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Kategorie: Rezensionen

Agnes Khoo: Life as the River Flows. Women in the Malayan Anti-Colonial Struggle. Manmouth. 2007. 312 S.

In der modernen Geschichte linker Bewegungen in Südostasien stellt der langandauernde, bewaffnete Kampf der Kommunistischen Partei von Malaya (CPM) eines der auffälligsten Beispiele dar. Er begann 1948 mit der Erklärung des Ausnahmezustands (emergency) durch die britische Kolonialverwaltung und der darauffolgenden Formung der Malayan National Liberation Army durch die CPM. Die Regierung des inzwischen unabhängigen Malaya, dem Vorläufer des heutigen Malaysia, hob 1960 den Ausnahmezustand auf.

Lokal wurde der Kampf allerdings noch fortgesetzt, vor allem im Nordosten der Halbinsel, an der Grenze zu Thailand, wohin sich die CPM ihr Hauptquartier verlegt hatte. Nach fast 40 Jahren schlossen die CPM einerseits und die Malaysische sowie die Thailändische Regierung 1989 einen Friedensvertrag. Die verbliebenen Freiheitskämpfer, oft zwischen 60 und 70 Jahren alt, siedelten sich als staatenlose BürgerInnen im Süden Thailands in vier "Friedensdörfern" an. Hier hat die Soziologin Agnes Khoo mit 16 ehemaligen Guerillakämpferinnen Interviews geführt.

Sie interessierte sich vor allem für die Motivation der Frauen mehrheitlich chinesischer Abstammung, sich der CPM anzuschließen. Weiter fragte sie, warum die Frauen der Partei so lange loyal geblieben sind, wie sie auf die Zeit ihrer Teilnahme am Kampf zurückblicken und was ihre heutigen Träume und Wünsche sind. Selbst eine Aktivistin der 1980er Jahre in Singapur wollte sie "den Frauen der anti-kolonialen Widerstandsbewegung eine Stimme geben" (9). Zwischen 1998 und 2003 verbrachte sie mehrere Perioden mit den Veteraninnen in Thailand. So konnte sie deren Vertrauen gewinnen und in langen Gesprächen auch heikle Themen ansprechen.

Die Lebensgeschichten geben einen Einblick in die unruhigen Zeiten der britischen Herrschaft, des Zweiten Weltkriegs, des Ausnahmezustands und der malaysischen Selbstverwaltung. Sie zeigen, wie sich von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossene Chinesinnen dem Pakt der malaysischen und britischen Herrscher widersetzten. Dieser Widerstand geschieht nicht auf der Ebene der gescheiterten malaysischchinesischen Verhandlung von 1954 in Baling, sondern auf der des Alltags im undurchdringlichen malaysischen Dschungel. Die Untersuchung zeigt, wie schwer das Leben im feuchten Klima war: wegen ständiger Nahrungsmittelknappheit häufig am Rande des Hungers, unaufhörlich bedroht durch tropische Krankheiten oder durch die Verfolgung seitens des britischen und später des malaysischen Feinds. Denn den Frauen wurde der gleiche physische Einsatz abverlangt wie den Männern, auch während Menstruation oder Schwangerschaft.

Viele der Frauen stammten aus armen, revolutionär eingestellten Familien; oft hatten sie ihren Entschluss, sich dem Widerstand anzuschließen, schon in jugendlichem Alter gefasst. Neem Luo Lan (Interview 8) erzählt, wie ihre ganze Familie die Revolution unterstützte. Ihre Eltern, als Mitglieder der CPM schon am anti-japanischen Kampf beteiligt, griffen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu den Waffen, dieses Mal gegen die britische Kolonialmacht. Lan wuchs bei ihrer Großmutter väterlicherseits auf. Ihr Großvater wurde wegen Unterstützung des anti-britischen Kampfes nach China deportiert. Ihr Vater fiel 1954, eine ihrer Tanten wurde standrechtlich erschossen (121f). Brüder und Schwestern anderer Frauen waren jahrelang interniert, wurden gefoltert oder verstarben.
Khoo lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie den starken Willen und die Durchsetzungskraft dieser Frauen bewundert, die ihre Eltern oder Geliebten zugunsten des Widerstands verließen. Sie nimmt ihre LeserInnen an die Hand, sodass sie diese Bewunderung teilen. Aber das Buch hat auch noch eine andere Seite, die die Autorin nicht expliziert. Die Gespräche verdeutlichen nämlich auch, wie hart es ist, für ein großes Ziel, das das Individuum übersteigt, zu leben und nötigenfalls zu sterben, in diesem Fall für die sozialistische Revolution. Meng Yue Ying erzählt über ihren ersten Mann, den sie aus Liebe heiratete. Er wurde jedoch als Infiltrant verdächtigt und von der Partei exekutiert. Ying ist bis zum heutigen Tag von seiner Unschuld überzeugt. Ihre zweite Ehe wurde durch die Partei arrangiert. Sie berichtet: "Der Führer suggerierte, dass wir heiraten müssten, also taten wir das. Er sagte: 'Es wird einfacher sein, zusammenzuarbeiten, wenn ihr ein Ehepaar seid.' Anfangs habe ich mich geweigert. Wir haben keine Kinder. Ich vermisse noch immer meinen ersten Mann. Er mochte mich mehr und war freundlicher." (176) Erschütternd ist, was Ying über die Selbstkritik-Kampagne in den 1970er Jahren äußert: "... wir lernten, schwere Verstöße, die wir nicht begangen hatten, zuzugeben, um unser Leben zu retten". (178) Einmal in die Widerstandsbewegung aufgenommen, war es so gut wie unmöglich, sie wieder zu verlassen.

Mit ihrem Buch hat Khoo eine interessante Arbeit vorgelegt, die den revolutionären Kampf in Malaysia von innen her beleuchtet. Angesichts der gemeinsamen Lebensgeschichten überschneiden sich die Interviews teilweise. Daher sollten sich die LeserInnen die Zeit nehmen, die Kapitel Stück für Stück zu lesen, damit sie nicht einige wegen der Wiederholungen auslassen. Freilich sind Zweifel am bewaffneten Kampf kaum zu hören.

Wer sich für die Geschichte des Landes interessiert, war bisher auf Standardwerke angewiesen, etwa die History of Malaysia des amerikanisch-australischen Ehepaars Barbara W. & Leonard Y. Andaya (Neuauflage 2001). Für die Zeit des Ausnahmezustands musste man/ frau auf Romane oder Literatur über den Kalten Krieg wie The War of the Running Dogs von Noel Barber (1971) oder auf einige Kapitel in dem beeindruckenden Sammelband Tales from the South China Seas von Charles Allen (1983) zurückgreifen, der in den 1970er Jahren für die BBC 70 Kolonisten aus Malaya und Borneo interviewte. Diese Situation hat sich mit der Veröffentlichung von My Side of History (2003), den Memoiren von Chin Peng, dem Führer der CPM, und dem vorliegenden Buch verändert. Es sind zwei grundverschiedene Bücher. Denn Chin Peng blickt zurück auf sein Leben als Parteiführer und gibt Einsichten in die Entscheidungsprozesse an der Parteispitze, während Khoo Grassroots-Lebensgeschichten von vierzehn chinesischen und zwei malaysischen Frauen dokumentiert, die mit der CPM gekämpft haben.

Das Buch hat durch zwei Filme des malaysischen Filmemachers Amir Mohammed eine unerwartete Ergänzung erhalten: Einige Frauen, die auch Khoo gesprochen hatte, kommen in The last Communist zu Wort. In der Fortsetzung The Village People Road Show geht es um zwei der Dörfer, in denen ehemalige Guerilleras und Guerilleros leben. Beide Filme dürfen übrigens in Malaysia nicht gezeigt werden.

Die Autorin kann zufrieden sein. Denn das auf Englisch/Chinesisch erschienene Buch hat sich in Malaysia und Singapur gut verkauft. 2009 ist in Jakarta eine indonesische Ausgabe erschienen: eine gerechte Anerkennung für diesen einzigartigen Einblick in eine Epoche der malaysischen Geschichte. Schade nur, dass die in England erschienene Ausgabe ein regelrechter Reprint der in Asien publizierten ist und damit dieselben Druckfehler enthält.

Gerard Kohl & Ton van Naerssen Aus dem Niederländischen übersetzt von Detlev Haude

PERIPHERIE Nr. 124, 31. Jg. 2011, S. 529-531