Elmar Altvater u.a.: Die Rückkehr des Staates? Nach der Finanzkrise. Hamburg 2010. 144 S.

Rückkehr oder Rückzug des Staates - ob die regulativen Normen und Aktivitäten des Staates in Arbeitsmarkt, Sozialstaat, Ökonomie oder Haushalt und Politik jemals reduziert, dem Markt überlassen wurden oder wieder intensiviert, de- bzw. re-reguliert wurden oder nun werden, hängt unerlässlich von der Perspektive bzw. ideologischen Brille ab. Ebenso falsch ist es aber, alles pauschal mit der Chiffre des Neoliberalismus als Beleg des Bösen besetzen zu wollen. Dass die liberale Mainstream-Ökonomie den freien Marktkräften mehr zutraut als dem vermeintlich trägen Staat und dass sie immer auf dem Sprung ist, jegliche Staatsaktivität als "Kommunismus/Sozialismus" zu diskreditieren, ist bekannt.

Umso erstaunlicher, dass von Seiten der Wirtschaftsakteure in der Finanzkrise seit 2007, also dem Zusammenbruch, der Dominowirkung und akuten Bedrohung verschiedener namhafter Bankhäuser und des finanzgetriebenen Kapitalismus, der Ruf nach staatlicher Hilfe laut wurde. Vokabeln wie Rettungsschirme, Währungskrise und Staatspleite wurden seither fast Allgemeingut. Dass der Staat sich aus der gesellschaftlichen Gestaltung nie zurückgezogen hat, also nie "weg" war, ist denn auch die Grundthese des Buches. Einzig die Gewichte, mediale Inszenierungen und Wahrnehmungen haben sich verschoben.

Die Beiträge untersuchen die Situation und Genese der apostrophierten Krise. Nicht zuletzt die Begrifflichkeiten selbst werden dechiffriert. Hervorgegangen ist der Band aus einer Vortragsreihe an der Universität Hamburg. Altvater geht den Weg zurück "vom finanzgetriebenen zum staatsgetriebenen Kapitalismus" und hält mit Rückgriff auf Engels fest, dass die staatlichen Eingriffe "gar nichts Neues in der Geschichte des Kapitalismus" sind (8). Dass wir uns an einer "Zeitenwende" befinden, steht für ihn außer Zweifel, was folgt und folgen sollte ist jedoch alles andere als klar. Alex Demirovic widmet sich der "Aktualität eines Gemeinplatzes", nämlich dass Politik und Wirtschaft nicht zu trennen sind: "Der Neoliberalismus stellt keine Schwächung des Staates dar, sondern seine Stärkung insofern, als sich nun die herrschenden Kräfte in ihm reorganisieren können." (19f) Die "Metamorphosen des integralen Staates" untersucht Hans-Jürgen Bieling. Er greift "konkurrierende Leitbilder in der Krisendiskussion" (37) auf. Stefanie Wöhl erläutert die Rolle der "Sozial- und Beschäftigungspolitik der Europäischen Union in der Krise". Diese seien tragend mitverantwortlich für den Status quo - im Positiven wie im Negativen. Mehrdad Payandeh wirft die Frage nach der Endlichkeit des Finanzmarktkapitalismus auf, indem er den Unterbietungswettbewerb des Kapitalismus nachzeichnet sowie dessen Ursachen und Auswirkungen skizziert. An die Stelle von Spekulationen über weitere Entwicklungen setzt er die Forderung nach dem aktiven Staat, der investiert statt zu kürzen. Was es bedeutet, nach den Schulden zu fragen, für die angeblich "niemand etwas kann" (105), beleuchtet Heiner Flassbeck. Dabei beschränkt er sich nicht auf oberflächliche Beschreibung, sondern rechnet auch "gute gegen schlechte Schulden" auf. Allzu zuversichtlich auf der Suche nach Alternativen oder klugen Köpfen ist er jedoch dabei nicht, wenn er seinen Aufsatz mit den Worten schließt: "es hat noch niemand einen Mechanismus entdeckt, der zeigen könnte, wie man ohne diese staatlichen Schulden aus einer Schuldendeflation, aus einem Schuldenkollaps der Privaten rauskommen kann." (115) Abschließend und resümierend widmet sich Werner Goldschmidt den "Formen und Funktionen der Rückkehr des Staates in die Wirtschaft". Auch ihm merkt man eine gewisse Resignation oder Ratlosigkeit, aber ebenso Hoffnung an, wenn er am Ende seiner Ausführungen die "berühmt-berüchtigten Worte eines bekannten Hamburger Politikers" zu den "Visionen" zitiert und variiert: "Wer in der gegenwärtigen Weltlage keine Visionen hat, muss zum Arzt gehen oder besser: gehört abgewählt; am besten: beides!" (136)
Uwe Lammers (Hamburg)

Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 623-624

 

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