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Kategorie: Rezensionen

Martin Pries: Waterfronts im Wandel: Baltimore und New York. Stuttgart (Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg 100) 2008. 274 S.

Leben am Wasser ist eines der zentralen Gestaltungskonzepte, die in der Stadtentwicklung und in der Stadtplanung noch geblieben sind. Vermutlich gerade weil es den Städtebauern so schwer fällt, vom Denken in Zuwächsen an Sozialprodukt, Arbeitsplätzen, Bevölkerung, Siedlungsfläche usw. Abschied zu nehmen, hat die Umgestaltung und Wiederbelebung von Ufern und Häfen eine geradezu paradigmatische Funktion gewonnen. Hier scheint der Übergang von der Wachstumsplanung zur Schrumpfungsplanung zu gelingen und auch noch eine hohe gestalterisch-ästhetische wie auch entwicklungspolitisch-ökonomische Herausforderung darzustellen.

Ob Köln (Rheinauhafen), Duisburg (Innenhafen), Düsseldorf (Medienhafen), Bremen (Überseestadt) oder Hamburg (Hafencity), allein diese deutschen Beispiel zeigen schon die Relevanz des Themas. Doch ist dies ein weltweites Phänomen, in London, Newcastle, Barcelona oder Marseille wären bekannte Beispiele, sie finden sich aber auch in Übersee. Martin Pries hat sich speziell der "Wasserfront im Wandel" in New York und Baltimore zugewandt und schildert auf mehr als 200 Seiten die Entwicklung in diesen beiden Städten an der amerikanischen Ostküste.
Die Arbeit stellt den Hafen in den Mittelpunkt. Die Entwicklung der Häfen sowie ihrer zugeordneten Funktionen und die dort ablaufenden, im Wesentlichen von der Technologie, insbesondere der Verkehrstechnologie getriebenen Veränderungen stehen daher im Mittelpunkt des ersten Hauptabschnittes der Habilitationsschrift. Der zweite Abschnitt wird als theoretischer Untersuchungsansatz bezeichnet. In ihm wird breit auf den Städtebau der Moderne (Charta von Athen etc.), insbesondere in den USA sowie auf die Hinwendung zur Postmoderne eingegangen. Im Kern der Arbeit stehen die Geschichte, die Veränderungen und die Planungskonzepte für die Häfen von Baltimore und New York, besonders von Manhattan. Besonderer Schwerpunkt ist New York mit etwa 70 Seiten Text. Ein kurzes Resümee über die postmoderne Stadt am Wasser rundet die Arbeit ab.
Aus dieser Schwerpunktverteilung wird bereits ersichtlich, dass die konkreten Häfen Baltimore und New York das Herzstück der Schrift darstellen. So verdienstvoll die Schilderung der Strukturen und Entscheidungsprozesse in den beiden Städten auch ist, so könnte man sich doch eine weiter reichende theoretische Einordnung vorstellen als sie hier vorgenommen wird. Zwar nimmt der sogenannte "theoretische Ansatz" mit fast 50 Seiten einen relativ breiten Raum in dem Buch ein, jedoch fokussiert er sehr stark auf die Postmoderne, in Sonderheit und naheliegenderweise auf den Städtebau. Städtebau der Moderne und der Postmoderne werden einander gegenüber gestellt. Urban Entertainment Center, Gentrifikation, Festivalisierung und Kulturalisierung (den Schwerpunkten des Theoriekapitels) unter "Postmoderne in der historischen Stadtforschung" abzuhandeln ist allerdings zumindest nicht ganz passend formuliert. Dieser vor den Fallbeispielen platzierte Theorieteil hat aber ohnehin keine weit reichende Funktion in den empirischen Ausführungen, auf ihn wird kaum Bezug genommen. Dies wäre nicht weiter problematisch, wenn die Verknüpfung in einer anschließenden, weiter führenden Interpretation und Einordnung der Befunde passieren würde. Dafür ist allerdings der letzte Abschnitt, betitelt mit: "Die postmoderne Stadt an der Wasserkante", nach den beiden Fallbeispielen mit acht Seiten einfach zu knapp.
Auf diesen acht Seiten werden die konkreten Projekte in Baltimore und New York vor allem daraufhin überprüft, ob sie zum Modell der postmodernen Stadt, wie es Michael Dear entwickelt hat, passen oder nicht. Allerdings scheint mir die Brauchbarkeit des Dearschen Modells, das m. E. vor allem die fragmentierte Stadtentwicklung (von Los Angeles) visuell veranschaulichen soll, für Theoriezwecke sehr begrenzt zu sein. Die Flexibilisierung ist allerdings (Flex City nach Dear) weitgehend nachgewiesen, wenn dies auch kein sehr überraschender Befund ist. Ansonsten wird in dem Abschnitt vor allem resümiert, wie sich Funktionen und Gebäudetypen in den beiden Untersuchungsregionen verteilen und welchen Einfluss Gentrifikation, Politik und Planungsverfahren auf die Entwicklung hatten.
Etwas irritiert ist man bei einer Habilitationsschrift an der Universität Hamburg, dass so gar keine Schlussfolgerungen (oder wenigstens Bezüge) zum Hafencity-Projekt gezogen werden. Sicher ist die Situation nicht einfach übertragbar, ausgedehnte Blight-Phänomene wie in New York etwa gab es in Hamburg nicht. Aber auch dies hätte eine einordnende Erwähnung verdient. Andere Dinge wie die Organisation in der "HafenCity Hamburg GmbH" sind mit der starken Stellung der Port Authority in New York bzw. Battery Park City Authority durchaus in einem gewissen Rahmen vergleichbar. Außerdem geht der Autor (auf Seite 4) von vier Basisthesen aus, die alle auf generelle Trends (Parallelitäten in der historischen Entwicklung, bei den Hafenbrachen und bei den Lösungsansätzen) in Hafenstädten verweisen. Genau solche säkulären und verallgemeinerbaren Trends werden nicht wirklich diskutiert. Jedoch muss man akzeptieren, dass der Fokus der Arbeit auf den morphologischen Strukturen und den funktionalen Flächenzuordnungen liegt und weniger auf entwicklungsplanerischen oder gar polit-ökonomischen Aspekten. Dekonstruktion und (methodologische) Postmoderne sind die Sache des Autors nicht.
Die akribische Nacherzählung der historischen Phasen der Stadtentwicklung im Wasserbereich von New York und Baltimore bietet die verdienstvolle Erkenntnis, dass vieles, was oft dem wehenden Mantel der Geschichte oder dem "wind of change"- einem architektonischen oder gesellschaftlichen Paradigmenwechsel von der Moderne zur Postmoderne - zugeschrieben wird, vielleicht in höherem Maße ökonomischer Rationalität (Sparsamkeit) der Kommunen und privater Investoren in einer tendenziell schrumpfenden Volkswirtschaft zu verdanken ist, als wir gewöhnlich wahrnehmen oder wahrhaben wollen.
Für denjenigen, der sich - etwa im Rahmen einer Exkursion oder einer gehobenen Bildungsreise - über die Entwicklung von New York und Baltimore informieren will, gibt es in dem Buch von Martin Pries viele interessante Informationen, die einen Besuch wesentlich interessanter machen, als wenn man sich an den in den einschlägigen Reiseführern immer gleichartig - oder künstlich aufgebauschten "Insidertipps" - abgehandelten Informationen orientiert. Einen Erkenntnisfortschritt in Richtung Planungskonzepte, Regulation oder funktionaler Stadtentwicklung findet man allenfalls zwischen den Zeilen.
Jürgen Pohl

 

Quelle: Geographische Zeitschrift, 97. Jg. 2009,  Heft 2+3,  Seite 173-174