovation und Expansion anhand klassischer ökonomischer und politischer Entwicklungstheorien (u.a. Wallerstein, Schumpeter,
Weber) sowie eine interessanten Abhandlung über die Kondratieff-Zyklen. Diese Zyklen können nach Zündorf als Grundmechanismus der anschließend analysierten Herrschaftszyklen verstanden werden.
Darauf aufbauend konstruiert Zündorf die langen Wellen der ölbasierten Wirtschaft. Der Autor zeigt dabei anhand zahlreicher Statistiken nicht nur die historische Entwicklung und Projektion der weltweiten Erdölförderung, sondern rückt gekonnt die besondere Stellung des schwarzen Goldes für dieWirtschaft, insbesondere der Vereinigten Staaten, anhand des Öl-Auto-Komplexes in den Vordergrund. Er beleuchtet dabei ebenso die ökonomischen und politischen Prozesse, die die außerhalb der Weltwirtschaft liegenden ölreichen Regionen in das Weltsystems des Erdöls integrierten. Diese Entwicklung blieb nicht ohne Reaktionen (z.B. OPEC, Ölkrisen 1970 und 1973) und so werden folgerichtig die Wahrnehmung und Wertung dieser Inkorporationsprozesse in pheripheren Regionen anhand von wirtschaftlichen und Machtmechanismen thematisiert. Nach der Phase der Konfrontation tritt eine Phase der weltwirtschaftlichen Integration von Unternehmen und Regierungen der Peripherie. Zündorf untersucht dabei neue Koordinations- und Marktmechanismen, die die bis heute andauernde Phase des ölbasierten Wirtschaftssystems charakterisieren. Dabei analysiert er den Wandel des alten Erdölregimes der multinationalen Konzerne Standard Oil (Exxon), British Petrolium (BP) und Royal Dutch/Shell, des OPEC-Kartells sowie das aktuell dominierende Erdölregime, bei dem die Preisbildung über Angebot und Nachfrage geregelt wird.
Der Autor beschränkt sich auch in seinem Ausblick zur weiteren Entwicklung auf ökonomische Fragen und die damit verbundenen politischen Verflechtungen. Seine Ausführungen zur Zukunft des Erdölsystems können mit den angeführten Modellen des zyklischenWandels nur ungenau angedeutet werden. Trotz dieser Unschärfe, die sich zum Teil aus der Vielzahl der Einflussfaktoren und möglichen Entwicklungstrends
erklären lassen, werden die grundlegenden Entwicklungstendenzen informativ dargestellt: zunehmende Disparitäten im Weltsystem, weitere Expansion des Kapitalismus, Erschließung weiterer ölreicher, bisher ausgelassener oder unzugänglicher Regionen, Vermehrung von Gegenmachtpotenzialen der Peripherie sowie der andauernde Kampf um Ordnung und Vorherrschaft.
Es ist dem Autor gelungen, ein komplexes System fundiert zu analysieren. Denn eines wird in seinem Buch deutlich: Das System der erdölbasierten Wirtschaft verliert zukünftig die Dominanz innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftregimes der westlichen Staatenwelt. Es verändern sich nicht nur das Wirtschaftsystem (Kondratieff-Zyklen), sondern auch die vielfältigen Kooperationsbeziehungen zwischen den
unterschiedlichen Hemisphären. Die Lektüre des Buches „Weltsystem des Erdöls“ kann ausdrücklich empfohlen werden, da es neben grundlegenden wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen sowie der Instrumentalisierung von Staaten, Konzernen und Marktkräften bei der Erschließung und Nutzung des Erdöls auch die aktuelle Diskussion um die Zukunft der erdölbasierten Wirtschaft anschneidet.
Christian Hanke

 

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 54 (2010) Heft 2, S. 135-136