Franz Schultheis, Paul-Frantz Cousin u. Marta Roca i Escoda (Hg.): Humboldts Albtraum. Der Bologna-Prozess und seine Folgen. Konstanz 2008. 195 S.

Christian Scholz u. Volker Stein (Hg.): Bologna-Schwarzbuch.Bonn 2009. 202 S.

Jürgen Kaube (Hg.): Die Illusion der Exzellenz. Lebenslügen der Wissenschaftspolitik. Berlin 2009. 95 S.

Andrea Liesner u. Ingrid Lohmann (Hg.): Bachelor bolognese. Erfahrungen mit der neuen Studienstruktur. Opladen 2009. 207 S.

Der als Bologna-Prozess eingeleitete Umbau der Hochschulen ist in Deutschland knapp vor einer geplanten Vollendung in das Stadium geraten, das Kritiker wie Heinz Steinert (in Liesner/Lohmann, 191-202) bereits seit einiger Zeit voraussagen: die Reform der Reform. Wollte man bis 2010 flächendeckend Kreditpunkte und Module eingeführt, Bachelor- und Masterstudiengänge aufgebaut, überprüft und akkreditiert haben, veranlassten bereits die Studierendenproteste vom Herbst 2009 die Kultusminister und Hochschulrektoren, tendenziell unstudierbare Neuerungen zurückzunehmen.

Der Bachelor wird jetzt nicht mehr überall in sechs Semester gepresst, nicht mehr jede Lehrveranstaltung muss abgeprüft werden. Wie dagegen die allgemeinen Reformorientierungen – zumal ihre inzwischen alt aussehenden neoliberalen Anteile – zu korrigieren wären, ist weiterhin offen und nicht einmal Gegenstand einer konturierten Debatte. In dieser Situation könnte es helfen, die Grundlinien der Bologna-Kritik zu sichten, die inzwischen eine eigene Literaturgattung zwischen Feuilleton, Stammtisch und Wissenschaft bildet. Viele Ergebnisse der betreffenden Symposien, Vorlesungsreihen, Artikelserien usw. kommen zurzeit als Sammelbände heraus – meist um ein bis zwei Jahre verzögert, doch mit der Aussicht auf eine Art verschobener Aktualität.

Die hier betrachteten Publikationen nehmen die Hochschulreform von verschiedenen Seiten aus kritisch in den Blick. Die jeweils bezogene Position entspricht dabei recht genau der Zusammensetzung der Autorinnengruppen: Befürchten die Professoren, denen der Deutsche Hochschulverband im Bologna-Schwarzbuch ein Forum bietet, mehrheitlich Status- und Privilegienverluste, stellen diejenigen, die der FAZ-Redakteur Jürgen Kaube ausgewählt hat, mit ironischer Distanz Folgeschäden der Reform den sie motivierenden Problemen gegenüber; der aus einem europäischen Forschernetzwerk hervorgegangene Band von Schultheis u. a. verteidigt die Wissenschaft gegen ihr Management, während bei Liesner und Lohmann alle Statusgruppen über verbesserte Studienbedingungen reflektieren. In vielen kritischen Punkten sind sich die Bände einig: Durchgängig monieren die Beiträge wachsende Bürokratie, unsinnige Prüfungsdichte, überregelte Studienstrukturen, verhinderte Mobilität, entwertete Abschlüsse, eingeschränkte Forschungsfreiheit, die Widersprüche von alledem zu den 1999 in Bologna erklärten Zielen und ein falsches Verständnis des angloamerikanischen Vorbilds. Die jeweils dominierenden Forderungen dagegen lassen sich klar von politisch rechts nach politisch links sortieren: eine Stärkung der Lehrstühle, der deutschen Tradition und des ›wirklichen‹ Markts im Bologna-Schwarzbuch, ein Verzicht auf illusorische Leistungs- und Gleichheitsversprechen bei Kaube, weniger ökonomisch-bürokratische Fremdbestimmung in Humboldts Albtraum, brauchbare akademische (Aus-)Bildung für möglichst viele im Bachelor bolognese. Das schließt Querverbindungen nicht aus, etwa den Auftritt von Konrad Paul Liessmann in zweien der Bände und einen Beitrag von Ingrid Lohmann im Schwarzbuch. Insgesamt sind die Ansätze zu einer Reform der Reform aber fest in interessen- und klientelpolitischen Lagern verankert.

Die Frage ist daher, wie konsequent und wie bündnisfähig sich der Bologna-Komplex von diesen Standpunkten aus in Frage stellen lässt. Ganz links und in der konservativen Mitte zeichnet sich Kompromissbereitschaft ab. Liesner und Lohmann halten die »fundamentale Kritik [...], die mit dem Europäischen Hochschulraum das Ende der Universität gekommen sieht«, ebenso wie »pathetische Bekenntnisse zu ›Bologna‹« für »wenig geeignet, die Suche nach konstruktiven Gestaltungsmöglichkeiten der Universität zu intensivieren« (17f). Konkret leuchtet vielen Autoren in ihrem Band ein, dass die akademische Ausbildung der Zukunft tatsächlich eine ›Berufsorientierung‹ bieten sollte. Als höchst fragwürdig wird dagegen die Ausführung begriffen: »Die Rechnung des Kapitals, es sei in der gegenwärtigen Konstellation ein Leichtes, die allgemeinen Teile einer jeden modernen Berufsausbildung teils auf die öffentliche Hand, teils auf die auszubildenden Selbstzahler zu verlagern [...], kann und wird nicht aufgehen. Wer ein paar ›berufsbezogene‹ Kurse an einer Universität absolviert hat, der ist damit keineswegs auf das berühmte Berufsleben vorbereitet.« (Clemens Knobloch in Liesner/Lohmann, 108) Bei Kaubes Autoren fällt die Zustimmung breiter aus. André Kieserling meint, dass die Rekrutierung von Nachwuchswissenschaftlern, die viele Reformkritiker bedroht sehen, ganz automatisch zustande kommt, aber nicht die einzige Aufgabe der Hochschullehre bilden kann – weshalb es den »Professoren« durchaus zumutbar sei, »darüber nachzudenken, was in ihren Fächern denn tatsächlich Kenntnisse und Fähigkeiten sind, die sich auch außerhalb der Wissenschaft verwenden lassen« (33). Kritikwürdig ist daher vor allem ihr stiller Widerstand: »Von Berufsausbildung kann einstweilen keine Rede sein, da ein massiver Affekt gegen Ausbildung jede Anpassung in diese Richtung blockiert.« (Ebd.) Rudolf Stichweh legt im selben Band nahe, dass allgemein eine Abwehr von Wirtschaftsinteressen nicht sinnvoll ist – die Universität sei seit jeher dadurch selbständig geblieben, dass sie für eine Vielzahl anderer sozialer Bereiche Leistungen erbracht hat. »In der gegenwärtigen Situation« werde die »Autonomie der Universität« vor allem in »zwei Kernstrukturen« gesichert: »Im Board of Governors der nordamerikanischen Universitäten und im Hochschulrat oder Universitätsrat, der [...] in einer Reihe europäischer Länder in den letzten Jahren entstanden ist« (48). Die deutschen Ausprägungen dieser Einrichtung bewertet der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers kritischer: »Was [...] passiert mit der Wissenschaftsfreiheit, wenn die Neubesetzung einer Professur von der Zustimmung des Präsidiums und eines Hochschulrates abhängt, in dem pensionierte Rektoren, erfolglose Banker und ein paar andere Honoratioren sitzen?« (62) Auch er sieht jedoch im Vergleich mit früherer Praxis das Grundrecht Wissenschaftsfreiheit nicht in klagerelevantem Ausmaß bedroht; es sollte kein »Instrument [...] zur Vermeidung eigenen hochschulpolitischen Engagements« werden (64). Hier fehlen nur noch die Hinweise, wie politisch gegen die Hochschulräte und die mehr oder weniger erfolgreichen Banker darin vorzugehen wäre.

In jedem Fall klingen gegen so differenzierte Überlegungen die Schwarzbuch-Polemiken schrill. Aus einigen spricht pures Ressentiment: »Warum sollen eigentlich aus unseren Universitäten in Zukunft englischsprachige Fachhochschulen werden? Die derzeitige geistige Desorientierung erklärt sich aus dem Höhepunkt der Herrschaft der sogenannten ›68er-Generation‹ und ihrer schwachen Nachfolger. Während die 68er ursprünglich verkniffen dem Kommunismus anhingen [...], erwarteten sie nach dem ruhmlosen Zusammenbruch der von ihnen zum Paradies idealisierten Sowjetunion konsequenterweise alles hochschulpolitische Heil aus den USA.« (Thomas Hering, 195) Die sachhaltigeren Beiträge des Bandes wollen die Reform überdies – wo das mit Deutsch als Wissenschaftssprache und der Ordinarienuniversität ereinbar ist – wirtschaftsliberal überholen. Gerhard von der Oelsnitz hält eine »Öffnung gegenüber dem privatwirtschaftlichen Engagement« an den Hochschulen für »mittlerweile alternativlos«, sieht dadurch aber die »Unabhängigkeit« sowie die »Einheit von Forschung und Lehre« gefährdet – und schlägt als Gegengift die »institutionelle Stärkung der einzelnen Professuren« vor (150). Christian Scholz will die Wirtschaft bzw. den Markt auch innerhalb der Hochschulen installieren – da »bei komplexen Systemen gerade wettbewerbsorientierte Modelle zu einer optimalen Ressourcenallokation führen« – und beklagt entsprechend, dass »der Bologna-Prozess Marktmechanismen zerstört und eine etatistische Zentralsteuerung produziert hat« (183). Dagegen will er die Fakultäten zu kleinen Betrieben machen, die selbstständig das Produkt Studienabschlüsse anbieten (187). Und Volker Stein scheut für ein verwandtes Projekt nicht einmal vor dem sonst so gern karikierten ökonomischen Newspeak zurück: Der zentrale »Wettbewerbsvorteil« von Hochschulen, ihre Mitarbeiter, ließe sich »mit geeigneten personalwirtschaftlichen Maßnahmen so optimieren, dass die Lehrenden selbst, ihre Studenten als Kunden und das nationale Bildungssystem als Ganzes davon profi tieren. Das notwendige ökonomische Steuerungsinstrument in Universitäten ist die Humankapitalbewertung!« (176).

Die Reformkritik in Humboldts Albtraum verläuft konträr und damit konsequenter: Hier beziehen fast alle Beiträge Stellung gegen die Diskurse und die Praxis der bürokratisch forcierten Wirtschaftsorientierung – und bieten zudem die Gelegenheit, verschiedene Reformstände und Hochschulsysteme daraufhin zu vergleichen. Allerdings sind die Texte oft eher feuilletonistisch (oder, im Fall der französischen Beiträge, sehr eng aufs eigene Land bezogen) und bestätigen so überwiegend nationale Klischees: Pfründewahrung und Bürokratie in Italien (Stuart Woolf), »Management-Denken« und »Professionalisierung« der Humanwissenschaften (Charles Soulié, 88, 96) bei weiter gestärkter Hochschulhierarchie (Sandrine García, 72f) in Frankreich, geldaristokratische Ivy-League-Tradition in den USA (Rick Fantasia). Aus diesen Befunden eine übergreifende politische Strategie zu gewinnen, dürfte schwer fallen. Der sorgfältigste Beitrag des Bandes lässt immerhin für die deutsche Situation einen oppositionellen Ansatz erkennen: Ulf Wuggenig schlägt vor, die Reform hier »als Übergang von einer verdeckten zu einer offenen Eliten-Bildung [zu] interpretieren. Die Trennung und symbolische Unterscheidung von Bachelor- und Master-Studierenden, die Beschränkung des Zugangs in den ›Graduate‹-Sektor und die über Konkurrenzdruck erzeugte Profi lbildung von Hochschulen sind Ausdruck einer neuen vertikalen Differenzierung im Feld« (154). Dass dies, wie auch Wolfgang Eßbach in Kaubes Sammelband herausstellt, im Namen des für alle gleichermaßen möglichen Bildungsaufstiegs geschieht (22ff), ist eine der stärksten Spannungen der gesamten Reform. An den Strukturen des Bildungswesens wird so eine Verteilung gesellschaftlicher Arbeiten, Machtpositionen und Güter greifbar, die weiterhin Einigen auf Kosten der Meisten Vorteile verschafft. Hier könnte eine Kritik des laufenden Hochschulumbaus ansetzen, die den Geist des Pseudowettbewerbs wirklich herausfordert.
Tilman Reitz

Quelle: Das Argument, 52. Jahrgang, 2010, S. 281-284

 

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