Klaus Dörre u. Matthias Neis: Das Dilemma der unternehmerischen Universität. Hochschulen zwischen Wissensproduktion und Marktzwang. Berlin 2010. 178 S.

In der gegenwärtigen hochschulpolitischen Debatte stehen sich zwei Positionen scheinbar unversöhnlich gegenüber. Die eine vertritt die in jeder Hinsicht ›unabhängige Wissenschaft‹, die sich jenseits von Verwertungsinteressen um kritische und handlungsorientierte Bildung bemüht. Die andere Position vertritt das Leitbild der »unternehmerischen Universität«, womit gemeint ist, dass Hochschulen nach dem Modell klassischer Unternehmen ausgerichtet werden sollen; in diesen sollen Forschung und Lehre von vornherein auf Marktbedürfnisse und Innovationsproduktion zugeschnitten sein, wissenschaftliche Erkenntnis soll Wirtschaft und Gesellschaft ohne weitere Transformationsleistung zur Verfügung stehen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen gezielt auf diese ökonomische Aufgabe hin ausgebildet werden.

Bei aller Gegensätzlichkeit heben beide Positionen jedoch einen Terminus in ihrem Wortschatz gleichermaßen positiv hervor, nämlich ›Kreativität‹. Indem die vorliegende Studie diesen Kreativitätsterminus ebenfalls benutzt, kann an ihr paradigmatisch studiert werden, wie die Rede von der ›Kreativität‹ die Positionen in der hochschulpolitischen Debatte verwischt und selbst deren progressivste Teilnehmende zum Türöffner ihres neoliberalen Gegensatzes macht.

Verf. starten mit einer kritischen Betrachtung der aktuellen hochschulpolitischen Reformen. Unter der Annahme, dass die Hochschulen sich der Debatte um ihre ökono-misch verwertbare Innovationsfähigkeit künftig nicht werden entziehen können, lassen sie die Grundsatzfrage nach dem »Sinn und Unsinn einer wirtschaftlichen Indienstnahme der Universitäten« außen vor und fragen stattdessen nach der Beziehung zwischen »unternehmerischer Universität« und den Bedingungen von Innovationsprozessen (15f). Als analytisches Instrument für universitäre Innovationsfälle dienen ihnen exemplarisch sog.»Spin-offs«,also Unternehmen, die aus dem universitären Geschehen heraus gegründet wurden. Methodisch kommen Experteninterviews mit Dekanen, Professoren, Geschäftsführern und anderen mit diesen Ausgründungen befassten Personen zum Einsatz (33f). Die empirische Untersuchung führt zu dem Befund eines »Innovationsparadoxons«: Für Innovationsproduktionen sei die »kreative Arbeit« entscheidend, die ihrerseits »Nischen, ungesteuerte Arbeitsprozesse, Abwesenheit von Kontrolle, vermeintliche Ressourcenvergeudung, Informalität und Mut zu Experimenten, die auch scheitern können«, benötige; gerade diese Voraussetzungen würden aber durch die Merkmale der »unternehmerischen Universität«, wie etwa deren Wettbe-werbsrationalität und Effizienzkriterien, eingeschränkt (112f, 152f). Die »unternehmerische Universität« steht ihrer Zielsetzung demnach selbst im Wege. Dieses Paradox suchen Verf. durch einige »arbeits- und hochschulpolitische Anregungen« zu lösen (158ff), insbesondere regen sie die Förderung »kreativer Arbeit« an, durch die universitäre Innovationsprozesse ermöglicht werden, die dann auch Regionen und Gesellschaft zu gute kommen würden(165).

Verf. halten ihre differenzierte Haltung gerade so lange durch, bis sie den Begriff der »kreativen Arbeit« einbringen, den sie dann nur noch eindimensional begreifen, nämlich als geistige Freiheit in organisationaler Regellosigkeit. Unbeachtet bleibt somit, wie Kreativität längst auch der Wirtschaft zum Begriff geworden ist: z.B. in den Abteilungen ›Forschung und Entwicklung‹ von Industriebetrieben, in denen tagtäglich Innovationen unter Zeitdruck, finanziellen Erfolgskriterien und durchorganisierten Arbeitsprozessen entstehen, oder in der Werbebranche als Musterbeispiel kommerzieller Kreativität. Auch sind Kreativität und Wirtschaft im Begriff der ›Kreativwirtschaft‹ verschmolzen, die wirtschaftlich der Größenordnung der Automobilindustrie zugerechnet wird und politisch bspw. in der ›Initiative Kultur-und Kreativwirtschaft der Bundesregierung‹ Ausdruck findet. Was immer Kreativität ist, der Begriff steht für unterschiedlichste Dimensionen: für die Vorstellung vom freischwebenden Geist ebenso wie für das zielorientierte ›Brainstorming‹, für utopische Ideen ebenso wie für die Attraktivität eines Wirtschaftsstandorts und für Idealismus ebenso wie für Ideologie. Indem Verf. in ihrer Studie einen eindimensio-nalen und nicht einen kritischen Begriff von Kreativität entwickeln, werden sie gerade nicht verhindern können, dass sich auch ganz andere oder entgegengesetzte Interessen in die Förderung ›kreativerArbeit‹ einmischen und sich dieser für ihre jeweiligen Ziele bedienen. Neben allem, was Verf. beabsichtigten, ist aus ihrer Studie somit vor allem zu lernen, ganz genau hinzuhören, wenn von ›Kreativität‹ die Rede ist, und die Frage nach den mit diesem Begriff verbundenen Interessen nicht beiseite zu lassen.  
Henrike Sander (Hamburg)

Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 935-936