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Kategorie: Rezensionen

Hans-Rudolf Bork: Landschaften der Erde unter dem Einfluss des Menschen. Darmstadt 2006. 207 S.

Die Mehrzahl der aktuellen Untersuchungen und Publikationen zum Landschaftswandel befasst sich mit den gravierenden Veränderungen, die in den vergangenen Jahrzehnten durch die Intensivierung der Landnutzung, insbesondere in Mitteleuropa, eingetreten sind.

 

Das vorliegende Buch spannt den Bogen viel weiter, sowohl zeitlich als auch geographisch. H.-R. BORK und 41 KoAutoren aus dem In- und Ausland beschreiben und interpretieren Jahrtausende währende Vorgänge ebenso wie die Auswirkungen kurzfristiger Extremereignisse; sie liefern Beispiele aus Deutschland, aber auch aus vielen Landschaften und Regionen der Erde, etwa aus China oder von den Galapagos-Inseln. Dabei betrachten sie die Bodenerosion als Schlüsselprozess von Landschaftsveränderungen.

Das Buch besteht aus drei Teilen: 1. Grundlagen der Erforschung der Haut der Erde, 2. Landnutzung und ihre Spuren in den Landschaften der Erde, 3. Chronologie des Wandels der Landschaften der Erde.

Das Kernanliegen des großzügig mit aussagekräftigen Fotos und Zeichnungen ausgestatteten Buches bringen eingangs formulierte Grundsatzfragen zum Ausdruck, z.B.: Wie beeinflusste der Mensch die Entwicklung an und unter der Erdoberfläche? Welche Spuren haben Menschen in den Landschaften der Erde hinterlassen? Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zum Klimawandel wird der Leser mit Spannung lesen, ob die Menschheit bereits in den vergangenen Jahrhunderten das Klima modifizierte? Aber auch: Wie reagierten die Landnutzer auf Bodendegradationen? Gelang jemals die Etablierung bodenschonender, nachhaltiger Landnutzungssysteme? Können die Landschaften der Erde zukünftig (wieder?) nachhaltig genutzt werden? Weitere im Teil 1 aufgeworfene Fragen beziehen sich auf Klima und Wasserhaushalt, auf die Böden und ihre Zerstörung sowie auf die Landnutzung. Unter dem Motto „Erddetektive unterwegs“ werden Forschungsmethoden und Archive zu Landschaft und Gesellschaft vorgestellt, die Anhaltspunkte bzw. verwertbare Spuren liefern, um Antworten auf die gestellten Fragen zu finden, insbesondere zu Bodenerosion und -sedimentation. Schwerpunkt wird hierbei auf eine Landschaftssystemanalyse in 10 Schritten gelegt.

Der zweite Teil des Buches beinhaltet eine Fülle interessanter Fallstudien, die exemplarisch für zahlreiche Landschaftsausschnitte in Asien, Afrika, Nord- oder Südamerika, Europa, für drei pazifische und eine atlantische Insel die aufgeworfenen Fragen beantwortet.
 
So werden z.B. langfristige Prozesse wie die Sesshaftwerdung des Menschen erläutert: Klima-und Bodenveränderungen durch Ackerbau, Geschichte der Landnutzung in Mitteleuropa, Landnutzungsgeschichte in Dithmarschen ab Ende der Eiszeit, die Aussagekraft von Seesedimenten. Zu den behandelten Extremereignissen zählen der „tausendjährige Niederschlag“ im Juli 1342, Hungersnöte durch Bodenzerstörungen, Sturmfluten an der Ostsee, Hochwässer in den Alpen. Die Autoren führen die Leser auch zu exotischen Schauplätzen, so in den hohen Norden nach Island oder zur Osterinsel (wo die Abtragung der fruchtbaren Böden nach Rodung der Palmwälder die intensive gartenbauliche Nutzung und vermutlich auch die Megalithkultur beendet hat). Auch auf der legendären Robinson-Crusoe-Insel hat der Raubbau an der Vegetation (Abholzung, Brandrodung, Ausbreitung von Ziegen und Kaninchen) ein ökologisches Desaster angerichtet. Wie uralte, bewährte Bodenkultur durch ideologisch begründete agrarpolitische Vorgaben abrupt enden kann, zeigt das Beispiel chinesischer Lössplateaus nach 1958 (Maos „Großer Sprung nach vorn“). In Südafrika begünstigte die Apartheidpolitik die Bodenerosion.
 
Im dritten Teil des Buches werden kurze, generalisierende Antworten auf die Grundsatzfragen gegeben. Dass Menschen seit dem Beginn des Ackerbaues maßgeblich die Entwicklung einer Landschaft (in all ihren Komponenten) bestimmen, hatte man erwartet, die Rolle seltener natürlicher, durch menschliche Eingriffe in ihrer Wirksamkeit verstärkter Extremereignisse häufig aber unterschätzt. Es gelang kaum irgendwo, nachhaltige Landnutzungssysteme zu etablieren. In der Gegenwart verschärft sich die ungünstige Situation durch größeren Bedarf an Nahrung und Rohstoffen immer mehr.

H.-R. BORK kritisiert die allgemeine Unterschätzung der Folgen der Bodenerosion. Eine Ursache sieht er darin, dass diese über längere Zeit – von Extremereignissen abgesehen – kaum sichtbare Spuren hinterlässt. Erdbeben, Hurrikans, Tsunamis und andere Ereignisse seien viel präsenter in der öffentlichen Wahrnehmung. Das „langfristig bedeutsamste von Menschen je ausgelöste Drama“ werde erdweit weitgehend ignoriert: der vor Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden landnutzungsbedingt begonnene und heute exzessive Verluste der Böden der Erde. Der notwendige gesellschaftliche Diskurs über die Fachgrenzen hinaus fehle bislang.

Bezüglich der Rangfolge der Umweltprobleme auf der Erde mag man geteilter Meinung sein. Das Ansinnen des Buches, „ein wenig Licht in dieses Dunkel zu bringen“, kann jedoch nicht hoch genug gewürdigt werden, zumal angesichts der alles beherrschenden Klimadebatte andere Umweltthemen, wie eben die Bodenerosion, momentan Gefahr laufen, noch weiter in den Hintergrund geschoben zu werden. Selbst der fortschreitende, immer bedrohlicher werdende Verlust der Biodiversität hat vor diesem Hintergrund momentan keineswegs die Aufmerksamkeit und den gesellschaftlichen Widerhall, wie es dem Ernst der Lage eigentlich angemessen wäre.
Olaf Bastian, Dresden

Berichte zur deutschen Landeskunde, Bd. 84, H.1, 2010, S. 90-92

 

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