Trevor Paglen:  Blank spots on the map: the dark geography of the Pentagon's secret world. Updated edition. New York 2010. 324 S.

In den USA ist es gute Tradition, dass Akademikerinnen und Akademiker mitunter Bücher so schreiben, dass sie auch und gerade außerhalb des eigenen Faches auf Interesse stoßen. Trevor Paglen, promovierter Geograph und Künstler, hat ein ebensolches Buch vorgelegt, in dem es ihm gelingt, ein hochpolitisches Thema – geheime Aktivitäten von Militär und Geheimdiensten der USA – mit einer spezifisch geographischen Sicht zu verbinden.

Sein gleichermaßen simpler wie überzeugender Zugang geht davon aus, dass auch geheime Rüstungsforschung, Gefängnisse und Spionagesatelliten eine physisch-materielle Existenz haben und irgendwo sind bzw. stattfinden müssen, weshalb die Titel gebenden „weißen Flecken auf der Karte" Hinweise auf die geheime „black world" (wie sie von ihren Protagonisten selbst genannt wird) geben müssen: "the black world, like the rest of the world, is inescapably spatial" (S. 36).

Diese „Räumlichkeit" der geheimen Welt versteht Paglen, ohne sich explizit auf ihn zu beziehen, wie Henri Lefebvre, der sich als Marxist stets von sozialen Prozessen ausgehend für die Bedeutung und Relevanz von „Raum" als physisch-Materiellem wie als Repräsentation interessierte. Für Lefebvre galt: „Die sozialen Beziehungen, diese konkreten Abstraktionen, haben keine reelle Existenz außer im und durch den Raum. Ihre Grundlage ist räumlich. Die Verbindung ‚Grundlage – Beziehung' bedarf in jedem Einzelfall der Analyse" (Lefebvre 1974, 465; Übers. B.B.). Wie Lefebvre verwechselt auch Paglen nie Mittel und Zweck und sieht deshalb in den physisch-materiellen Räumen der „black world" zwar notwendige, für ihre Erklärung des Phänomens aber in keiner Weise hinreichende Momente. Letztere müssen vielmehr mittels Recherche zu sozialen Zusammenhängen sowie mittels Argumenten geliefert werden. Ohne eine solche Interpretation hätten die physisch-materiellen Räume keine Bedeutung, ebenso ihre (fehlenden) Darstellungen in Karten oder auf Fotografien. Illustriert wird dies durch die Anekdote vom sowjetischen Satellitenfoto einer geheimen Militäranlage in Nevada, das Paglen ausfindig machen kann und als „inside joke to myself" (S. 12) an seiner Bürotür befestigt. Während andere Geograph/innen mit diesem „inside joke" nichts anfangen können, wundert sich ein ehemaliger Kampfflieger, der eines Tages zufällig vorbeikommt, über die erstaunliche Qualität des Bildes (S. 18f.).

Weil also auch die staatliche Praxis der Geheimhaltung mit der Produktion physisch-materiellen Raums einher geht, stellt die Suche nach den res extensa der „black world" eine Strategie dar, um über den „Umweg" des produzierten Raums Hinweise auf die geheime Praxis selbst zu finden. So beobachtet Paglen von einem Hotelzimmer in Las Vegas aus den Flugverkehr, der von hier aus zu diversen geheimen Testgeländen in Nevada stattfindet, trifft sich mit einem Satellitenbeobachter, der es sich – als Teil einer weltweiten community – zur Aufgabe gemacht hat, geheime Spionagesatelliten zu „kartieren", begibt sich in Afghanistan auf die Suche nach geheimen Foltergefängnissen, besucht die geheimen Stützpunkte in Honduras, von wo aus die Contras in Nicaragua unterstützt und Linke getötet wurden, nimmt an einer Ehrung für Testpiloten teil, die möglich wurde, weil die Geheimhaltung ihrer Arbeit aus den 1970er und 80er Jahren aufgehoben wurde, erzählt die Geschichte des „Manhattan Projekt", dem ersten geheimen Rüstungsprogramm der USA, in dem während des 2. Weltkriegs die Atombombe entwickelt wurde und das mit phasenweise über 130.000 Mitarbeitern größer war als die gesamte Automobilindustrie der USA, und berichtet vom langwierigen und oft erfolglosen Kampf von Ingenieuren und Arbeitern (bzw. deren Familien), die in geheimen Programmen der US-Regierung krank geworden oder zu Tode gekommen sind, um Entschädigung bzw. Anerkennung. Abschließend zeigt Paglen, wie unter Bush nach 9/11 ein neues Paradigma der Kriegsführung etabliert wurde, das neben neuen rechtlichen Grauzonen – v. a. im Bezug auf Folter – auch neue Räume notwendig machte. Als zentrale Elemente der so entstehenden neuen Geographie nennt Paglen Guantánamo (vom Militär betrieben), das Netzwerk aus von befreundeten Geheimdiensten betriebenen Foltergefängnissen außerhalb der USA sowie von der CIA selbst betriebene „black sites" in Afghanistan und anderswo (S. 253f.). Die hier besprochene Ausgabe beinhaltet als Einleitung zusätzlich Belege dafür, dass die Geheimhaltungspolitik sich unter der Obama Administration – trotz der Ankündigung Guantánamo aufzulösen – nicht wesentlich geändert hat, ja eher noch ausgeweitet wurde.

Diese und andere Aspekte der „geheimen Welt" berichtet Paglen in gleichermaßen gut zu lesender und recherchierter Weise. Wie die Beispiele andeuten mögen, ist nicht das ganze Buch entlang der zentralen These zu Geheimnis und Raum strukturiert. Zahlreiche Aspekte werden über den Zusammenhang beider mit dem Recht – bzw. dessen Abwesenheit und Aushebelung – entwickelt, wobei laut Paglen gilt: "Blank spots on the map beget dark spaces in the law" (S. 164).

Wie Paglen verwundert feststellt, finden sich im akademischen Betrieb auch zu den "most obscure phenomena imaginable" (S. 14) Expertinnen und Experten, die diese beforschen – nur die „black world" stellt diesbezüglich einen „weißen Flecken" dar. Das Verdienst des Autors ist es, einige Aspekte dieser geheimen Geographie ans Licht gebracht zu haben.

Literatur

Lefebvre, H. (1974): La production de l'espace. Paris.


Bernd Belina

Geographische Zeitschrift, 99. Jg. 2011 · Heft 2+3 · Seite 182-183

 

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