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Kategorie: Rezensionen

Stephen Bell: A Life in Shadow. Aimé Bonpland in Southern South America, 1817-1858. Stanford 2010. 320 S.

Den Geographen und Botaniker Aimé Bonpland (*1773 in La Rochelle, †1858 in Santa Ana) als Visionär zu skizzieren widerstrebt einer allgemeinen Auffassung, in der dieser vermeintlich neben der großen Figur Humboldt einen eher bescheidenen und inaktiven Lebensabend im südlichen Südamerika verbrachte. Dass diese Auffassung - maßgeblich beeinflusst durch die verzerrte Darstellung des Brasilien-Reisenden Dr. Robert Avé-Lallemant - nicht zutrifft, beweist der Vertreter der historischen Geographie Stephen Bell von der University of California in Los Angeles in seiner gut recherchierten Monographie "A Life in Shadow". Bells Ziel ist es, dem Werk Bonplands außerhalb von Südamerika mehr Resonanz zu verschaffen, da bis dato wenig Quellenforschung betrieben wird.

Erst kürzlich erwachte das Interesse im französisch-sprachigen Raum durch eine Monographie von Philippe Foucault. Daneben wies auch Nicolas Hassard in einer Studie auf die Fülle des Materials in Buenos Aires hin. Im deutschsprachigen Raum verblasst Bonpland in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung völlig hinter Humboldt, weshalb es Zeit ist, auf seine Verdienste hinzuweisen. Bells Monographie ist jetzt also die erste detaillierte Behandlung Bonplands im Englischen und richtet den Blick vor allem auf dessen späte Karriere im südlichen Südamerika. Die Aktivitäten des Botanikers und Geographen werden von Bell im Kontext der historisch-geographischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen in Argentinien, Südbrasilien, Paraguay und Uruguay in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrachtet. In Zusammenhang mit Bonplands Wirken stehen dabei vor allem drei große Themen der ländlichen Ökonomie: zum einen die experimentelle landwirtschaftliche Kultivierung im Allgemeinen, dann die nachhaltige Kultivierung von Yerba Mate (Paraguaianischer Tee) und zum weiteren die Zucht von Merino-Schafen zur Gewinnung von Wolle. Bells Monographie besticht dabei zum einen durch die Einhaltung des erklärten Ziels einer kritischen Betrachtung der bedeutsamen historischen Figur Bonpland, aber ebenso durch die Beschäftigung mit Bonplands Werk selbst, was umfassend zur Rekonstruktion der Landnutzung zur damaligen Zeit im südlichen Südamerika beiträgt. Bell schreibt auf S. 18: "In a region where knowledge of the human impact on the physical environment remains extremely thin for this period, Bonpland's detailed written concern for impeding destructive forms of land use holds great historical interest." Die Gliederung der Kapitel folgt der biographischen Chronologie. Die Rekonstruktion beginnt mit Bonplands Erreichen von Buenos Aires im Jahr 1817 und endet mit der Arretierung in Paraguay 1821. Bonplands "Neustart" in Südamerika erfährt somit einen jähen Dämpfer als er in Francias Para guay darben musste. Francia hatte Bonpland festgesetzt, da dieser auf einer Plantage arbeitete in Unterstützung des Indianerführers Aripí, der wiederum mit Francisco Ramírez (dessen Republik Entre Ríos zuvor gescheitert war) alliert war. Francia fürchtete um die Niederlassung der Indianer unter Aripí auf paraguaianischem Boden und machte Bonpland mitverantwortlich, da dessen Pflanzung sich in seinen Augen ohne seine Erlaubnis paraguaianischer Ressourcen im Grenzgebiet bediente. Von dem Angriff völlig überrascht wurden nahezu widerstandslos 63 Gefangene gemacht, unter denen sich auch Bonpland befand. Bell beschreibt die psychologischen Wunden, die Bonpland durch die eingeschränkten Möglichkeiten in der darauf folgenden schwierigen Situation der Gefangenschaft davon trug. "I never ate bread, I was never able to drink wine, and I was able to speak French only once", schrieb Bonpland (S. 87). Die diplomatischen Bemühungen der Freunde und Bekannten Bonplands verhallten weitgehend ungehört. Es scheint, als seien Bonplands Ruhm und Größe in der dunklen Ära in Francias Paraguay in den 1820er Jahren versteckt und vor allem dadurch der europäischen Wahrnehmung verborgen geblieben. Doch mit der Entlassung Bonplands in die Freiheit skizziert Bell nun den sich wieder eröffnenden weiten Reigen seiner vielfältigen Aktivitäten in Südamerika. Bell hält sich weitgehend nüchtern an Quellen, betreibt nur selten psychologische Studien und produziert keine imaginativen Stilblüten. Bonplands breites Interesse (S. 124) wird erwähnt, sein tiefes Interesse an tropischer Vegetation (S. 100) und mit Feingefühl spürt Bell den visionären Aussagen Bonplands nach, wenn er auf S. 101 zusammenfasst, dass "a present-day reader of Bonpland's manuscript on agricultural development around Buenos Aires will be struck by his energy for change and his extraordinary level of empirical knowledge about the regional vegetation systems." Bells Argumentation baut darauf, Bonpland als Visionär darzustellen. Dies gelingt ihm vor allem im vierten Kapitel, wenn er die politische Figur Bonpland vor dem historischgeographischen Hintergrund des südlichen Südamerikas bzw. des Kriegsgeschehens nachzeichnet. Mit unermüdlicher Akribie, Detailgenauigkeit und schriftstellerischer Frische versteht es Bell, die unterschiedlichen Verflechtungen und Aktivitäten Bonplands darzustellen, ohne sich im Dickicht von verschiedener möglicher Erzählweisen seiner Biographie zu verlieren. Das fünfte Kapitel beschreibt Bonpland in seiner ununterbrochenen Tätigkeit im hohen Alter, seine Passion für Yerba Mate und andere landwirtschaftlichen Pflanzen, mit denen er weiterhin unermüdlich experimentiert. Ebenso verlieren sich auch seine politischen Haltungen nicht, die sowohl lokal als auch bis nach Frankreich hinein Auswirkungen zeigen. Doch Bell überspannt den Bogen nicht, sondern vermittelt stets Bonplands distanzierte Haltung zu den Dingen um ihn herum und beschreibt seine entschlossene Leidenschaft für seine botanischen und landwirtschaftlichen Forschungen. Bell macht deutlich, welch hohes Ansehen Bonpland in seinen weiten Bekanntenkreisen genoss (vgl. S. 202). Etwas zu kurz kommt allerdings die Rekonstruktion von Bonplands familiären Verhältnissen, die nur an einzelnen wenigen Stellen kurze Erwähnung finden. Im sechsten Kapitel bemüht sich Bell um eine ausgewogene Rekonstruktion der letzten Tage Bonplands, in dem er die verschiedenen Darstellungen diskutiert und vor allem den Bericht des Deutschen Avé-Lallemant relativiert. Humboldts Rolle in Zusammenhang mit dem Tod Bonplands wird beschrieben, womit das Band zwischen den beiden großen Forschern deutlich zum Ende der Monographie wieder verknüpft wird. In der Konklusion räumt Bell wie eingangs erwähnt mit dem Vorurteil des inaktiven Lebens Bonplands auf und schafft es, Bonpland wieder auf Augenhöhe mit Humboldt zu platzieren. Für die Historische Geographie formuliert Bell in Rekursion auf Felix Driver den Appell für mehr Feldforschung und bemängelt die bisher weitgehend ausgebliebene Erforschung eher unbekannter europäischer Botaniker und Geographen in Südamerika wie Spix, Martius und Natterer. Bestechend an Bells Monographie über Bonpland ist vor allem, dass er es vermag, verschiedene Blickpunkte der historisch-geographischen Forschung zu einem Panorama zu formen. Zum einen durch die bemerkenswerte Darstellung und Würdigung Aimé Bonplands, dessen Wirken und Werk erst jüngst aus dem Schatten der Beschäftigung mit Humboldt tritt. Damit einhergehend umreißt Bell - was auch sein eigenes Forschungsgebiet darstellt - die historische Kulturlandschaft des südlichen Südamerikas auf der Basis von Bonplands eigenen Skizzen. Die Relevanz des Unterfangens wird deutlich, wenn Bell andeutet, welche sozio-ökonomischen Pfadabhän gigkeiten bis in die Gegenwart bestehen. Hinzu kommt, dass Bells quellenorientierte Studie (basierend auf Archivarbeit in sechs verschiedenen Ländern!) sich innerhalb der Disziplin stark macht für Feldforschung und somit eine deutliche Position gegen die Vernachlässigung disziplinhistorischer Arbeiten innerhalb der Geographie einnimmt. Eine breitere Rezeption dieser Monographie in der deutschsprachigen Geographie ist absolut wünschenswert.
Simon Runkel (Bonn)

Quelle: Die Erde, 143. Jahrgang, 2012, Heft 1-2, S. 131-133

 

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