Joachim Vossen: Bukarest. Die Entwicklung des Stadtraums. Berlin 2004. 320 S.

Bukarest zählt nicht unbedingt zu den europäischen Hauptstädten, die in das übliche Repertoire der deutschsprachigen geographischen Stadtforschung gehören.

Mit der in Form einer Monographie vorgelegten Habilitationsschrift trägt Vossen erfolgreich zum Abbau dieses Forschungsdesiderats bei. Der vorliegende Band besteht aus klar strukturierten Kapiteln, die die Stadtentwicklung von Bukarest im historischen Zusammenhang wie auch in vielen Einzelfacetten nachzuzeichnen vermögen. Die Einzelkapitel beziehen sich auf fünf Phasen der Stadtraumentwicklung. Die Darstellung der postbyzantinischen Stadt (Kapitel 5) beginnt mit dem Jahr 1459, als der Wojwode Vlad Tepes (eben jener bei uns als Dracula bekannte Fürst der Walachei) seine Residenz an diesen Ort verlegte. "Bukarest am Vorabend der Europäisierung" (Kapitel 6) erfasst die Aufbruchstimmung, nachdem die osmanische Tributpflicht abgeschüttelt werden konnte (1822). "Die europäisch geprägte Stadt" (Kapitel 7) entstand erst nach 1866, als Bukarest unter König Carol I. zu einem "Paris des Ostens" aufstieg. Nachdem Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg hinter dem ‚Eisernen Vorhang' "versank" (S. 39) entstand "die sozialistisch geprägte Stadt" (Kapitel 8). Nach dem schweren Erdbeben von 1977 ergriff Ceausescu die Möglichkeit, durch "die radikale Umwandlung der Stadt" (Kapitel 9) seine städtebaulichen Vorstellungen umzusetzen, die ein Viertel der gesamten Altstadt erfassen sollte. Im letzten Kapitel werden schließlich die jüngsten Entwicklungen aufgegriffen und ein Ausblick auf die städtebauliche Zukunft der Stadt gewagt. Die dargelegten Quellen sind das Ergebnis der ausdauernden Akribie des Autors, der vielfältigste Exponate der Stadtgeschichte aus dem Dunkel der Archive holte und in einen erhellenden Zusammenhang stellt. Das Werk zeichnet sich durch eine Fülle sehr detaillierter, auch auf Grundlage der Archivfunde entstandener Karten aus, die aufgrund einer chronologisch und maßstäblich aufbauenden Vergleichbarkeit in dieser Art wohl als einmalig bezeichnet werden können. Das ergänzende Bildmaterial und die systematischen Modellzeichnungen der Stadtstruktur für jede Stadtraumphase erleichtern die Lesbarkeit. Als Teil einer idiographisch ausgerichteten individuellen Methodik versteht sich das Werk der traditionellen Stadtgeographie verpflichtet. Verfolgt wird daher eine kultur- und morphogenetische Stadtforschung, die sich auf den gebauten Stadtkörper in seinen jeweiligen Nutzungen über einen historischen Zeithorizont hinweg konzentriert. Die Darstellung der Stadtgeschichte folgt der Suche der Elite Bukarests nach einem europäisch geprägten Stadtzentrum im späten 19. und 20. Jahrhundert. Auffälligkeiten wie die Angabe der Bevölkerungsdichte in Ew./ha (S. 156) oder das falsche Krönungsjahr von Carol I. (S. 153) schmälern den Wert des Bandes nicht. Wer wissen will, wie Bukarest zu dem geworden ist, was es heute ist, muss dieses Buch in die Hand nehmen.

Autor: Christoph Waack

Quelle: Die Erde, 137. Jahrgang, 2006, Heft 1-2, S. 44