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Kategorie: Rezensionen

Alejandro Colás, Bryan Mabee (Hg.): Mercenaries, Pirates, Bandits and Empires. Private Violence in Historical Context. London 2010. 244 S.

Es ist nicht auszuschließen, dass manche von diesem Sammelband ein wenig enttäuscht sein werden. Wer aufgrund des Obertitels etwa weitere Erzählungen vom revolutionären Nordatlantik erwartet, liegt definitiv falsch. Das gemeinsame Unternehmen der neun Beiträge ist vielleicht weniger kurzweilig und phantasievoll, dafür aber intellektuell anspruchsvoller: Wie der Untertitel andeutet, geht es um die Schwierigkeiten, öffentliche und private Gewalt auseinanderzuhalten, um deren mannigfaltige Überschneidungen und um die Ambivalenz, ja sogar Fragwürdigkeit dieser Unterscheidung selbst. Ein zentraler Bezugspunkt ist dabei Patricia Thompsons Buch Mercenaries, Pirates and Sovereigns (1994), auf das fast alle Beiträge kritisch Bezug nehmen.

 

Patricia Owens spitzt die Sichtweise, die den Band zusammenhält, im Anschluss an Carl von Clausewitz noch zu: "Krieg ist keine 'öffentliche' Angelegenheit. Er ist politisch." (32) Diese Problemstellung stellt grundlegende Annahmen konventioneller Theorien in den Internationalen Beziehungen (IB), auf die sich der Band in erster Linie bezieht, aber auch deutlich darüber hinaus in Frage. Hier stehen Konzepte wie das staatliche Gewaltmonopol oder die staatliche Souveränität, genauer die Kongruenz zwischen Territorium, Bevölkerung und Staatsgewalt ebenso zur Debatte wie die Unterscheidung zwischen "legal" und "illegal" - letztlich also das "Westfälische Modell" (30). Zwar nimmt Owens hier eine Extremposition auch gegenüber den Herausgebern ein, wenn sie sich nicht allein gegen die "historisch ungenaue Dichotomie zwischen Staat und Nicht- Staat" wendet, sondern auch gegen die "binäre Unterscheidung öffentlich/ privat". Demgegenüber erscheinen die Konstituierung der "Subjekte der internationalen Politik" sowie die Ausbildung "politischer Gemeinschaften" "historisch als Teil der transnationalen Konstituierung und Zirkulation von militärischer und politischer Macht" (31): "Manche Formen von Gewalt (violence) werden durch historisch variierende Arten der Organisation und Rechtfertigung von solcher Gewalt (force) öffentlich gemacht, und andere werden privat gemacht" (32; Hv.: i.O.). Die Verschiebungen zwischen beiden Kategorien betreffen nicht zuletzt die Konstituierung des Kapitalismus, der den öffentlichen Bereich in erster Linie als Arena der privaten Eigentümer organisiert und nicht etwa wie im klassischen Griechenland als Bereich "sklavenhaltender Patriarchen", die sich gegenseitig anerkennen (19). Gegenüber der klar eurozentrischen Schlagseite der konventionellen Sicht betont Tarak Barkawi, dass das "territoriale Monopol" und die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat eine wesentliche Dimension ausspare: "ein Spektrum von Handlungsweisen, durch die Staaten ihren Gewaltapparat regelmäßig aus ausländischen Populationen konstituiert und ihnen gegenüber angewandt haben" (34). Auch Barkawi betont die Notwendigkeit, einzelne Fälle zu untersuchen. Wie aber insbesondere ein Blick auf die "britische und indische Geschichte des Empire" zeige, "kann der 'Staat' nicht isoliert von der breiteren Organisation der Macht einschließlich Wirtschaft und Kultur analysiert werden" (47). Paradebeispiel dafür ist die East India Company als wichtigste der Chartergesellschaften, die bis in das 20. Jahrhundert hinein wesentlich das Empire begründet haben. Vor allem aber betont der Autor die Rolle kolonialer Armeen sowohl für die Schaffung der europäischen Kolonialreiche wie für die beiden Weltkriege. Für die Zeit nach der auf den Zweiten Weltkrieg folgenden breiten Entkolonialisierungswelle verweist Barkawi auf neue Formen, in denen "gleichzeitig beide Unterscheidungen" zwischen öffentlich und privat sowie zwischen Inländern und Ausländern "manipuliert" wurden (48): nicht nur durch die Rekrutierung von Ausländern in die Armeen der USA, Großbritanniens, Frankreichs (und demnächst Deutschlands?), sondern auch durch das "Umflaggen" (47) vor allem von US-Piloten in zahlreichen postkolonialen Konflikten von Lateinamerika bis Vietnam. Kurz: "ausländische Kräfte der einen oder anderen Art stellten das primäre Instrumentarium des Westens dar, mit dem das geformt und beherrscht wurde, was wir heute als den 'globalen Süden' kennen" (50). Systematisch zeigt sich auch aus dieser Perspektive, dass die auf einer "Ontologie des Nationalstaates" (51) gegründete Vorstellung eines internationalen Systems, das aus diskreten "Einheiten" (Kenneth Waltz) oder "Containern" (Antony Giddens) bestehe oder je bestanden hätte, weitgehend ins Reich der Fiktion gehört.

Der Band präsentiert durchaus auch Geschichten, etwa von den Kaperschiffen, die während der Kriege des 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert ganz offiziell unter britischer, vor allem aber unter französischer Flagge auf der Nordsee unterwegs waren und ihre Beute mit Hilfe der entsprechenden, vorzugsweise in Norwegen akkreditierten Konsuln verwerteten (Halvard Leira und Benjamin de Carvalho), oder von der Hochzeit der Piraterie auf dem Nordatlantik, die die beiden Herausgeber als "parasitisch an irgendein Wirtschaftssystem angebunden" verstehen, "das vom Seehandel abhängig ist" (87). Deren Geschichte belege aber vor allem, in welchem Ausmaß die "Expansion, Konsolidierung und Verwaltung der europäischen [Kolonial-] Imperien ... auf privat mobilisierten Potentialen von Gewalt und Reichtum beruhte, die in den IB im allgemeinen nicht erkannt worden sind" (104). Eric Tagliacozzo berichtet von den ambivalenten und zwielichtigen Positionen von Schmugglern in Südostasien, die im 19. Jahrhundert u.a. durch Drogenhandel wesentlich dazu beitrugen, die sich formierenden Staaten zu finanzieren.

Zwei Regionen mit aktuellen, akuten gewaltsamen Konflikten rücken mit Afghanistan und Ex-Jugoslawien in den Blick. Antonio Giustozzi und Noor Ullah vergleichen die Werdegänge von drei afghanischen Kriegsherren bzw. "strongmen", die vorwiegend in den 1980er Jahren bis in die 1990er aktiv waren, deren Erbe jedoch auch noch in der Gegenwart virulent ist. Dabei spielt die "Einwirkung des Auslands" seit 1978/79 vor allem in Form der "Patronage politischer Organisationen" seitens Pakistans, Saudi-Arabiens und der USA eine wesentliche Rolle. Hier ist freilich weniger von Interesse, wie der Clan von Präsident Karzai mit der Opium- Wirtschaft in der Provinz Helmand verbunden ist (150), als vielmehr die sehr unterschiedliche Dynamik, die sich aus den deutlich divergierenden Möglichkeiten der Allianzbildung ergibt - je nachdem, ob die Akteure in erster Linie von einer tribalen Basis aus operieren oder nicht. Die zentrale, zumindest durch die drei unterschiedlichen Verläufe untermauerte These besagt, dass eine tribale Machtbasis es einem "strongman" selbst bei momentanen militärischen Erfolgen gerade erschwert, andere tribale Gruppen zu absorbieren und so größere Allianzen dauerhaft zu begründen und abzusichern. Ohne eine solche Basis dagegen können Kriegsherren sich schlechter von militärischen Niederlagen erholen. Für den vorliegenden Band entscheidend ist jedoch der eindrucksvolle Nachweis, wie flüssig "die Grenzen zwischen 'öffentlich' und 'privat' sind" (157). Ob das "Rätsel" der "Unterscheidung zwischen Nicht- Staat und Staat" jedoch einfach durch die Definitionen von Kriegsherrren, "strongmen" und Gewaltunternehmern zu lösen ist (ebd.), muss bezweifelt werden. Vielleicht sind gerade hier eher Owens grundlegende Einwände gegen den Bezugsrahmen dieser Fragestellung am Platz.

Die Auflösung Jugoslawiens und die folgenden Bürgerkriege bieten das vielleicht beunruhigendste Beispiel für die sehr handfesten Konsequenzen, die sich mit der Flüssigkeit der Begriffe verbinden, von der dieses Buch handelt. Nicht-offizielle staatliche Gewalt ergab sich hier vor allem aus der Verknüpfung zwischen einem Geheimdienst, der seit Jahrzehnten mit Kriminellen kooperierte und einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise in den 1980er Jahren. Kenneth Morrison zeichnet einige dieser Verbindungen nach, die dann in die praktisch unauflösliche Verstrickung sämtlicher Bürgerkriegsparteien mit mafiösen Netzwerken mündete, nicht zuletzt weil Waffen aus deren Schmuggelgeschäften mit Drogen, unversteuerten Zigaretten, aber auch Frauenhandel finanziert wurden. Fraglich bleibt da, ob es wirklich als "Katharsis" (184) zu bezeichnen ist, wenn der Wiederaufbau nach dem Dayton-Abkommen denselben Gruppen neue Verdienstmöglichkeiten eröffnete. Was Morrison skizziert, ist allenfalls die Perspektive eines sehr langen Prozesses der Zurückdrängung des organisierten Verbrechens, das auch auf große Teile des östlichen Balkans ausgriff und vor allem nach einer Verlagerung der Schmuggelrouten von Albanern sowohl in Kosovo und Albanien als auch in Serbien und Mazedonien übernommen wurde. Morrison belegt zugleich, dass diese Sachverhalte gut erforscht sind. Demgegenüber spielen sie in Debatten über Staatlichkeit, die Dynamik von Ethnizität oder auch peacekeeping eine viel zu geringe Rolle.

Eine wichtige und gleichfalls sehr aktuelle Dimension der Unterscheidung zwischen öffentlich und privat sowie der Verwischung jeglicher strikter Abgrenzung zwischen beiden zeigt Patrick Cullen mit seiner Analyse der Rolle privater Sicherheitsfirmen auf, die Schiffstransporte in der Straße von Malakka gegen Piraterie sichern. Dabei geht es weniger um das bemerkenswerte Niveau der Ausrüstung dieser Firmen oder die Rekrutierung ihres Mitarbeiterstabes, als vielmehr um ihre und ihrer Auftraggeber erfolgreichen Bestrebungen, ihren Aktivitäten auch gegenüber den Souveränitätsansprüchen der Anrainerstaaten dieses strategisch zentralen Schifffahrtsweges Geltung zu verschaffen. Bezeichnenderweise erfolgte dies letztlich durch den Rückgriff auf gesetzliche Verfahren, wobei jedoch "heute die Macht, Sicherheitsregime zu sanktionieren, einem weiter ausgreifenden Komplex öffentlicher Institutionen zukommt - vom Völkerrecht bis hin zu übernationalen Organisationen. Zu diesem Komplex gehört auch der Staat, aber er ist nicht auf diesen beschränkt" (191). In dieser Situation eines auch anderwärts - etwa von Shalini Randeria - beschriebenen, über mehrere Ebenen des Weltsystems reichenden Rechtspluralismus konnten sich die privaten Akteure letztlich insoweit durchsetzen, als es ihnen gelang, die zentralen Entscheidungskompetenzen, zumal im Hinblick auf "letale Gewalt" (205) im Sinne eines "hybriden Produkts" ihrer Kooperation (203) untereinander aufzuteilen und staatliche Ansprüche deutlich zurückzudrängen. Dabei verschieben sich freilich die Zielsetzungen: Gegenüber dem staatlichen Anspruch, die Täter "zu ergreifen", sind private Akteure bestrebt, Piratenakte zu verhindern (206). Insgesamt zeigt sich, dass hier das Sicherheitsregime "vom Staat abgekoppelt" wurde (211) mit der Konsequenz, dass "die Beziehung zwischen Territorium, Entscheidungsgewalt und Zwang ... defi nitiv auseinandergerissen wird" (212).

Die in diesem Band immer wieder angesprochenen Bezüge vieler der behandelten Sachverhalte zum Konzept der Public Private Partnership rücken Rita Abrahamsen und Michael C. Williamsim im abschließenden Kapitel mit dem besonders aufschlussreichen Beispiel des Sicherheitsregimes in Kapstadt noch einmal in den Mittelpunkt. Die Verbesserung der Sicherheitslage zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung und zumindest in den zentralen Teilen Kapstadts, die durch ihre wirtschaftliche und touristische Bedeutung herausragen, geht auf die Initiative des Cape Town Central City Improvement District (CCID) zurück. Sie lehnt sich an ähnliche Erfahrungen etwa in Brooklyn (New York) an und steht darüber hinaus im Kontext der Entstehung einer international vernetzten und zunehmend zentralisierten Branche. Group4Securicor, einer der während des letzten Jahrzehnts entstandenen Multis in diesem Bereich, ist dabei ein entscheidender, wenn auch keineswegs der einzige Partner. Vielmehr handelt es sich bei CCID um eine "Vertragsgemeinschaft zwischen den Grundsteuerpflichtigen (ratepayers), der Geschäftswelt und dem Stadtrat". Wenn dabei jedoch "Sicherheit als Dienstleistung wie jede andere betrachtet" wird und "CCID als Konsument" dieser Dienstleistung auftritt (230f), so verweist dies zurück auf die Grundlage der Autorität, auf die private Sicherheitsfirmen sich berufen können: den Markt, über den vermittelt sie als "rechtliche 'Beauftragte' derer" auftreten, "die Eigentum kontrollieren oder besitzen" (220), auch wenn "die Sicherheits-Arrangements von CCID weit davon entfernt sind, völlig privat zu sein" (231). Eine wichtige Komponente ist dabei die Haltung der ANC-Regierung, die sich zunächst deutlich reserviert zeigte - nicht zuletzt, weil das Personal der Sicherheitsfirmen großenteils aus den demobilisierten Armee- und Polizeikräften des Apartheidsregimes rekrutiert wurde. Dies hat dann relativ ausdifferenzierten rechtlichen Regulationsinstrumenten Platz gemacht. Ausgespart bleibt hier die unverkennbare parteipolitische Dimension: Das Cape Town City Council kann füglich als wichtigstes Machtzentrum der im Westkap am besten verankerten größten südafrikanischen Oppositionspartei Democratic Alliance und ihrer Exponentin Helen Zille gelten.

Es sollte deutlich geworden sein, dass der (ungeachtet teilweise mangelhaften Korrekturlesens und entsprechend holpriger Lektüre) definitiv lesenswerte Band Einblicke in Debatten und Sachverhalte eröffnet, die für realistische Vorstellungen von "öffentlicher" Sicherheit in der gesamten Moderne einschließlich der frühen Neuzeit unerlässlich sind. Die Einsicht in die prekären Grundlagen von Unterscheidungen, die konstitutiv für zentrale Begriffe und Theoriebildungen in den Bereichen der Politik und des Staates in der Moderne sind, stellt eine ernsthafte Herausforderung dar, Macht- und Gewaltordnungen neu zu denken. Wie vor allem Owens in ihren freilich eher begrifflich abstrakten Überlegungen deutlich macht, genügt es dabei nicht, hier etwa in Kategorien des Verfalls oder auch des Defizits und der Rückständigkeit zu denken.
Reinhart Kößler

Quelle: Peripherie, 31. Jahrgang, 2011, Heft 121-122, S. 366-370

 

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