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Kategorie: Rezensionen

Wilfried Feldenkirchen, Susanne Hilger, Kornelia Rennert (Hg.): Geschichte – Unternehmen – Archive. Festschrift für Horst A. Wessel zum 65. Geburtstag. Essen 2008. 548 S.

Die Festschrift, die zu Ehren des Unternehmensarchivars und Wirtschaftshistorikers Horst A. Wessel erschienen ist, umfasst insgesamt 26 Beiträge von Freunden, Kollegen, langjährigen Wegbegleitern und Schülern zu Themen aus dem breiten Spektrum der Arbeitsgebiete, mit denen sich der Geehrte im Laufe seiner langen wissenschaftlichen Tätigkeit beschäftigt hat.

Der Bogen reicht von quellen- und archivkundlichen Aufsätzen, die sich unter anderem Problemen der Filmarchivierung, der Industriefotographie und der Oral History zuwenden, über unternehmensgeschichtliche Skizzen, die sich mit Standortfragen, dem Wirken einzelner Unternehmer und der Mitbestimmung ebenso  auseinandersetzen wie mit Problemen des Marketings, bis zu Arbeiten zur Düsseldorfer Stadtgeschichte sowie zu besonderen Aspekten der deutschen Geschichte. Zeitlich reichen die Themen, die behandelt werden, von der jüngeren Zeitgeschichte bis ins 18. Jahrhundert zurück. Bei den Autorinnen und Autoren handelt es sich ausnahmslos um Historikerinnen und Historiker, deren Beiträge aber auch für andere wissenschaftliche Disziplinen ausgesprochen erhellend und bereichernd sind, so wie sie umgekehrt nicht weniger eindrucksvoll demonstrieren, in welcher Weise geschichtswissenschaftliche Untersuchungen von den theoretischen Ansätzen und Ergebnissen anderer Fächer profitieren. Das gilt nicht nur für die Kommunikationswissenschaft, auf die der Technikhistoriker Alfred Kirpal in seinem Beitrag zur Medien- und Werbewirkungsforschung im „Dritten Reich“ zurückgreift, oder für die Betriebswirtschaft, deren Marketingforschung dem kürzlich verstorbenen Unternehmenshistoriker Wilfried Feldenkirchen bei seinem Projekt zur Geschichte der Marke Siemens von großem Nutzen war. Wie die Festschrift zeigt, stellt gerade auch der Dialog zwischen Geographie und Geschichte ein für beide Seiten ergiebiges Erkenntnispotenzial dar.

So nutzt die DüsseldorferWirtschaftshistorikerin Susanne Hilger den Cluster-Ansatz, wie Michael Porter ihn in Weiterentwicklung des Modells des „industrial district“ von Alfred Marshall formuliert hat, um „den Aufstieg Düsseldorfs im 19. Jahrhundert von der wirtschaftlich bedeutungslosen ehemaligen Residenzstadt zu einer boomenden Industrie- und Wirtschaftsmetropole“ (259) zu analysieren. Sie kann dabei nachweisen, dass die Stadt „bei der Eisenbahnerschließung eine Schrittmacherfunktion im Rheinland“ (264) einnahm. Durch die Ansiedlung zahlreicher Betriebe der eisenschaffenden und metallverarbeitenden Industrie entwickelte sich die Stadt ab den 1850er Jahren zum „rheinischen Manchester“, und aufgrund der größeren Urbanität, die sie im Vergleich zum Ruhrgebiet bot, konnte sie zugleich Sitz flankierender Dienstleistungsangebote, Forschungsinstitutionen und Interessenverbände werden, so dass sie ein Profil gewann, das bis heute charakteristisch ist. Die geographisch günstige Lage, wie sie Düsseldorf mit seinem Hafen und seinen Verbindungen zum gewerbereichen Bergischen Land bot, hatte sich jedoch erst nach heftigen und langwierigen Auseinandersetzungen zum Vorteil für die Wirtschaft auswirken können, wie der Düsseldorfer Stadthistoriker Clemens von Looz-Corswarem in seinem Beitrag über den Kampf der Stadt um ihren Freihafen zu Beginn des 19. Jahrhunderts anschaulich schildert. Erst mit der Rheinschifffahrtsakte erreichte Düsseldorf 1831 „die ersehnte Gleichberechtigung mit Köln“ (41) und konnte so den Grundstein für den wirtschaftlichen Aufstieg in den folgenden Jahrzehnten legen.

In geographischer Hinsicht sehr aufschlussreich ist auch der Beitrag des Wirtschaftshistorikers Burkhard Zeppenfeld, der am Beispiel der St. Antony-Hütte in Oberhausen, der ersten Eisenhütte des Ruhrgebiets, die schon seit 1758 Gusswaren produzierte, zeigt, dass ein industrieller Kern keineswegs ausreichte, um einen ruhrgebietsspezifischen Urbanisierungsprozess in Gang zu setzen, sondern „dass offensichtlich weitere Faktoren nötig waren, um von einem Industrieunternehmen mit regionaler Bedeutung zu einer Stadt zu werden“ (171). Mit rund 80 Beschäftigten war das Werk um 1800 zwar ein für die damalige Zeit ungewöhnlich großes Unternehmen, aber es blieb eingebunden in die ländliche Region und bildete „keine zentripetalen Kräfte“ (175) aus, so dass um das Werk herum keine Wohnbauten und in der Folge auch keine Kirchen, Schulen und Geschäfte entstanden. Die Beiträge der Festschrift, durchweg verständlich geschrieben, auch wenn zwei in englischer Sprache verfasst sind, und mit Fotos und Faksimiles passend illustriert, sind auch für Nichthistoriker, nicht zuletzt für (Wirtschafts-)Geographen,mit Gewinn zu lesen.
Karl Lauschke

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 55 (2011) Heft 3, S. 190-191

 

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