Stefan Kurath:  Stadtlandschaften Entwerfen? Grenzen und Chancen der Planung im Siegel der städtebaulichen Praxis. Bielefeld 2011. 572 S.

Die vorliegende Arbeit entspringt einer Dissertation, die 2010 vom Fachbereich Stadtplanung der HafenCity Universität Hamburg  angenommen wurde. Im Wesentlichen ist der Text in vier grosse Kapitel gegliedert. Teil A beschreibt die Rahmenbedingungen.
Sie stellt die Terminologie vor, diskutiert den Forschungsstand, formuliert die von der Arbeit zu schliessenden Erkenntnislücken, eine Arbeitshypothese sowie die thematische Eingrenzung der Arbeit und stellt die Methodologie vor. Teil B  versteht sich als empirische Arbeit, deren Kern vier sogenannte Mikrostudien mit Planungsbeispielen aus der Schweiz umfassen, die mit ihren Strukturen und Prozessen der Typik von Zwischenstadt entsprechen. Schliesslich werden die gewonnen Erkenntnisse aus diesen räumlichen Beispielen diskutiert.

Im Teil C – Testplanung – werden verschiedene gegenwärtige Planungsansätze zum Umgang mit der Zwischenstadt vergleichend  gegenübergestellt, um die unterschiedlichen Zugänge zur Fragestellung, wie Qualifizierung von Stadtlandschaften erreichbar ist, herauszustellen. Deutlich wird, dass verschiedenartig mit geläufigen Handlungstheorien und Handlungssträngen umgegangen wird. Dies bringt den Autor dazu, dem «Städtebau der Dissoziationen», «der die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Raumproduktion ausgrenzt» (S. 534), den «Städtebau der Assoziationen», «der sich der gesellschaftlichen Relationen und Aushandlungsprozesse im Zusammenhang mit räumlichen Transformationen bewusst ist» (S. 537) entgegen zu setzen. Im Teil D – Synthese – verdichtet der Autor seine Überlegungen, wie Planung zukunftsfähiger zu gestalten sei. Er sieht im «relationalen Entwerfen» eine «Handlungstheorie»
(S. 550), die durch Kooperation und Integration die unterschiedlichen Interessen für die «Qualifizierung der Raumproduktion» aufnimmt und umzusetzen versucht.

Ausgangspunkt für en Autor ist die «Stadtlandschaft» (S. 17 ff.). Es ist dies ein Begriff, der einerseits über die «Kulturlandschaft» auf menschenproduzierte Räume verweist und andererseits im Sinne einer Antithese zur eigentlich überwunden angenommenen Dichotomie von Land und Stadt zu lesen ist. Stadtlandschaft kann als allgemeiner Begriff für ‹Zwischenstadt› gelesen werden, die mit ihrer aktuellen Diskussion diese Untersuchung offenbar unmittelbar veranlasst. Damit lenkt der Autor auf jenen regionalen urbanen Lebensraum, der mit verschiedenen Termini (auch je nach Disziplin) belegt wird und der Vorstellung von der Stadt als Region entspricht.

Angeregt von der Zwischenstadt und überzeugt von der Notwendigkeit, diese in ihrer Entwicklung bewusster zu gestalten, wird von «der Qualifizierung der Stadtlandschaft» geschrieben. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass das Grundsätzliche dieser Ausführungen freilich für den städtischen Raum insgesamt gilt, auch die Qualifizierung der Kernstädte durch Planung gemeint ist. Und das grundsätzliche Verständnis der städtischen Räume beginnt für den Autor damit, dass diese menschengemacht, oder deutlicher: bürger- und keineswegs allein planergemacht sind. Dieses «menschengemacht » erweist sich in der Arbeit in unterschiedlichen Perspektiven als eine Art Leitbegriff im Umgang mit Stadtlandschaften.

Zur Verdeutlichung mag diese prozessuale Skizze hilfreich sein: Menschen, (Bürger-) Gesellschaften schaffen sich eine Stadt, die in ihren Strukturen und Funktionen eine ihnen entsprechende Ordnung aufweist. Verändern sich diese Gesellschaften in der Zeit, werden sie die überlieferte Ordnung als Unordnung empfinden; entsprechend bemühen sie sich, diesem als unangemessen empfundenen Raum eine ihnen zuträgliche neue Ordnung zu geben.

Hierin wird erkennbar, dass jeweilige städtische Räume (aber nicht nur diese) von Menschen gemacht werden und von ihnen produzierte Strukturen unter bestimmten Bedingungen als Persistenzen in zukünftige Ordnungen hinüberreichen können. Diese prinzipiellen gesellschaftlichen Raumproduktionsprozesse waren in der Vergangenheit zunehmend vom Staat als demjenigen, der verbindliche Entscheidungen für die Gesellschaft initiieren und durchsetzen konnte, überprägt. Diese staatliche Bindung wird aktuell im Binnenverhältnis gegenüber sich ausdifferenzierenden und einflussreichen, aber gut organisierten gesellschaftlichen Teilsystemen aus unterschiedlichen Gründen relativiert. Besonders an der raumplanenden Tätigkeit wird dabei erkennbar, dass «das Vertrauen in das Gott-Vater-Modell der Planung» (S. 10) hinterfragt wird und der zum Beispiel die Stadtplanung diktierende (öffentlich-rechtliche) Experte nicht mehr eo ipso akzeptiert wird. Die Intention des Autors zielt mithin darauf, dass sich räumliche Planung als Teil des gesellschaftlichen Raumproduktionsprozesses zu verstehen und zu integrieren habe. Oder deutlicher: Er fordert ein neues Planungsbewusstsein ein, die Fähigkeit und Bereitschaft einerseits die eigenen Grenzen zu erkennen und andererseits anzuerkennen, dass «man» mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Wechselbeziehungen verwoben ist. Mithin kann der Planer nicht selbstverständlich seine fachlichen Interessen realisieren, sondern er hat sich mit einem Interessengeflecht vielfältiger Gruppierungen auseinanderzusetzen. Die beanspruchte und meist unausgesprochene Rolle von Stadtplanern bei der Produktion von städtischem Raum bzw. Stadtlandschaften reduziert sich an einer gravierenden Stelle. Bildhaft formuliert: Im tradierten Verständnis baute der Planer nicht nur das Theater, sondern beanspruchte auch, die Stücke, die darin aufgeführt werden, zu schreiben. Nun hat er sich auf das Gebäude zu beschränken, muss aber
im Kontext der gesellschaftlichen Raumproduktion herauszufinden suchen, welche Stücke darin aufgeführt werden sollen.

Freilich mag in der gesellschaftlichen Raumproduktion auch ein anderer Gedanke erkannt werden: Sind die menschlichen Lebensräume, die Städte zumal, so komplex, dass sie sich nicht wirklich beplanen lassen? Entzieht die permanente (und immer schnellere sowie intensivere) Veränderung der Städte diese dem Bemühen, sie zu fassen? Kann es ein omnipotentes Subjekt in der Stadtplanung geben?

Zu erahnen ist, dass sich mit der Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte und Interessen kein Rezept für Stadtentwicklung verbindet; wichtig mag sie im aktuellen Kontext für die Transparenz von Planung sein, wiewohl sie diese selbst nicht zu ersetzen vermag. Zutreffend möchte sein, mit der gesellschaftlichen Lokalisierung von Stadtentwicklung weniger dem Allgemeinen oder Typischen, aber mehr dem Individuellen Einfluss zu geben; wobei von guten (oder schlechten) Beispielen anderenorts gelernt werden könnte. Richtig an der Hinwendung zur Stadtlandschaft scheint zu sein, dass Probleme häufig nicht mehr nur auf der lokalen Ebene zu lösen sind. Richtig auch, dass allein gesellschaftliche Stadtproduktionsprozesse kaum erfolgreich sein dürften; zerstrittene Akteure wegen gegensätzlicher Interessen finden vielleicht einen kleinsten gemeinsamen Nenner, aber kein Programm für eine Stadt.

Und jedes Programm wird zudem früher oder später obsolet, weicht anderen Vorstellungen und entzieht sich dem Entwerfen, das nicht technischer Planung entspricht. Und dies mag auch ein – ungewolltes? – Ergebnis dieser Lektüre sein: Es ist zu kurz gesprungen, in Stadtlandschaften aufgrund ihrer Komplexität ein Problem zu erkennen, das mit dem Instrument gesellschaftlicher  Raumproduktionsprozesse gelöst werden mag. Moderation ist nicht mit Entwerfen und Planung zu verwechseln. Hilfreicher mag die Vorstellung sein, dass es «das» Problem Stadtlandschaft oder Stadt womöglich nicht gibt. Im Sinne von H. Ritter und M. Webber könnte nämlich auf «tückische Probleme» («wicked problems») erkannt werden. Tückisch sind diese Probleme, weil bereits die Formulierung eines Problems das Problem ist. Ein Problem zu formulieren und eine Lösung auszuarbeiten ist identisch, denn jede Ansprache des Problems beinhaltet die Lösungsrichtung. Und es gibt keine Problemhierarchie, also auch keine Ausgangsursache. Denn jede Ursache stellt sich zugleich als Wirkung anderer Ursachen heraus. So gesehen sind tückische Probleme Ursachen-Wirkungs-Knäuel und jede Problemlösung ist nur Symptomlösung. Damit scheinen Streitigkeiten um Prioritäten vorprogrammiert. Allerdings – und darauf verweist dieser Text zumindest partiell – sind unterschiedliche Einflussstufen auf Stadtlandschaften und Städte vorstellbar; sie könnten wohl nach lokaler, regionaler und globaler Stufe interpretiert werden.

Dennoch, das Programm für ein urbanes Vorhaben ist notwendig, und es kann nur im ursprünglichen Sinne politisch formuliert werden, in der Debatte. Dies ist durchaus so zu lesen, dass urbane Vorhaben nur dort entstehen können, wo die privaten Zwecke dem öffentlichen Interesse unterstellt werden. Anders formuliert: Das Programm für eine Stadt setzt ein Bewusstsein dafür voraus, dass es ein gemeinsames Anliegen, eine res publica gibt. Diese wird erst durch die Artikulation aller in dem Gemeinwesen lebenden Menschen deutlich, wird das Öffentliche als Öffentliches erkennbar. Demgegenüber entspricht der gesellschaftliche Raumbildungsprozess, so sehr er als Fortschritt anerkannt werden mag, in der Sache eher ein Spiegel dafür sein, dass sich die Gesellschaft qua Individualisierung in unterschiedlichste Gruppierungen mit flüchtigen und rasch ändernden Interessen aufsplittert. Es ist eher fraglich, ob dies mit Öffentlichkeit
gleichzusetzen ist.

Die Arbeit gibt sicherlich Raum für anregende Lektüre aus unterschiedlichen Perspektiven. Anknüpfend an den Umgang mit dem Phänomen Zwischenstadt wird der Leser auch mit einigen Grundüberlegungen zum Selbstverständnis von Raum- und Stadtplanern konfrontiert, die besonders, aber nicht ausschliesslich, die jüngere Generation dieser Professionen zur Kenntnis nehmen mögen. Dem darüber hinaus gehenden und sicherlich mutigen Schritt des Autors, liebgewordene Positionen und Selbstverständlichkeiten der Eigenbewertungen – soweit zu beobachten besonders bei Stadtplanern – zu hinterfragen, ist Respekt zu zollen und lässt zugleich verstehen, dass er seine Position immer wieder mit Zitaten weniger Autoren zum Ausdruck bringt.
Ulrich Ante, Würzburg

Quelle: disP 193, 2/2013, S 126-127

 

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