Ralf Kirchner-Heßler, Alexander Gerber und Werner Konold: Nachhaltige Landnutzung durch Kooperation von Wissenschaft und Praxis. 2 Bde. München 2007. 763 S.

Mit dem Gründer der deutschsprachigen Agrarwissenschaft Albrecht Thaer lässt sich an der  Grenze des 18. zum 19. Jahrhundert ein Umbruch festmachen, der von der Semantik des Bauern als einem vornehmlich für den eigenen Verbrauch wirtschaftenden und seinem Lehnsherrn verpflichteten Landarbeiters zur Semantik des Landwirts wechselt, die einen am wirtschaftlichen Gewinn ausgerichteten modernen Agrarökonomen bezeichnet.

Diese Bedeutungsverschiebung zeigt an, dass mit der Semantik des Landwirts das Ziel der Landwirtschaft von nun an ökonomischer Mehrwert zu erzielen ist. Die Landwirtschaft wird so ein Gewerbe unter vielen. Diese semantische Verschiebung ist eingebettet in den Beginn der Moderne und der Aufklärung. Die im Werden begriffene moderne, gewinnorientierte Landwirtschaft ist ein bedeutender Durchbruch des Neuen. Sie ist eine gewichtige Innovation für die gesamte Gesellschaft.

Gleichzeitig werden mit der am Profit ausgerichteten Nutzung des Bodens in der Moderne all diejenigen Probleme akut, die heute allgemein in die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit münden. Nicht zufällig fällt die Entstehung der Semantik der Umwelt ebenfalls in diese Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts. Folgeprobleme einer intensivierten Landwirtschaft waren schon bald nach deren Durchsetzung zu erkennen. Und an dieser Schnittstelle von ökonomischem Mehrwert und begrenzten Ressourcen ruht eines der Kernprobleme jeder Nachhaltigkeitsforschung – die Transferierbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse in die (landwirtschaftliche) Praxis. Ein berühmtes frühes Beispiel dieses Themas der „Übersetzung" von Wissenschaft in die Lebenswirklichkeit des primären Sektors stammt von dem französischen Soziologen Michel Callon. In einem Aufsatz über Jakobsmuschelfischer in Nordfrankreich kommt er zu dem Ergebnis, dass es von Seiten der Wissenschaft nicht ausreiche, Erkenntnisse über Wirkzusammenhänge in der „Natur" zu eruieren und zu kommunizieren, sondern für eine nachhaltige Umsetzung von ressourcenschonenden Wirtschaftsweisen sei der Einbezug soziologischer Erkenntnisse über die wirtschaftende Gruppe von gleichwertigen Interesse. Wissenschaftliche Ergebnisse bedürfen der kulturellen Übersetzung in die „Kultur" der Wirtschaftenden, damit diese eventuell wenig nachhaltige Wirtschaftsweisen auf Nachhaltigkeit umstellen.

An diesem Kreuzungspunkt von Wissenschaft und Praxis setzt das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Kulturlandschaft Hohenlohe" an, dessen Verlauf und Ergebnisse in dem vorliegenden Buch besprochen werden. Die beteiligte Forschergruppe beklagt allgemein ein Defizit in genau dieser „kulturellen Übersetzung" der Sprache der Wissenschaft in die Sprache der Landwirte in Bezug auf agrarökonomische Innovationen. Sie versucht daher, mit einem disziplinär breit aufgestellten Forschungsprojekt diesem Mangel entgegenzuwirken. Beteiligt an dem Projekt waren sowohl Agrarwissenschaftler und Landschaftspfleger als auch Geographen, Biologen, Soziologen und Psychologen. Das Ziel des Projektes war es dabei, eine nachhaltige Landnutzung möglichst breit unter allen die Landschaft potenziell nutzenden und modifizierenden Akteuren, wie zum Beispiel Landwirte, Behördenvertreter, Tourismuswirtschaft oder interessierte Öffentlichkeit, zu implementieren. Dieses Ziel wurde mithilfe von fünfzehn inhaltlich divergierenden Teilprojekten avisiert. Das Untersuchungsgebiet umfasste dabei die drei im Norden Baden-Württembergs gelegenen Landkreise Heilbronn, Hohenlohe und Schwäbisch-Hall. Als das „engere Untersuchungsgebiet" (S. 54) dienten die direkt an der Jagst gelegenen
Gemeinden der drei Landkreise.

Bemerkenswert ist die bei dem Projekt zum Einsatz kommende Methode der Aktionsforschung, die der Entwicklungszusammenarbeit entstammt und bei der die Wissenschafter selbst aktiv in die Lebenswirklichkeit der Beforschten eingreifen und parallel dazu die entstehenden Auswirkungen und Veränderungen wissenschaftlich evaluieren und analysieren. Die Autoren stellen ihrem Buch eine vorurteilsfreie, die Vor- gegen die Nachteile abwägende Diskussion der Methode voran. Dies macht die zweibändige Monographie vor allem für Geographen interessant, die ebenfalls an dieser Schnittstelle von Theorie und Praxis interdisziplinär arbeiten wollen und dafür Best-Practice Beispiele suchen. Der Aktionsforschungsansatz bietet sich u. U. in den Fällen für geographische Fragestellungen an, wo ein Schwerpunkt auf die Angewandtheit der Forschung gelegt wird.

Diese starke Ausrichtung auf die Empirie und deren wirklichkeitsbezogene Anwendbarkeit jenseits der Elfenbeintürme der theoretischen Wissenschaften zeigen sich in der ehrgeizigen Formulierung der Ziele der Forschung, die die Autoren in drei distinkte Bereiche unterteilen. Die unternommene Forschung mit dem Aktionsansatz verfolgt erstens Ziele, die umsetzungsbezogen sind, die zweitens umsetzungsmethodisch sind und die drittens Erkenntnisse zur Methodik der Wissensübertragung liefern und die damit soziologisch sind. Gerade dieser dritte Bereich, die kulturelle Übersetzung zwischen Wissenschaft und Praxis in der nachhaltigen Landnutzung, entpuppt sich bei der weiteren Lektüre als eine genuine Stärke der umfangreichen Monographie. Das Buch diskutiert nicht allein die Ergebnisse der Forschung, sondern stärker noch den Prozess der Forschung. Es ist aus diesem Grund ebenfalls methodologisch interessant. Das Buch liefert zunächst ausführliche und gut nachvollziehbare Informationen zum  Projektmanagement, die sich fast schon wie eine To-do-Liste lesen lassen. Es zeigt sich, dass die Transparenz in ihrem Vorgehen an dieser Stelle ein offensichtliches Bestreben der Projektverantwortlichen war und damit gleichzeitig zur Nachhaltigkeit der Inhalte beiträgt. Dieser Anspruch zeigt sich gleichzeitig in der Selbstbeschreibung als „Aktionsforschungsprojekt" (S. 147). Als ein erstes inhaltliches Ergebnis präsentiert das Buch eine Literaturstudie zu dem komplexen Begriff der Nachhaltigkeit. Hier zeigt sich, dass soziale Indikatoren in Begriffsbildungen von Nachhaltigkeit kaum vorkommen. Dies erstaunt, erscheint der Begriff aus der Sicht eines Geographen doch als durch und durch sozial und sozial konstruiert. Hilfreich für die Leser sind die sozialen Indikatoren, die das Buch im Anschluss selbst entwickelt. Die Studie diskutiert daraufhin verschiedene Definitionen von Nachhaltigkeit, dem Kernbegriff des gesamten interdisziplinären Projekts. Die Autoren kommen zu der Einsicht, dass sich die bestehenden Definitionen von Nachhaltigkeit stärker spezialisieren und jeweils auf einen der drei mit Nachhaltigkeit assoziierten Teilbereiche Ökonomie, Ökologie und Soziales fokussieren, um diesen anschließend vertieft auszuführen. Es fehlt jedoch nach wie vor eine holistische Definition, die den Bogen über diese drei Felder zu schlagen weiß. Das Projekt wählt letztlich als Arbeitsgrundlage die bekannte Definition von Nachhaltigkeit aus dem Brundlandt-Report aus dem Jahr 1987 und betont die Ausdifferenzierung des Begriffs in allgemeine, soziale, ökonomische und ökologische Kriterien.

Es folgt eine ausführliche Vorstellung der fünfzehn Teilprojekte, die unter dem Dach des Gesamtvorhabens „Kulturlandschaft Hohenlohe" initiiert wurden. Das Projekt „Konservierende Bodenbearbeitung" diente dem Erosionsschutz und der Sensibilisierung der Landwirte für bodenschonende Bewirtschaftungsverfahren. Das Projekt „Weinlaubnutzung" lotete die Möglichkeit der Doppelnutzung der Weinhänge zur Trauben und Laubproduktion aus, wobei das getrocknete Weinlaub als Rohstoff zur Heilmittelherstellung dienen sollte. Die Wasserknappheit im unteren Jagsttal verhinderte allerdings eine lohnende Rekultivierung der Weinbauterassen und das Teilprojekt wurde daraufhin eingestellt. Erfolgreicher erwies sich das Projekt „Regionale Qualitätsfleischvermarktung Bœuf de Hohenlohe", dem eine erfolgreiche Implementierung eines Markenbegriffs und -konzeptes gelang, das allerdings in der parallelen Initiierung einer Weidegemeinschaft scheiterte. Vergleichbar war das Projekt „Hohenloher Lamm" für die Lammfleischvermarktung. Das Teilprojekt „Streuobst aus kontrolliert biologischen Anbau" widmete sich dem Streuobstanbau, der eine geringe ökonomische, jedoch eine hohe ökologische Bedeutung aufweist. Es zeigte sich im Verlauf des Projekts, dass vor allem die Kommunikation nach Innen als Überzeugung der Landwirte mit der Alternanz, d. h. der jährlichen Schwankung der Erträge, zu leben und der Kommunikation nach außen als Marketing entscheidend für den Projekterfolg war. Dagegen wurde das Projekt „Heubörse" aus verschiedenen Gründen nicht realisiert. Im Teilprojekt „Landnutzungsszenario Mulfingen" wurden Best-Practice Beispiele als Anleitung zur partizipativen Szenarienentwicklung für Landschaften diskutiert. In inhaltlich ähnliche Richtungen der nachhaltigen Umsetzung bestimmter wissenschaftlicher Inhalte zielten die Teilprojekte „Landschaftsplanung", „Ökobilanz Mulfingen" und „Lokale Agenda 21 in Dörzbach". Das Teilprojekt „Gewässerentwicklung" nahm eine ökologische Bestandsaufnahme der Jagst vor, während das Teilprojekt „Regionaler Umweltdatenkatalog" eine Meta-Datenbank vorhandener Regionaldaten über das Projektgebiet aufzubauen versuchte. Auf die touristische Entwicklung der strukturschwachen Jagstgemeinden zielten die Projekte „Panoramakarte" und „Themenhefte", die landes- und landschaftstypische Informationen an potenzielle und bereits die Jagst nutzende Touristen kommunizierten. Das Kunstprojekt „eigenArt an der Jagst" schließlich konzipierte einen Kunstpfad, der über eine Strecke von acht Kilometern Wandern mit dem Genuss von harmonisch in die Landschaft eingebetteten Kunstprojekten verband. Ein deutliches Ergebnis der abschließenden Evaluation der fünfzehn Teilprojekte war schließlich, dass die Projekte mit dem höchsten ökonomischen Nutzen für die Beteiligten, in diesem Fall die Teilprojekte  „Regionale Qualitätsfleischvermarktung Bœuf de Hohenlohe" und „Streuobst aus kontrolliert biologischen Anbau", die besten Bewertungen bekamen. Die Implementierung von nachhaltigen Wirtschaften darf letztlich nicht einer ökonomisch optimierten Bewirtschaftung entgegenstehen. Dies kann als zusammenfassendes Fazit aus den Ergebnissen der Einzelprojekte interpretiert werden.

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Kulturlandschaft Hohenlohe" war nicht nur forschendes Subjekt, sondern gleichzeitig beforschtes Objekt einer sozialwissenschaftlichen Begleitforschung. Das Projekt war so ein interdisziplinäres Unterfangen, das Nachhaltigkeit in der landwirtschaftlichen Praxis untersuchen will und ein Forschungsgegenstand, an dem der komplexe Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die Praxis selbst untersucht wird. Ein interessantes wissenschaftsinternes Ergebnis war hier ein offensichtlicher Mangel an Kompetenz in Epistemologie unter den Projektwissenschaftlern. Die mitunter auftretenden Schwierigkeiten in der Kombination des Wissens der jeweiligen Fachwissenschaftler ruhen in Teilen in dieser fehlenden Kenntnis von Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Die Autoren plädieren aus diesem Grund eindeutig für größere Anteile von Wissenschaftstheorie und Epistemologie in den Ausbildungen junger Wissenschaftler, um diese Strukturschwäche interdisziplinären Arbeitens zu minimieren.

Das Buch stellt in seiner Gesamtheit eine ausführliche Beschreibung, Evaluation und Diskussion der Wissensübertragung über nachhaltige Landnutzung von der Wissenschaft in die Praxis dar und geht mit dem gewählten Forschungsprogramm der Aktionsforschung in weiten Teilen ausgesprochen selbstkritisch um. Leider fehlt dem umfassenden Werk hingegen ein Sachregister. Diese Leerstelle erschwert die zielgerichtete Auswertung bestimmter Informationen aus dem Forschungsprojekt unnötig. Ein Register am Ende der Abhandlung wäre aus diesem Grund wünschenswert gewesen. Letztlich wirken ebenfalls die ausführlichen Darstellungen der Teilprojektevaluationen, die sehr lang ausfallen und mit zahlreichen Abbildungen versehen sind, in ihrer Länge und Häufigkeit etwas redundant. Aus der Sicht eines an Wissenschaft interessierten Lesers wäre hier eine stärkere Akzentuierung auf die Diskussion der Ergebnisse des Projektes vorteilhafter gewesen. Die Abhandlung hat aus diesen Gründen einen starken
Projektberichtcharakter.

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Ralf Kirchner-Heßler, Werner Konold Nachhaltige Landnutzung durch Kooperation von Wissenschaft und Praxis

Am Ende überwiegt bei der Lektüre jedoch ein positiver Eindruck. Die zweibändige Monographie ist klar gegliedert und reich mit Abbildungen und Tabellen sowie einem Anhang auf CD-ROM versehen, die viele Informationen zu kommunizieren in der Lage sind. Das Buch empfiehlt sich vor allem für Geographen, die an der Forschung über oder Durchführung von großen, interdisziplinären Projekten interessiert sind. Mit einem solchen Erkenntnisinteresse erscheint die Schrift sowohl theoretisch, da hier ein solches Projekt in Struktur und Ergebnis vorgestellt wird, als auch als selbstständiges empirisches Material, da sämtliche Schritte der interdisziplinären Forschung protokolliert – vertieft als Anhang auf der beiliegenden CD-ROM – präsentiert und evaluiert in dem Text aufgeführt werden und sich so weiterer (Meta-)Auswertungen anbieten. Gerade für die Geographie als eine zu gleichen Teilen sozial- wie naturwissenschaftlich ausgerichteten Disziplin ist daher vor allem eine empirische Lesart der Studie lehrreich und weiterführend.
Peter Dirksmeier

Quelle: Erdkunde, 64. Jahrgang, 2010, Heft 1, S. 79-81