Donata Valentien (Hg.): Wiederkehr der Landschaft. Return of Landscape. Mit Fotografien von  Alexis S. MacLean. Berlin 2010. 272 S.

Zu berichten ist über ein in Deutsch und Englisch verfasstes Buch, das im Kontext einer gleichnamigen Ausstellung zu sehen ist, ohne aber als Ausstellungskatalog zu fungieren. Gegenstand der Ausstellung waren Bilder des gelernten Architekten, Piloten und Photographen Alex S. MacLean, der bevorzugt an US-amerikanischen Städten und Landschaften vor allem deren Veränderungen durch natürliche Prozesse und menschliche Eingriffe dokumentiert. Hiervon geben die in dem Buch zusammengestellten Aufnahmen beredt Zeugnis.

 

Nach K. Staeck und J. Odenthal (S.6 ff.) sollte man sich dem Generalthema – dem Verschwinden der Natur, dem Umgang mit den Naturressourcen – auf unterschiedliche Weise nähern: durch

• Information, ja Aufklärung der Öffentlichkeit;
• das Wissen um die Einbildungskraft, aus der auch das Verhältnis zu Natur, Landschaft … gesteuert wird, und ihren Einsatz in der Praxis;
• die Kultur eines «Blickes zurück» («Erinnerungskultur»), (der aber so vehement dem ständig von Politikern bemühten «Blick nach vorne» entgegensteht);
• die aus den Künsten kommenden Ansätze, Veränderungsstrategien oder kreativen Einmischungen.

In der vorliegenden Anthologie kann man diese Ansätze wiederfinden. Die sechzehn Beiträge – bevorzugt aus der Feder von Architekten, Landschaftsplanern oder künstlerischen Berufen, aber auch Historikern, Philosophen oder Sprachwissenschaftlern zusammengetragen –, und in drei Kapitel untergliedert: Mit acht Aufsätzen ist der erste Abschnitt «Macht Euch die Erde untertan; fill the earth, and subdue it» der umfangreichere. Drei Beiträge, die sich mit Venedig und Las Vegas auseinandersetzen, werden zusammengefasst unter «Lernen von…, learning from…». Das Thema «Perspektiven, perspectives» subsumiert weitere fünf Artikel.

Es ist nicht ungewöhnlich, in Anthologien nach Sichtweisen und Diktion unterschiedliche Meinungen zu finden. Das Gemeinsame des vorliegenden Bandes ist offenbar ein Unmut über die gegenwärtige Stadt. Die Ursache dieses Unmutes wird zumeist an den bekannten Gegebenheiten und Veränderungen festgemacht, die im Kern auf die Funktionstrennungen im städtischen Raum zurückzuführen sind. In der «Wiederkehr der Landschaft», so darf man zunächst zusammenfassend resümieren, glauben die Texte das zukünftige Heil der Städte identifiziert zu haben. Man könnte sich darauf beschränken, die «Wiederkehr der Landschaft» mit Natur, Nachhaltigkeit oder ähnlichen Aktualismen gleichzusetzen. Damit wären einige Texte hinreichend erfasst; einem auch erkennbaren weiteren Anliegen würde aber eher nicht Rechnung getragen. Damit sei schon hier angedeutet, dass die Leser dieses Buch durchaus zwiespältig aus der Hand legen können; sollte einer eine gewisse fehlende Konsistenz entdecken, kann ihm kaum widersprochen werden.

Im erkennbaren Anlass des Buches wie in der versammelten Autorengruppe scheint vielleicht angelegt zu sein, dass eine Heterogenität hervortritt. Sie ist weniger dem hoch interessanten Kernthema geschuldet, sondern dürfte auch aus dem Ansinnen entstehen, eine sehr vielschichtige Thematik «möglichst einfach rüberzubringen». Im Kern freilich scheint ein Dilemma dieser Texte darin angelegt zu sein, dass mit zu unterschiedlichen und unterschiedlich verstehbaren Begriffen und Begriffsinhalten von Natur, Landschaft, Grün usw. operiert wird.

Die uneinheitliche Terminologie mit ihren Bedeutungs- bzw. Verstehensabweichungen beginnt bereits mit dem Titel «Wiederkehr der Landschaft». Welch geringes oder unzureichendes Nachdenken über Landschaft tut sich auf: «Wiederkehr» suggeriert doch ein Verschwinden, einen Verlust zuvor. Aber kann Landschaft einfach verschwinden oder verlustig gehen? Eher nicht! Landschaft qua «reiner» Naturlandschaft verändert sich freilich fortlaufend. Es ist dies ein Prozess, der durch Änderungen in den jeweiligen natürlichen Rahmenbedingungen abläuft – schnell, langsam, periodisch, aperiodisch, merklich oder unmerklich – und erst mit der negativen Betroffenheit des Menschen als Katastrophe wahrgenommen wird.

Landschaft qua Kulturlandschaft wird ebenso kontinuierlich verändert (Kriege oder grosse Naturphänomene einmal ausgenommen). Diese Prozesse sind in unterschiedlicher Weise und Intensität von menschlichen Akteuren mit je spezifischen Interessen beeinflusst, bestimmt, gestaltet, gesteuert. Auch diese Landschaft verschwindet nicht oder kehrt wieder, sondern sie wird verändert, umgestaltet, umgewidmet. Im Extrem mag sie auch eine andere, ein anderer Landschaftstyp werden. Jedenfalls wird erheblich zu kurz gesprungen, sollte oder wollte man den Landschaftsbegriff etwa mit Natur, Grün u.a. gleichsetzen. Solche und ähnliche Synonyme machen die Texte schwer lesbar, d.h. weniger verständlich und stringent in der Argumentation. Diese Einschätzung vermitteln zumal die Beiträge des ersten Abschnittes. Dies schliesst nicht aus, dass einzelne Sichtweisen anregend und differenzierend sind, andere auch behutsamen Umgang mit dem komplexen Landschaftsbegriff anmahnen (z.B. B.Wormbs, Th. Sieverts).

Zwischen eindrucksvollen Bildern von Venedig und Las Vegas finden sich im zweiten Abschnitt drei Beiträge zu diesen Städten. Im Grunde hätte man sich diesen Teil des Bandes umfangreicher, ja intensiver vorstellen können. Denn beide Städte geben in ihren Genesen und gegenwärtigen prozessualen Entwicklungen nicht nur je ein exzellentes Beispiel dafür, wie unterschiedliche Gesellschaften aufgrund ihrer jeweils gültigen und raumrelevanten Werte mit den natürlichen Rahmenbedingungen und Grundlagen ihres städtischen und regionalen Lebens umgehen. Sie zeigen besonders im Fall des oasengleichen Las Vegas eher eine Fantasie, in der vermeintlich exotische Natur mit touristischen Massenauftritten vermengt, besser: inszeniert werden. Ob sich hierin tatsächlich eine Sehnsucht nach einer verloren geglaubten oder tatsächlich verloren gegangenen Natur ausdrückt, mag mehr als fraglich sein. Ergänzt um die im «Kulturraum» reproduzierten isolierten Artefakte von Wahrzeichen anderer (= fremder) Orte, wird bestenfalls der fehlende Bezug zur Landschaft unterstrichen, letztlich in aller Gedankenlosigkeit oder grotesker Hybris sogar die Landschaft verleugnet. Diese Raumimplantate der Beliebigkeiten (die ihre Entsprechung – in einem freilich ganz anderen Massstab – in den zur Mode verkommenen künstlichen Sandstränden z.B. deutscher Städte finden) sind letztlich ortlos, weil sie aus den ursprünglichen und den sie ausmachenden Kontexten von natürlichen, ökonomischen, historischen, gesellschaftlichen und politischen Gesamtheiten gerissen sind; es sind mithin Kopien. Es ist dies eine Situation, die gegenwärtig – und diese Abschweifung sei entschuldigt – nur noch von den aktuellen Megakreuzfahrtschiffen gekrönt scheint; mit ihren abgeschlossenen Bordumwelten vereinnahmen sie ihre Passagiere, die dabei kaum etwas von den Weltengegenden mitbekommen (müssen), durch die sie das Schiff trägt.

Das Kopieren von Landschaftsteilen freilich, vermutlich trainiert im digitalen Netz, führt dazu, die den ursprünglichen Bildern innewohnende, die mit ihnen verbundenen und sie ausmachenden sozialen, politischen, wirtschaftlichen und naturräumlichen Essenzen nicht zu verstehen. Solche Kopien können dann auch als eine Form des Glaubens, auf Landschaft nämlich nicht achten zu müssen, gedeutet werden. In diese Skizze mag zumal Las Vegas hineinpassen, doch auch Venedig, das mit widerstrebenden Naturkräften zu tun hat, steht bei seinem labilen Zustand zunehmend in der Gefahr, von einer Stadt zu einem musealen Themenpark zu mutieren. Doch lässt sich Venedigs offensichtliche instabile Lage nicht nur einseitig mit einem lange Zeit verdrängten Problemblick auf den die Stadt umgebenden Naturraum erklären. Denn die Gefahr für die Stadt kommt nicht nur vom Wasser, vom Meer, sondern nicht minder von den ihr zugedachten musealen Funktionen. Sie finden ihrerseits ihren Ausdruck indirekt auch darin, dass die Bewohner der Stadt immer weiter abwandern und – u.U. analog zu vielen historischen Stadtkernen – vom «Stadtrand» täglich einpendeln. Dass dabei beiläufig auch die Machtlosigkeit von Architektur gegenüber der Auflösung sozialer Netze und Milieus erkennbar wird, verweist wohl eher auf den Charakter einer Stadt als Ware denn auf die Idee von Stadt als einem gemeinnützigen Gut. In der Tat verweisen beide Städte, Venedig und Las Vegas, je spezifisch auf ein konstantes Phänomen: den Umgang mit Wasser als Merkmal von Kulturen. Mag man bei Venedig eine – sich freilich im Ablauf der Zeit aufgrund divergierender Interessenlagen abschwächende – vielfältig geprägte landschaftliche Einbettung erkennen, so steht Las Vegas eher für die Reduktion dieser landschaftlichen Einbettung
zugunsten des Rückgriffs auf den einen Naturfaktor Wasser.

Der dritte Abschnitt «Perspektiven» diskutiert die Frage, wie denn «Natur», «Grün» oder «Landschaft » wieder in die Stadt geholt werden können. Dahinter ist die Annahme zu erkennen, dass die Illusion derjenigen, die erfolgreiche Städte planen und errichten, einhergeht mit dem «Scheitern der Landschaft» als Natur.

Eine eher «technische» Perspektive sieht «eine landgebundene primäre Produktion» (Lohrberg, S.214) als einen Weg. Differenziert wird nach akteurs- und flächenorientiertem Ansatz. Mobilität und/oder Prekariat werden als Anlässe gesehen, jenen, die in den klassischen regulären Einkommenserwerb nicht integriert sind, über den eigenen Anbau von Gemüse etc. zu einer gewissen Existenzbasis zu verhelfen. Die Neuauflage von Schrebergärten und Co. könnte dann nicht nur als veränderte Form von städtischer Sozialarbeit namentlich in benachteiligten Stadtquartieren verstanden werden, sondern auch als Beitrag, Städte grüner werden zu lassen. Ist in diesem Sinne die «urbane Landwirtschaft» als Wiederentdeckung einer Lebensgrundlage qua Subsistenz zu sehen, so konzentriert sich demgegenüber der flächenorientierte Ansatz auf jene intensivere Form «urbaner Landwirtschaft », wie sie sich mehr oder minder regelhaft im städtischen Raum im Übergang und in der Durchmischung zum ländlichen zeigt. Damit steht die intensive agrarische in Konkurrenz zur urbanen Landnutzung, doch im Sinne einer «grünen Stadt» soll die Perspektive verändert werden: Das Agrarland ist weniger als bauliches Reserveland für die Stadt, sondern als «Stadtbaustein» (S.214) anzuerkennen. Ob und wie mit ihrer Einbeziehung oder Unterwerfung in die Stadtplanung diese Flächen auch in der vielfältigen Interessenkonkurrenz im städtischen Raum überdauern können, bleibt eine unbeantwortete Frage. Allerdings können Aussagen wie: «Der städtische Wohlstand basiert zwar auf Arbeit, doch spielt diese in der Stadtkultur nur eine untergeordnete Rolle. Kultur wird nach Feierabend gemacht…» (S.220) als Grundverständnis von Stadt kaum überzeugen. In der vermehrten Hinwendung zur Natur müssen Städte keineswegs notwendigerweise ihre Anpassungs- oder Widerstandfähigkeit (wogegen?) verbessern (a.a.O.). Ohne Frage mögen die Schilderungen anderer Kulturen von deren Umgang mit dem Verhältnis von Stadt und Land auch hilfreiche Einblicke bieten. Dies erfolgt hier mit  einer Beschreibung der chinesischen Situation und ihrer Geschichte (K. YU, S.224 ff.). Doch was ist für die Stadt wirklich gewonnen, wenn das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, das offenbar nur in der Stadt befriedigt werden konnte (und kann?), zu einem Verlangen wird, das auch den Massen nicht verwehrt werden kann? Die von diesen erstrebten oder erhofften dekorativen Landschaftsgestaltungen waren (und sind?) Projektionen der Privilegierten. Sind sie dennoch hilfreich für die zukünftige Entwicklung einer Stadt? Andere Beispiele thematisieren die Stadt-Natur-Beziehungen als Ausdruck öffentlicher Räume. Besonders in den Freiräumen der zersiedelten Stadt (im Unterschied zur verdichteten) werden diesbezügliche Herausforderungen und Potenziale gesehen (vgl. E. Battle i Dirany, S.234 ff.), um die Natur in die Stadt zu holen, damit sie Nutzen erbringe.

Was bleibt? Je nach eigner wissenschaftlicher Perspektive, vermutlich auch individueller Pragmatik oder Emotionalität, werden die Texte unterschiedliche Resonanzen auslösen. Als ein Nachteil erscheint freilich der sehr unterschiedliche, z.T. wohl auch gegensätzliche Gebrauch grundlegender Termini. Man wird eher stutzig, wenn Natur, Land, Landschaft, Grün u.a. beliebig und synonym verwandt werden. Auch wenn als einigendes Band «die Natur», ihre Bewahrung und Bedeutungsänderung identifizierbar sind, so fällt dann doch der postulierte Umgang mit ihr auf: Dieser wirkt nur einleuchtend und «einfach», wenn Natur segmentiert wird in einzelne Faktoren (z.B. Fluss). Es ist dies ein Vorgang, der die beschworene «Einheit» des Denkens freilich eher nicht unterstützt. Diese terminologischen Freiheiten mögen zunächst als Recht der Autoren akzeptiert werden. Die Texte verlieren damit an Wert für das gemeinsame Anliegen und in ihren Bezügen zueinander. Ein krasses Beispiel hierzu ist das deutliche Unverständnis für den Landschaftsbegriff, wenn (z.B. S. 88) «werdende» Kulturlandschaft über «schaffende Natur» erklärt wird. So drängt sich eindrücklich die Frage auf, ob die heterogene Begriffsverwendung nicht das Anliegen des Bandes torpediert oder ob darin das Eingeständnis seinen Ausdruck findet, die Wirklichkeit einer jeden Gesellschaft, zumal in ihrer Raum-Zeit-Organisation, nicht begrifflich, nicht homogenisierbar ist? Impliziert dies dann auch kontinuierliche Sprachlosigkeit?

Was also bleibt dennoch? Teilweise hoch interessante, weil anregende Beiträge zum Thema  Stadtentwicklung. Zugleich aber auch klischeehafte Bedienungen des Topos «Stadt und Natur» und die noch immer nicht bewältigte «Ganzheit» Landschaft in ihrer spezifischen Ausprägung als städtischer Raum. Diese als Prozess verstanden – und jenseits aller «grünen» Ideologie –, macht eben nur deutlich, dass Kulturlandschaft, Stadt, verstädterter und anderer Raum ihre jeweilige wünschbare oder erstrebenswerte Ordnung aus dem kreativen Diskurs und einem geltenden Wertgefüge der jeweiligen Gesellschaft erfahren. Es ist freilich zu bedenken, dass sich Wertvorstellungen und -haltungen tendenziell schneller als die gebaute Umwelt zu ändern vermögen.

Nicht abwegig ist das erkennbare Anliegen, bei Stadt, Städtebau und Stadtentwicklung nicht auf architektonische Traumwelten fixiert zu bleiben. Allerdings sollte man auch einer voreiligen Naturalisierung der Stadt entgehen. Die Stadt bleibt mehr als nur bebaute bzw. gebaute Umwelt plus Natur. Was man für den Wandel im städtischen Raum hier als erstrebenswert annimmt, dürfte vielleicht nur dann erfolgreich sein, wenn die Stadt-Land-Differenz aufgehoben wird. Dies freilich ist eine gesellschaftliche Frage. Sie ist womöglich faktisch längst beantwortet (aber planerisch und politisch wenig wahrgenommen?), da heute auf einem Territorium nur eine Gesellschaft existiert und keine zwei, nämlich eine ländliche und eine städtische. Genau hiergegen aber wird verstossen, solange zwischen Stadt und Land «wesensmässig» unterschieden wird; die Vorstellung etwa von einem «Stadtland» (zweifelsohne mit regionalen Differenzierungen) als Ausdruck der räumlichen Wirklichkeit wird kaum ernsthaft aufgegriffen.

Und so setzt sich auch dieser Gedanke fest: Wird mit der «Rückkehr der Natur» in die Stadt womöglich ein für die gegenwärtige Zeit harmoniesüchtiges (und Ewigkeitsbedeutung erheischendes) Stadtkonstrukt postuliert, dessen «Vorgängerkonstrukt», die im Massstab wiederentdeckte historische Stadt, bislang wohl noch nicht den Beweis hat erbringen können, für die Transformationsprozesse in den Städten des 21. Jahrhunderts einen nachhaltigen und tragfähigen Beitrag geleistet zu haben.
Ulrich Ante

Quelle: disP 184, 1/2011, S. 81-83