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Kategorie: Rezensionen

Gordon L. Clark, Adam D. Dixon, Ashby H. B. Monk (Eds): Managing financial risks: From global to local. Oxford 2009. 352 p.

Finanzielle Risiken managen – unter diesem Titel behandelt der von Gordon Clark, Adam Dixon und Ashby Monk im Jahr 2009 herausgegebene Sammelband nicht nur Strukturen und Akteure auf den Finanzmärkten, sondern auch Entscheidungsfragen, das Verhalten der Akteure sowie Strategien, Modelle und Praktiken des Risikomanagements. Ein besonderer Fokus liegt auf Fragen der Maßstäblichkeit, also den Ebenen, auf denen risikorelevantes Wissen entsteht bzw. vorhanden ist und auf denen Entscheidungen getroffenen werden. Dabei bilden Informationsflüsse und -asymmetrien zwischen Marktteilnehmern sowie die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Ebenen innerhalb eines lokal-globalen Kontinuums wichtige Untersuchungsgegenstände bzw. -kategorien.

 

Hiermit werden zentrale Fragen der Finanzkrise berührt, die den Entstehungsprozess des Buches begleitet hat. Neben der ausführlichen Einleitung gehören hierzu insgesamt zwölf Beiträge, die im Rahmen verschiedener Workshops und Tagungen im Jahr 2008 an der Universität Oxford vorgestellt und diskutiert wurden.Allerdings – und dies wird von den Herausgebern explizit hervorgehoben (xvii) – handelt es sich nicht um ein (weiteres) Buch zur Finanzkrise, sondern vielmehr um eine Zusammenstellung von neueren sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen unterschiedlicher theoretischer Provenienz zum Thema Risikomanagement im Finanzsektor. Neben Geographen sind auch Ökonomen, Soziologen und Politikwissenschaftler unter den Autoren, von denen einige neben wissenschaftlichen Arbeiten auch praktische Erfahrungen im Finanzsektor einbringen.

Als inhaltlichen Auftakt gehen die Herausgeber in ihrer Einleitung vor allem auf die Entwicklungen im Vorfeld und im Zuge der Finanzkrise ein und interpretieren diese im Hinblick auf ihre zentralen Untersuchungskategorien. Demzufolge hat sich die Krise unter anderem deshalb ereignet, weil das „Globale“ die Komplexitäten des „Lokalen“ ignoriert hat (2). Konkret sehen sie in „unsatified demand for investment returns“ eine wesentliche Antriebskraft der krisenhaften Entwicklungen, durch die das Lokale global wurde (14). Unser Verständnis für wirtschaftliche Entwicklungen und ihre räumlichen Unterschiede wird daher, so die Herausgeber, in Zukunft noch stärker davon abhängen, die globalen und lokalen Praktiken sowie die unterschiedlichen und auf verschiedene Weisen miteinander verschränkten institutionellen Konfigurationen im Finanzsektor und auf den Finanzmärkten zu verstehen (3).

Die weitere Organisation des Bandes folgt einer maßstäblichen Logik von globalen Strukturen bis zum individuellen Finanzakteur („from global to local“). Sie ist allerdings eher formaler Natur, da gemäß dem Fokus auf Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Ebenen die getroffenen Zuordnungen keineswegs eindeutig sind. Im Block „Governing global financial risk“ thematisert Pauly zunächst die veränderte politische Geographie des Krisenmanagements. Er verweist auf die Notwendigkeit staatlicher Intervention und Kooperation auf der supranationalen Ebene und diskutiert insbesondere die Problematik einer tieferen fianziellen (inklusive fiskalischen) Integration in der Europäischen Union. Auch Dymski beschäftigt sich mit demThema Finanzgovernance in der neoliberalen Ära, fokussiert allerdings auf die Makrostrukturen von Währungsregimen. Er problematisiert die Verbindung von politischer und wirtschaftlicher Macht im Kontext von (hegemonialen) Reservewährungen sowie die daraus resultierenden Herausforderungen für eine globale Finanzgovernance. Während Pauly und Dymski die Regulation durch staatliche Organe in den Mittelpunkt rücken, fokussiert Clark auf das Risikomanagement in privaten Finanzinstitutionen und analysiert konkret die Strategien, das Entscheidungsverhalten und die Praktiken von global tätigen institutionellen Investoren sowie die damit verbundenen Probleme. Er argumentiert, dass ohne diese Kenntnisse ein umfassendes Verständnis der Funktionsweise und Logik globaler Finanzmärkte und ihrer Governance nicht möglich sei.

Im Block „Place, proximity, and risk“ wird das Spannungsfeld zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung, zwischen lokalen und globalen Strukturen sowie die Rolle unterschiedlicher Formen von Nähe in den Blick genommen. Millo und McKenzie analysieren die Entstehung von Risikomanagementmodellen und verdeutlichen am Beispiel des Black-Scholes-Mertin-Modells die soziale Dimension und die soziale Geographie von Praktiken und Modellen des Risikomanagements. Die Autoren zeigen, dass Netzwerke unterschiedlicher Akteure und vertrauensbasierte Interaktionen nicht nur für die Entwicklung von modellorientierten und technischen Risikomanagementsystemen zentral sind, sondern auch deren Anwendung und Reproduktion prägen. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise diskutiert Engelen anschließend unterschiedliche Formen von Nähe und ihre Rolle für die Bildung von Vertrauen zwischen Organisationen als mikrosoziologische Grundlagen einer Geographie der Finanzmärkte. Auch Wójcik sieht Nähe als wichtigen Erklärungsfaktor für das Investitionsverhalten und die Performance von Investitionen und Märkten und untersucht diese Zusammenhänge anhand der Beziehungen zwischen Investoren und Aktiengesellschaften in Sekundärmärkten, unter anderem mit Bezug auf das Home bias-Konzept. Er hebt die Bedeutung lokaler Faktoren für Finanzakteure und finanzielle Risiken hervor und argumentiert für deren (bessere) Integration in die finanzwissenschaftliche und -geographische Theoriebildung, ohne die Grenzen ihrer Erklärungskraft aus dem Blick zu verlieren. Im Block „Urban risk“ wird konkret die urbane Maßstabsebene einschließlich der gebauten bzw. materiellen Umwelt und damit ein in der Finanzgeographie bisher eher vernachlässigtes Thema behandelt. Die Bedeutung erschließt sich aufgrund der immer stärker durch Finanzmärkte vermittelten Produktion und Reproduktion des urbanen Raums, wozu vor allem David Harvey frühzeitig interessante Überlegungen angestellt hat. Am Beispiel der Finanzierung von urbaner Infrastruktur durch die international tätige Infrastrukturbank Macquarie aus Australien stellt O’Neill die dabei angewandten privatwirtschaftlichen Risikomanagementstrategien vor. Anschließend diskutiert er die Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Funktionsweise von städtischer Infrastruktur sowie das städtische Leben und dessen Risiken. In eher allgemeiner Form beschäftigen sich Hagerman und Hebb mit den Wechselwirkungen zwischen Finanzmärkten und gebauter Umwelt und zeigen einen sich über drei Jahrzehnte erstreckenden Paradigmenwechsel von einem subventions- zu einem finanzmarktgetriebenen Modell auf. Sowohl für diesen Wechsel als auch für die konkreten und räumlichen Ausprägungen der urbanen  Investitionstätigkeit spielen Strategien der Risikodiversifikation (Portfolio-Theorie) seitens der Investoren eine zentrale Rolle. Im letzten Beitrag zu urbanen Risiken geht es um das Management von Umweltrisiken, die immer auch finanzielle Risiken und damit ein Geschäftsfeld für den Finanzsektor darstellen. Dabei fokussiert Randall weniger auf die naturwissenschaftliche oder (finanz-)technische Dimension dieses Themas, sondern nimmt Fragen der Governance und des Risikomanagements in den Blick und verdeutlicht die Rolle von Städten und ihren Risiken sowohl für die Entstehung als auch für die Produkte der environmental finance.

Individuen und ihre Investitionsentscheidungen sowie die zunehmende Finanzialisierung  gesellschaftlicher Teilsysteme stehen im Fokus des letzten Blocks „Individuals in a risk world“. Wichtig für das Verständnis der Finanzkrise sind hier vor allem die Besonderheiten des Wohnungs- bzw. Eigenheimmarktes und seiner Finanzierung bzw. Finanzierungssinstrumente, die Smith mit Fokus auf die home-ownership societies (u.a. USA, Großbritannien) untersucht. Sie interessiert sich besonders für den Umgang mit Investitionsrisiken und argumentiert für ein Risikomanagement durch neuartige, besser regulierte und am Gemeinwohl orientierte Derivate, die – paradoxerweise – mit jenen verwandt wären, die die Krise verursacht haben. In den beiden abschließenden Beiträgen werden die Finanzialisierung der Alterssicherung durch Pensionsfonds (Strauss) und im Kontext von Konsumentenkrediten (Langley) in den Blick genommen. Strauss untersucht das Entscheidungsverhalten im Hinblick auf Gender-, aber auch schichtspezifische Unterschiede und konstatiert als Schlussfolgerung vor allem ein höheres Armutsrisiko von Frauen im Alter. Dagegen hebt Langley die Rolle von Machtbeziehungen für den Zugang zu Konsumentenkrediten hervor. Er zeigt, wie technisch unterstützte Risikomanagement-Tools Kreditnehmer disziplinieren (sollen), dabei aber der Komplexität individueller Risiken und Unsicherheiten gerade in der Krise nicht gerecht werden können. Beide greifen damit Themen der Behavioral finance-Forschung auf, und insbesondere Langley setzt sich damit kritisch auseinander, indem er auf Widersprüche und Irrationalitäten aufgrund vonMachtasymmetrien verweist, die in den Überlegungen dieser Forschungsrichtung (bisher) keine Berücksichtigung finden.

Die kurze Darstellung der Inhalte und Argumente der verschiedenen Beiträge verdeutlicht die Vielfalt der Themen und Perspektiven in der skalenorientierten Forschung zum Thema Risikomanagement im Finanzsektor. Die durchgehend hohe Qualität der Beiträge macht den Sammelband zu einer lohnenswerten Lektüre für all jene, die sich für aktuelle Trends im Finanzwesen und den Wechselwirkungen mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen interessieren. Die Wahl des Risikomanagements (Strategien, Modelle, Systeme, Praktiken) und seiner Maßstäblichkeit als Analyseperspektive stellt für die Geographie zum einen eine Erweiterung der bisherigen finanzgeographischen Arbeiten dar, sie erlaubt zum anderen einen originär geographischen Beitrag zur finanzwissenschaftlichen (Risiko-) Forschung.Allerdings ist der Band weniger ein umfassendes Kompendium als vielmehr eine – durch ein ausführliches Stichwortverzeichnis gut erschließbare – Fundgrube von interessanten Ansätzen und Ideen. Die Weiterentwicklung und empirische Überprüfung dieser Ansätze und Ideen ist wünschenswert, um unser Verständnis der Maßstäblichkeit von Finanzmärkten, Finanzmarktinstitutionen und -akteuren sowie den Risiken und Risikomanagementstrategien weiter zu verbessern.
Britta Klagge

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 55 (2011) Heft 1-2, S. 115-117

weitere Besprechungen zum Thema:

Elmar Altvater: Der große Krach oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur. Münster 2010.

Werner Plumpe, unter Mitarbeit von Eva J. Dubisch: Wirtschaftskrisen. Geschichte und Gegenwart. München 2010.

BEIGEWUM & Attac: Mythen der Krise. Einsprüche gegen falsche Lehren aus dem großen Crash. Hamburg 2010.

Andreas Wehr: Griechenland, die Krise und der Euro. Köln 2010.

Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff: This time is different. Eight centuries of financial folly. Princeton 2009.

Norman Backhaus: Globalisierung. Braunschweig (Das Geographische Seminar) 2009.

Joseph Vogel: Das Gespenst des Kapitals. Zürich 2010.

 

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