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Kategorie: Rezensionen

Bruno Manser: Tagebücher aus dem Regenwald 1984-1990. Hg. vom Bruno-Manser-Fonds. Basel 2004. 3. Auflage. 720 S.

Der Basler Bruno Manser (Jahrgang 1954) ist bzw. war ein fast weltweit bekannter Umweltaktivist, Natur- und vor allem Menschenschützer, der ab 1984 im tropischen Regenwald von Borneo (Kalimantan) bei den Penan (im malaysischen Bundesstaat Sarawak) seine zweite Heimat fand - auf den Spuren nicht nur dieses Volkes, sondern auch seiner selbst und den Ursprüngen menschlicher Kulturen überhaupt.

Er wandte sich jenen 300 Familien unter den heute ca. 12 000 zählenden Penan zu, die immer noch nomadisch als Jäger und Sammler im Regenwald leben - jedenfalls solange es die grassierenden Rodungen des Urwaldes zulassen. Es war nicht nur einfache Neugierde, die ihn dahin führte, sondern vor allem die Abholzung des Urwaldes. Dieser stellt nicht nur den Lebensraum der Penan schlechthin dar, sondern bildet deren Lebensgrundlage. Dies wird durch die Tagebücher Bruno Mansers hervorragend dokumentiert. Seit dem Jahr 2000 ist Manser verschollen. Eine Suchexpedition 2001 verlief ohne Erfolg - Manser wurde nicht gefunden. Um sein Ende hüllen sich Legenden, die sich zwischen einem Unglücksfall und politischem Mord durch die Rodungsgesellschaften anordnen. Diese Sachverhalte werden in zwei Einleitungsbeiträgen von John Künzli ("Einherzig. Statt eines Vorwortes ein Brief") und Ruedi Suter ("Zurück zur Einfachheit") klipp und klar - aber menschlich warm - geschildert, ebenso sein Lebens- und Ausbildungsweg sowie seine ethnopolitischen Aktivitäten zur Rettung der Penan. Dies farbige, wahrscheinlich aber tragisch geendete Leben wird durch die in vier Bänden vorgelegten Tagebücher ausgezeichnet dokumentiert. Das, was man aus Zeiten eines Alexander von Humboldt oder eines Ferdinand von Richthofen kannte, ersteht mit den Tagebüchern Mansers im 20. Jahrhundert neu: Erlebnisse und Beobachtungen zu Mensch und Natur sind - sicherlich zunächst ohne Absicht zu publizieren - in Wort und Bild festgehalten. Und "Bild" bedeutet bei Manser: in die Tagebuchseiten integrierte Zeichnungen, Skizzen, Aquarelle von Wolken- und Himmelsbildern, Landschaften, Menschen, Tieren, Pflanzen, Handwerkstechniken (Knotenknüpfen, Schlacht"muster" eines Tieres, Bootsbau etc.), Waffen, Gebrauchsgegenständen etc. Um die Zeichnungen und Aquarelle wurde oft "herumgeschrieben", so daß die Tagebuchseiten ein einheitliches Ganzes bilden, von denen zahlreiche als Faksimile wiedergegeben sind. Man scheut sich nicht, bei diesen Tagebüchern von einem "Gesamtkunstwerk" zu sprechen. Viele Seiten sind lebhaft und farbig gestaltet, so dass ein im wahrsten Wortsinne "farbiges" Bild dieses Lebens- und Kulturraumes entsteht. - Die Texte der Tagebücher wurden in Reihenfolge des Eintrags komplett wiedergegeben und auch im Layout dieser Bände editorisch sorgfältig kenntlich gemacht (selbst der Tagebuchseiten"umbruch" wurde markiert). Die schöne Gestaltung der Bücher mit dem Verzahnen von Text, Faksimileseiten und Einzel(ausschnitts)abbildungen machen bereits das Blättern zu einem Genuss. Alles in allem eine von Zuneigung und Intensität getragene Mensch-Natur-Kultur- Dokumentation, der anzumerken ist, dass der Reisende und Forscher sich jedem Detail liebevoll und engagiert zuwandte. Natürlich ist dies keine systematische Landeskunde. Manser wollte eine solche auch nicht vorlegen, sondern er wollte schauen, leben und erleben und - natürlich - dokumentieren, weil er etwas bewirken wollte. Die chronologische Abfolge der Tagebuchtexte (und der dazugehörigen Bilddokumentationen) macht es möglich, den Wegen Brunos Mansers zu folgen und seine Erlebnisse nachzuvollziehen. In einer Zeit der raschen und flüchtigen, vor allem aber reißerischen Dokumentationen überrascht diese ruhige, fast altväterliche Tagebuchführung, die einen Reise- und Lebensstil belegt, der in allem abweicht, was heute so üblich ist: Manser lebte ja nicht nur bei, sondern vor allem mit den Penan, identifizierte sich mit deren Lebensweisen und deren Kultur. Selbst in der Ethnologie, wo diese (wenn man es so nennen darf) "Arbeitstechnik" zumindest bis vor rund 20/30 Jahren vor heute durchaus noch üblich war, haben inzwischen andere methodische Ansätze Einzug gehalten, um beispielsweise die Kultur eines Regenwaldvolkes kennen zu lernen. So gesehen liegt hier in jeder Beziehung etwas ganz Besonders vor: Die großformatigen Bände, die in einem seriös und stilvoll gestalteten Schuber zusammengefasst sind, zeugen nicht nur von einem engagierten Umweltschützerleben, sondern auch von einer sorgfältigen und sehr bewussten Präsentation dieser Lebenszeugnisse Bruno Mansers und der Penan. - Das Werk ist gerichtet vor allem an Leute, die sich von der Kultur der Penan fesseln lassen möchten, die aber auch etwas Schönes und durchaus nicht mehr Alltägliches in den Händen halten wollen und wieder die Langsamkeit entdecken möchten. Dem Bearbeitungsteam ist für die große Sorgfalt bei der Edition der Texte, aber auch bei der graphischen Gestaltung der Bände zu danken, ebenso einer Reihe von Stiftungen, Firmen und Einzelpersonen, welche die Bearbeitung und Herausgabe dieses "Gesamtkunstwerkes" erst ermöglichten.

Autor: Hartmut Leser

Quelle: Die Erde, 136. Jahrgang, 2005, Heft 1, S. 45-46