Ian Scoones, Nelson Marongwe, Blasio Mavedzenge, Jacob Mahenehene, Felix Murimbarimba & Chrispen Sukume: Zimbabwe's Land Reform. Myths and Realities. Oxford 2010. 288 S.

Ab dem Jahr 2000 sorgten die politisch motivierten und oft mit Brachialgewalt durchgeführten Landenteignungen von Großfarmern in Simbabwe weltweit für Proteste. Etliche Menschenrechtsorganisationen dokumentierten die fatalen Folgen insbesondere für die FarmarbeiterInnen. Wirtschaftsexperten zeigten die mittel- und langfristig negativen ökonomischen Auswirkungen auf. In eine ganz andere Richtung argumentieren die Autoren des hier zu besprechenden Buches. Ausgangspunkt ihrer Darstellung ist die These, dass viele Berichte auf Mythen und nicht auf Tatsachen basierten. Zudem verwenden sie den neutralen Begriff "Landreform" und streichen in acht der insgesamt elf Kapitel insbesondere deren positive Folgen heraus. Empirische Grundlage der Untersuchung sind 120 Interviews in vier unterschiedlichen agrar-ökologischen Zonen der Masvingo-Provinz im Südosten des Landes.

 

Die Forscher, vor allem junge simbabwische Agrarwissenschaftler der Universität Harare, befragten neue SiedlerInnen nach ihren Motiven, Erfahrungen, Zielen und Problemen. Im Mittelpunkt stehen sogenannte livelihood strategies, also eine Vielfalt flexibler wirtschaftlicher und sozialer Überlebensstrategien auf lokaler Ebene. Dabei greift die Studie auf gängige Forschungskonzepte zur Analyse ländlicher Gesellschaften zurück und geht von einer dynamischen Kombination unterschiedlicher landwirtschaftlicher und außerlandwirtschaftlicher Einkommensformen, Migrationsmuster und Haushaltsarrangements aus. Anhand zahlreicher Interviewausschnitte illustriert sie, dass Menschen mit unterschiedlicher Ressourcenausstattung die enteigneten Farmen in vielfältiger Weise nutzen. Gemäß der an politischer Patronage, Beziehungen zu einflussreichen Entscheidungsträgern und bereits vorhandenem Besitz orientierten Hierarchie reicht das Spektrum der neuen SiedlerInnen von ranghohen PolitikerInnen, die von den agrartechnologischen Förderprogrammen der Regierung profitierten, über GeheimdienstmitarbeiterInnen oder sonstige Staatsbedienstete und Günstlinge des Regimes sowie vergleichsweise wohlhabende FarmerInnen aus der Provinz bis zu landlosen Witwen und vertriebenen, mittellosen FarmarbeiterInnen, die auf der Basis einer Entlohnung in Gestalt von Lebensmitteln im Dienste der wohlhabenden SiedlerInnen arbeiten. Oft werden ihnen die versprochenen Löhne aber nicht ausgehändigt. Wegen der peripheren Lage vieler aufgesiedelter Farmen und ihrer sozialen Isolation haben die ArbeiterInnen jedoch kaum Möglichkeiten, sich zu wehren. In einer vergleichbaren Problemlage befinden sich auch Frauen, die nach dem Tod ihres Mannes von dessen Land vertrieben wurden oder in polygamen Haushalten leben und vom Ehemann auf die enteigneten Farmen geschickt werden, um dort Landansprüche zu sichern. Häufig fehlt ihnen nicht nur landwirtschaftliches Gerät oder Saatgut, sondern zusätzlich erschweren die schlechte sanitäre Situation und die große Entfernung zu den kleinen ländlichen Gesundheitszentren oder zu Schulen für die Kinder ihren Alltag. Als Arbeitskräfte auf den enteigneten Farmen sind auch junge SchulabgängerInnen tätig, die andernorts kein Auskommen fanden.

Während die Verfasser die Situation der Farmarbeiter und der Frauen vergleichsweise kritisch einschätzen, bewerten sie die Ansiedlung junger SchulabgängerInnen positiv. Sie schreiben ihnen pauschal Innovationskraft zu, ohne zu berücksichtigen, dass sie nur mangels Alternativen und aus existentieller Not auf die Farmen kamen. Die Delegierung von Arbeit an rangniedrige Personen zieht sich durch das Buch, wird aber rein deskriptiv abgehandelt und nicht in den Kontext von Machtfragen, Verteilungskonflikten oder sozialen Ungleichheiten gestellt.

Vielmehr streichen die Autoren Chancen des Neubeginns einer diversifizierten Landwirtschaft heraus, die von ganz unterschiedlichen ProduzentInnen genutzt werden. Die Heterogenität der neuen FarmerInnen und ihre vielfältigen Interessen an den aufgeteilten Farmen stellen sie sehr positiv dar, ja entgegen aller Probleme suggerieren sie sogar eine Art Aufbruchsstimmung. Diese betten sie ein in Armutsbekämpfungsstrategien, Investitions- und Wachstumsfragen, historische Rückblicke zur politischen Ökonomie und Überlegungen zur De-Agrarisierung ruraler Gebiete sowie zur Redistribution von Land. Sie setzen zeitliche Zäsuren für die Phase seit der politischen Unabhängigkeit 1980 und bieten faktengesättigte Informationen über die Zahl enteigneter Farmen und umgesiedelter Bauern sowie die Wirtschaftsentwicklung in der Masvingo-Provinz.

Dabei schließen sie nicht aus, dass es mancherorts Gewalt und politischen Klientelismus bei der Verteilung von Großfarmen gegeben hat, und erwähnen Strukturprobleme wie den Mangel an Saatgut, Dünger, landwirtschaftlichem Gerät, Agrarberatung und infrastruktureller Anbindung. Auch Überausbeutung ökologischer Ressourcen und Wilderei kommen zur Sprache, sie werden aber, wenn überhaupt, allenfalls sehr vorsichtig als Übergangsprobleme bewertet. Zwar verschweigen die Autoren nicht die Tatsache, dass ranghohe PolitikerInnen mit Militärs und regimetreuen Jugendlichen kollaborieren, um beispielweise die Vermarktung von Rindfleisch oder den Verkauf von Mais zu kontrollieren, doch gelten ihnen nicht die in Lagern oft einer Gehirnwäsche unterzogenen und zu Schlägern ausgebildeten jungen "grünen Bomber" als das Problem, sondern die mittellosen und um ihren Lohn geprellten FarmarbeiterInnen, die, häufig aus der Not geboren, Werkzeuge der Farmbesitzer verkaufen, um zu überleben. So werden Opfer von Landenteignungen als kriminelle Störenfriede gebrandmarkt, was angesichts der von Sicherheitskräften und jungendlichen Schlägern im Auftrag der Regierung ausgeübten Gewalt grotesk ist.

Insgesamt bleibt die Darstellung auf einer deskriptiven Ebene, und es werden weder die Problemursachen noch deren machtpolitische Hintergründe analysiert. Vielmehr äußern die Autoren wiederholt die Zuversicht, in Zukunft werde sich vieles verbessern, und meinen, mit ihrer grundsätzlich positiven Bewertung die Realität abzubilden.

Zur Durchführung ihrer Interviews kooperierten sie mit staatlichen AgrarberaterInnen und wurden fachlich begleitet von ExpertInnen für Landfragen und Ökologie der südafrikanischen University of the Western Cape und des Institute of Development Studies in England. Auch wissenschaftliche BeraterInnen in Simbabwe und England - u.a. eine Schülerin des bekannten und nicht unumstrittenen Historikers Terence Ranger - standen ihnen zur Seite. Bemerkenswerterweise hat der Verlag zu Werbezwecken gleich zu Beginn des Buches lobende Kurzrezensionen einiger namhafter WissenschaftlerInnen abgedruckt, die auch als Resource-Personen für die Forschung fungierten.

Dabei ist ihnen aber offenbar entgangen, dass die Autoren zwar über die Repräsentativität ihrer Datenerhebung reflektieren, nicht aber über ihre Grundannahmen, die dem Mugabe-Regime weitgehend entgegenkommen oder gar nützlich sind. Das mag aus der Situation der jungen Wissenschaftler verständlich sein, wenn sie im krisengeschüttelten Simbabwe ihre Posten an der Universität mit kritischen Einschätzungen möglicherweise nicht gefährden wollten. Methodisch und konzeptionell ist dieser Spagat jedoch fragwürdig. Sicherlich ist es berechtigt, in einem politisierten Forschungsterrain Mythen aufzudecken und sich keinem Denkverbot zu unterwerfen. Dennoch zeigt das Buch, dass die Grenzen wissenschaftlicher Neutralität schnell erreicht und noch rascher überschritten sind, selbst wenn die Autoren sich damit rechtfertigen, rein empirisch zu argumentieren. Angesichts der Tatsache, dass Landreformen und Landenteignungen keineswegs nur in Simbabwe, sondern auch in anderen Ländern des südlichen Afrika weiterhin politisch brisant sind, wird diese Publikation auch zukünftig für Kontroversen sorgen.
Rita Schäfer

PERIPHERIE Nr. 124, 31. Jg. 2011, S. 513-516