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Kategorie: Rezensionen

Cornelia Bohn: Inklusion, Exklusion und die Person. Konstanz 2006. 224 S.
Thomas Wagner: Inklusion/Exklusion: Darstellung einer systemtheoretischen Differenz und ihre Anwendung auf illegale Migranten. Frankfurt/M., London 2006. 171 S.
Katrin Mohr: Soziale Exklusion im Wohlfahrtsstaat: Arbeitslosensicherung und Sozialhilfe in Großbritannien und Deutschland. Wiesbaden 2007. 271 S.

Fortgeschrittene kapitalistische Gesellschaften sind gegenwärtig durch zunehmende Ungleichheiten sowie die Entstehung neuer sozialer Gefährdungen und Risiken der Ausgrenzung gekennzeichnet. Der Sozialstaat ist immer weniger in der Lage bzw. bereit, diese Risiken abzufedern und gesellschaftliche Teilhabe sicherzustellen. In den Sozialwissenschaften wird auf diese Problematik nicht mehr mit dem Begriff der Armut, sondern mit dem der "sozialen Exklusion " Bezug genommen. Das analytische Potenzial dieses Begriffs wird aber auch bezweifelt, etwa von Robert Castel, der mit dem Begriff der Prekarität gerade die Verunsicherung der Inkludierten thematisiert.

Was also kann das Konzept "soziale Exklusion" zum Verständnis und zur Kritik aktueller Ungleichheiten, sozialer Gefährdungen und Risiken im hoch entwickelten globalen Kapitalismus beitragen? Ist es empirisch operationalisierbar? Und wenn ja, wie? Die Breite des Phänomenbereichs, der mit dem Begriffspaar Inklusion/Exklusion erschlossen werden kann, führt die Studie von Bohn vor Augen. Als Prinzip gesellschaftlicher Differenzierung erlaube es, so heterogene Phänomene in den Blick zu nehmen wie die komplizierte soziale Ordnung zwischen Bürgern, Metöken und Kosmopoliten in antiken Stadtstaaten oder den Umgang mit Juden im europäischen Mittelalter (18). Um eine auf verschiedene Epochen anwendbare Inklusions-Exklusions-Analytik zu entwickeln, prüft Verf. verschiedene theoretische Zugänge. Unter ungleichheitstheoretischen Ansätzen versteht sie solche, die auf Webers Theorie der sozialen Schließung zurückgehen und sie um die Annahme einer Machtasymmetrie zwischen Ausschließenden und Ausgeschlossenen ergänzen. Staatsbürgerschaft, Bildungstitel und Mitgliedschaften treten dabei als  umkämpfte Güter hervor (13). Diese Aspekte werden jedoch allzu schnell als nicht generalisierbare "Sonderfälle" verworfen, da die gegenwärtigen "Inklusions- und Ausgrenzungsphänomene nicht mehr als Kampf um Teilhaberechte" bzw. "als Folge der Verweigerung dieser Rechte beschrieben werden" könnten (14). Gegenbeispiele sind leicht zu fi nden, z.B. Konflikte zwischen Autochthonen und Allochthonen sowie Forderungen von Migranten nach Gleichberechtigung. Sie wurden selbst vom Systemtheoretiker Armin Nassehi thematisiert, hinter dessen Reflexionsniveau Verf. also zurückfällt. In devianztheoretischen Ansätzen wird, auf Foucaults Wahnsinn und Gesellschaft Bezug nehmend, eine typische Exklusionsfi gur beschrieben: "Ausschluss des Wahnsinns durch die Vernunft" (15). Weil die Vorstellung eines Außen oder Jenseits der Gesellschaft heute nicht mehr angemessen wäre, müsse dieser Ansatz modifi ziert werden. In der Moderne vollzieht sich die Exklusion nicht durch Distanznahme und Meidung, sondern als kontrollierte Form der Distanznahme durch Überwachung, wofür Verf. den Begriff der "inkludierenden Exklusion" vorschlägt. Dies sei eine generalisierbare Einsicht für eine Analytik der Inklusion und Exklusion, der allerdings in ihrer diskurstheoretischen, bei Foucault auf staatliche Kontrollpraxen konzentrierten Fassung die gesellschaftswissenschaftliche Dimension fehle (16). Ein Mangel, den die Systemtheorie ausgleichen könne. Denn aus derem territorial unbegrenzten Verständnis von Gesellschaft sei ableitbar, dass "jede Exklusion in der Weltgesellschaft [...] immer auch eine inkludierende Exklusion" ist (17). Trotz dieser Divergenzen lässt sich sowohl von Foucault als auch von Luhmann lernen, dass Inklusions- und Exklusionsordnungen historisch variieren und mit der Differenzierungsform der Gesellschaft korrelieren, was nicht bedeutet, dass Exklusionsprozesse immer von der Gesellschaft bzw. Sozialstruktur oder von den Organisationen ausgehen. Lediglich bei der unfreiwilligen Exklusion, "in die Personen durch Verkettung von Ereigniszusammenhängen geraten", sei das der Fall, nicht jedoch bei der Selbstexklusion, etwa von Mönchen oder modernen Künstlern, die sich außerhalb der Gesellschaft stehend begreifen. Leider lässt der Befund, dass "sich eine emphatische Semantik für eine Exklusionsindividualität immer dann herausbildet, wenn sich ein Funktionssystem ausdifferenziert" (63), die Anknüpfung an die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung vermissen, so dass der Ertrag aus ungleichheitstheoretischer Perspektive gering bleibt. Wie Foucault misst auch Luhmann der Devianz große Bedeutung bei, man denke an Häresie, Infamie und Exkommunikation in der Vormoderne sowie an Luhmanns Beschreibungen von Patronage, Klientelismus oder Korruption als die "andere Seite" der funktionalen Differenzierung (17). Hieran anknüpfend plädiert Verf. für "ein devianztheoretisch aufgeklärtes, differenzierungstheoretisches Paradigma" (18).
Die skizzierte Theorien-Verknüpfung erlaubt zunächst eine differenzierte Beurteilung der Religion. Denn während die Theorie sozialer Systeme stratifizierte Gesellschaften als geschlossen vorstellt - jeder gehört zu einem Stand, einer Schicht, die über Inklusion/Exklusion bestimmt wird -, adressieren Foucaults Analysen zu Leprosorien, Vertreibungen und Verbannungen Exklusionsformen, die sich nicht an Teilsystemzugehörigkeit und Stand orientieren, sondern an der religiösen Semantik, die alle einschließt und zugleich alle dem Exklusionsrisiko aussetzt. "Religion in der stratifi zierten Gesellschaft greift insofern auf moderne Inklusions- und Exklusionsverhältnisse vor, als sie selbst eine Frühform eines ausdifferenzierten Funktionssystems darstellt, das erstens alle inkludiert und zweitens eine statusunabhängige Form der Individuierung auf den Weg bringt." (38) Anders verhält es sich mit Fremdheit und Zugehörigkeit, deren Wandel Verf. am Beispiel des Passwesens untersucht.
Sie unterscheidet drei Typen des Passregimes - Geleitschutz/Geleitbrief, Pass/Abzeichen und Pass/Ausweis (Identitätsnachweis) - mit jeweils eigener Dynamik. Der Geleitbrief inkludiert in den städtischen Raum, nicht jedoch in die Stadtgemeinde, d.h. in die religiöse oder politische Gemeinschaft. "Es ist eine für Fremde oder Schutzbedürftige reservierte Form der exkludierenden Inklusion" (82). Pässe dagegen werden nicht nur für Fremde, sondern auch für Einheimische ausgestellt. Das Pass/Abzeichen-Regime verfügt über multiple Legitimationsinstanzen wie Gilden, Zünfte, Klöster, Kirchengemeinden usw. Das Pass/Ausweis-Regime korreliert mit dem Übergang vom absolutistischen Staat zum Nationalstaat und verbindet das Passwesen mit der Institution der Staatsangehörigkeit, welche die rechtliche Relevanz ständischer Unterschiede ersetzt. Es dient dem Nationalstaat dazu, seine Bevölkerung durch die konstitutive Differenz Ausländer/Inländer zu konstruieren. "Damit einher geht für die Person die Zuschreibung einer ortsbezogenen Identität. Das entspricht der Idee der Nation als Herstellung von Fremdheit nach außen und der Fiktion von Einheit nach innen" (84).
Gegen die Behauptung, der Pass sei unter weltgesellschaftlichen Bedingungen überflüssig geworden, wendet Verf. ein, der Pass sei als Zugangs- und Zugehörigkeitsberechtigung sowie als Identifi kations- und Legitimationsdokument auch heute ein inklusions- und exklusionsrelevantes Instrument. Er existiert in multiplen Gestalten: Als Kreditkarte regelt er den Zugang zur wirtschaftlichen Kommunikation, als Taufschein die Zugehörigkeit zum Religionssystem.
"Schließlich ist es der Pass selbst, der den Zugang zum Kosmopolitismus erlaubt." (90) Wie die Regulation der  weltgesellschaftlichen Kommunikation durch das Passwesen, so ist illegale Migration eine Form inkludierender Exklusion. Wagners systemtheoretische Studie dazu ist insofern ein paradoxes Unternehmen, als eigentlich nicht beobachtet werden kann, was nicht sichtbar ist. Was Verf. als Darstellung der "theoretischen Grundlagen von Inklusion und Exklusion in der luhmannschen Systemtheorie" (9) bezeichnet, ist vielmehr eine Aneinanderreihung von Begriffen als eine systematische Herleitung; mit dem Gegenstand des Buches ist sie zudem kaum vermittelt. Völlig berechtigt wird hingegen der Rückgriff auf die Systemtheorie damit begründet, dass sie zum "höchst problematischen" Begriff der Integration auf Distanz zu gehen erlaube (79). Illegale Migranten, so die Bestimmung des ›Untersuchungsbereichs‹, "bleiben für das politische System unbestimmt und befi nden sich, bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland, in einem Zustand politischer Exklusion" (115). Der Ausschluss aus dem politischen System setze sich jedoch in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht fort. Inklusionschancen bieten sich z.B. auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt oder im Gesundheitssystem. Illegale Migranten, die einer Beschäftigung nachgehen, befi nden sich in einer Situation "doppelter Illegalität" (85), da ohne einen legalen Aufenthaltsstatus eine legale Beschäftigung nicht möglich ist. Die "Inklusionschancen in Funktionssysteme der modernen Gesellschaft zu steigern" käme ihnen keineswegs zugute. Soziale Arbeit sei hier hilfreich, wenn sie nicht helfe, also die Betroffenen durch öffentliche Instanzen unbeobachtet lasse (161). Illegale Migranten können Verf. zufolge nicht einseitig als Opfer des Arbeitsmarktes dargestellt werden. Ganz im Gegenteil, gegenüber legalen besäßen illegale Migranten einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: "Die illegale Beschäftigung von Migranten ohne Aufenthaltsrecht ermöglicht Arbeitgebern eine Kostenreduktion. Gesetzliche oder tarifl iche Mindestlöhne können somit unterboten werden, auch fallen Beiträge zu den Sozialversicherungen weg." (89) So werde Illegalität zu einer Ressource, welche den Betroffenen Inklusionsmöglichkeiten biete. Verf. bilanziert, dass illegale Migration "die Kehrseite zunehmender Abschottung" (143) nach außen sei, dass weitere Restriktion folglich kontraproduktiv sei und dass "die Politik sich mit jedem weiteren Schritt hin zur Abschottung gegenüber Zuwanderern selbst ein Stück Gestaltungsmöglichkeit beraubt" (144). Die Frage, warum Migration vom politischen System dennoch keine Anerkennung erfährt, beantwortet Verf. mit Verweis auf den "Wohlfahrtsstaat": Die kostspielige Aufrechterhaltung seines Leistungsniveaus veranlasse die Regierungen, Migration möglichst zu unterbinden (142). Zweitens würden nationalistische bzw. ethnisch motivierte Abgrenzungsgründe eine Rolle spielen. Damit widerspricht Verf. Luhmann, der den Rückgang ethnischer Differenzierungen prognostiziert hatte. Drittens weist er darauf hin, dass Migration aufgrund der Wertschätzung kollektiver Identität, deren Wahrung dem Staat zugeschrieben wird, disprivilegiert werde: "Eine zunehmende Begrenzung von Migrationsoptionen kann demnach gesteigerten Identitätsbemühungen geschuldet sein." (143) - Abgesehen von Mängeln in der Systematik und bei der Einführung in den Untersuchungsgegenstand und vielen Rechtschreib- und Grammatikfehlern, für die der Verlag verantwortlich ist, stellt die Studie wichtige Erkenntnisse in einem relativ unerforschten und komplexen Feld bereit.
Mohr zieht den Exklusionsbegriff heran, um die Systeme der Arbeitslosenunterstützung und der Sozialhilfe in Großbritannien und Deutschland zu vergleichen. Exklusion sei umfassender als Armut, da sie "den multiplen Ausschluss aus verschiedenen Bereichen gesellschaftlicher Teilhabe" und "nicht nur den von materieller Teilhabe" bezeichne (27). Um eine dichotome Auffassung zu vermeiden, begreift Verf. Exklusion, in Anlehnung an Georg Simmel und Martin Kronauer, als ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit von "Drinnen" und "Draußen" (47). Damit nähert sie sich dem systemtheoretischen Begriff der inkludierenden Exklusion an. - Im Gegensatz zu systemtheoretischen Ansätzen, die den Wohlfahrtsstaat als zentrales Mittel im Kampf gegen soziale Ausgrenzung begreifen, legt das vorgeschlagene Begriffsverständnis den Blick auf die Ambivalenzen wohlfahrtsstaatlicher Vergesellschaftung frei. Ohne die inklusiven Potenziale sozialstaatlicher Leistungen zu verkennen, verweist Verf. auf die exklusiven Mechanismen des Wohlfahrtsstaates. Ihm komme strukturell die Aufgabe zu, einerseits "die Warenform der Arbeitskraft und die Gesetze des Marktes aufrecht zu erhalten, andererseits aber Bedürfnisse der Bevölkerung auch auf nicht-marktförmige Weise zu befriedigen" (54). Der Wohlfahrtsstaat ermögliche zwar Emanzipation und Handlungsfähigkeit, diene aber ebenso als Instrument sozialer Disziplinierung und Kontrolle. Die Bevorzugung des Begriffs des Wohlfahrtstaats gegenüber dem des Sozialstaats ist allerdings nicht nachvollziehbar. Gegen diese Begriffswahl spricht, wie Robert Castel in seiner Studie zu Metamorphosen der sozialen Frage dargelegt hat, dass dieser eine Beziehung zwischen wohltätigem Staat und passiven Empfängern impliziert. Spätestens nach den jüngsten "Reformbemühungen" dürfte das als überholt gelten. Die sozialstaatlichen Leistungssysteme bei Erwerbslosigkeit und Armut - verstanden als zentrale Ursache sozialer Exklusion - in Großbritannien und Deutschland werden nicht nur "in ihrem Ist-Zustand", sondern auch hinsichtlich ihrer "Strukturierungslogiken im Zuge wohlfahrtsstaatlicher Restrukturierungsprozesse" und ihrer Konsequenzen "für das Inklusionspotenzial sozialer Rechte" analysiert (71). Verf. unterscheidet drei Mechanismen, die den Zugang zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung regulieren: aufenthaltsrechtliche Barrieren, sozialrechtliche Anspruchsbedingungen und faktische Zugangsgrenzen (Mitgliedschaftsgrenzen). Bei den aufenthaltsrechtlichen Barrieren identifi ziert Verf. wiederum vier Arten des Ausschlusses von Migranten: erstens werden bestimmte Gruppen direkt von der Teilhabe ausgeschlossen, zweitens führen Arbeitsverbote bzw. Wartezeiten auf eine Arbeitserlaubnis indirekt zum Ausschluss, drittens werden bestimmte Migrantengruppen - sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland - in eigene, residuale Hilfesysteme ausgegliedert und viertens kann die Angewiesenheit auf bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen in beiden Ländern den Zugang zu einem festen Aufenthaltsstatus blockieren oder gar den Aufenthalt selbst gefährden (148). Das Risiko einer Gefährdung des Aufenthaltsstatus sei in Deutschland größer als in Großbritannien und die sozioökonomische Lage von Migranten sei in Deutschland prekärer als die der meisten Migrantengruppen in Großbritannien. Großbritannien biete anwesenden bzw. zugelassenen Migranten "ein relativ durchlässiges System der staatsbürgerlichen Stratifi zierung", nach außen jedoch halte es "ein restriktives Immigrationsregime aufrecht" (149). Mohr widerspricht dem gängigen Bild von Großbritannien "als dem Prototyp des knauserigen, auf negative Anreize fokussierten liberalen Sozialhilfesystems" (161). So liegt etwa das Niveau bedürftigkeitsgeprüfter Leistungen - bei Wohnungskosten - in Großbritannien 11% über dem OECD-Durchschnitt, während Deutschland um 5% darunter bleibt. Auch die Leistungen der deutschen Sozialhilfe seien zu niedrig, "um Armut zu verhindern und volle gesellschaftliche Teilhabe sicherstellen zu können" (166). Solche Befunde demontieren den Mythos, "das konservative Wohlfahrtsmodell mit seinen gut ausgebauten Sozialversicherungssystemen sei dem liberalen auch hinsichtlich der Großzügigkeit bedürftigkeitsgeprüfter Leistungen überlegen" (162).


Den Unterschieden zwischen den Sozialsystemen beider Länder stehen jedoch zahlreiche Gemeinsamkeiten gegenüber. In beiden Ländern ist Sozialhilfebezug eine stigmatisierende Angelegenheit, wenn auch die Akzeptanz sozialstaatlicher Unterstützung von Armen und Arbeitslosen in Großbritannien stärker ausgeprägt ist als in Deutschland. In beiden Ländern orientiert der Aktivierungsansatz darauf, Erwerbslose möglichst schnell wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt zu beschäftigen, wobei Qualifi zierung, Qualität und Sicherheit der Arbeitsplätze nur eine untergeordnete Rolle spielen (225) und die Arbeitslosensicherung nicht länger als Einkommenssicherung für Erwerbslose, sondern als System der Aktivierung von Arbeitssuchenden verstanden wird (228). Auch deshalb wäre der Begriff des Sozialstaats dem des Wohlfahrtsstaats vorzuziehen. - Alles in allem handelt es sich um eine aufschlussreiche Studie, die kompetent kritische Theorieanalyse mit instruktiver Fallstudie zu den britischen und deutschen Sozialsystemen verbindet. Der Analyse stellt sie das Plädoyer zur Seite, den "Sozialstaat" (nun also doch!) und den Arbeitsmarkt im Sinne der Schwächsten umzugestalten. Dies würde politische Bereitschaft zur Korrektur der Marktkräfte erfordern. Da jedoch fortgeschrittene kapitalistische Gesellschaften mit struktureller Exklusion gut leben können, könne der Impuls für einen Kurswechsel nur aus der Überzeugungskraft einer normativen Leitidee entstehen. Die drei Studien tragen nicht nur zum gründlicheren Verständnis der Exklusionsproblematik bei, sondern demonstrieren auch - entgegen Castels Behauptung - die analytische Anwendbarkeit des Exklusionsbegriffs. Der Vorwurf, die systemtheoretische Analyse der Exklusion greife soziale Ungleichheit und Destabilisierung von Lebenslagen nicht systematisch auf, trifft auf die Studie von Bohn zu. Die Rolle von Macht und Herrschaft für Exklusionsprozesse wird dort ebenfalls ausgespart. Das gilt nicht für Mohr, die gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse in die Analyse der Exklusionsprozesse, die von der Sozialstruktur und den Organisationen ausgehen, durchaus einbindet und kritisiert. Auch Wagner trägt zur Kritik bestehender Machtverhältnisse, die inkludierende Exklusionen hervorbringen, bei, wenn auch einige seiner Schlussfolgerungen anfechtbar sind.
Yasar Aydin

 

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, S. 686-690