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Kategorie: Rezensionen

Bernd Wiese: WeltAnsichten. Illustrationen von Forschungsreisen deutscher Geographen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Graphik, Malerei, Photographie. Die Wirklichkeit der Illustration? Köln 2011. 292 S.

Mit diesem Werk stellt der Autor die berühmtesten deutschen Forschungsreisenden im Kontext ihren jeweiligen Epochen ebenso vor, wie die von ihnen außerhalb des europäischen Kontinents in Süd- und Zentralamerika, in Asien und schließlich in Afrika gemachten Entdeckungen. Der Autor liefert einen sorgfältig recherchierten Überblick der jeweiligen historischen Kontexte, in denen die Forschungsreisen erfolgt sind. Dabei wird der Blick sowohl auf die Ebene der Herkunftsländer der Forscher, als auch auf die Ebene der Verhältnisse in den besuchten Regionen gerichtet. An den Anfang des Werkes stellt der Autor die jeweiligen Reisevorbereitungen, d.h. die unterschiedlichen Finanzierungen, die einzelnen Planungsschritte u.a. genauso dar, wie die Feldforschungsmethoden der Malerei und der Zeichnung.

 

In der Einführung skizziert Bernd Wiese die grundlegenden Beziehungen zwischen historischer Geographie und bildhaften Darstellungen. Dabei geht der Autor insbesondere auf die Rolle bildlicher Darstellungen als Quelle von Erkenntnissen der historischen Geographie ein. Desweiteren werden die historischen und vor allem wissenschaftlichen Motivationen herausgestellt, die Forscher wie Alexander von Humboldt, Alphons Stübel und Wilhem Reiss zu ihren Forschungen in Amerika inspiriert haben. Es wird insbesondere auf die Ideologie des Imperialismus eingegangen, die große Unternehmen dazu anspornte, entsprechende Forschungsprojekte zu finanzieren und folglich Forscher in die ganze Welt zu schicken. In diesem Zusammenhang wird auf jene Forschungsmethoden verwiesen, die in erster Linie auf topographische Vermessungen abzielten.

Der historisch versierte Autor hebt die Tatsache hervor, dass entsprechende Forschungsreisen nicht nur auf den Erwerb geographischer Kenntnisse, sondern auch auf die Prüfung bzw. Untersuchung der Handels- und Wirtschaftsmöglichkeiten in den bereisten Regionen abzielte.

Das Werk liefert dem Leser eine detaillierte Beschreibung der von Alexander von Humboldt in Amerika ausgeführten Reise, der von ihm gewählten Wege, seiner Seereise und der im Laufe seiner Reise erstellten Landkarten. Das Werk liefert insbesondere einen detaillierten Kommentar der verschiedenen Landkarten. Die bedeutendsten davon sind die Ansichten der Kordilleren. Die wissenschaftliche Versiertheit von Alexander von Humboldt wird vom Autor glanzvoll dargelegt, wodurch die verschiedenen Darstellungen der beschriebenen Monumente ebenso wie die der besuchten Orte aufgewertet werden. Diese Darstellungen beziehen sich auf die Reisestrecke des Forschungsreisenden. Besonders auffällig ist die Tatsache, dass die Kommentare von Humboldt treffend kommentiert werden. Weiterhin werden die Beziehungen bzw. Verbindungen von Humboldt zu den besuchten Völkern und seiner Forschungsgruppe dargestellt. Diesbezüglich werden insbesondere der Humanismus und die Visionen Humboldts beleuchtet und verdeutlicht.

Die zeitgeschichtlichen Illustrationen bzw. Abbildungen werden aus mehreren Perspektiven und unter Berücksichtigung verschiedener Meisterwerke vorgestellt. Dies ist z.B. der Fall bei der Ansicht des Gipfelbereiches des Cotopaxi, welcher von Humboldt im Jahre 1802 dargestellt wird. Diese Ansicht wurde später von Arnold abermals thematisiert, wobei dieser Künstler sich insbesondere von dem Gemälde von Gmelin aus dem Jahre 1811 inspirieren ließ. Das Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Landschaftselemente erlaubt dem Leser, verschiedene Perspektiven auf denselben Gegenstand einzunehmen und damit die Entwicklung der Visionen der Forscher im Laufe der Zeit nachzuvollziehen. Weiterhin werden die Entwicklung der Bild- bzw. Abbildungstechniken, die Methoden der Gemäldedarstellungen sowie das Streben der Forscher nach einer möglichst realitätsnahen Darstellungsweise betont.

Die Entdeckungen von Alphons Stübel in denselben Regionen Lateinamerikas lassen dieselbe Vision hervortreten und beleuchten gleichzeitig die Schwierigkeiten, die sich aus einer Landschaftsbeschreibung mit Akzenten auf Vulkanologie und Geomorphologie ergeben. Obschon einige beschriebene Orte wie das Cotopaxi unverändert bleiben, scheinen die post-humboldtschen Beschreibungsmethoden detaillierter zu sein. Dies ergibt sich zweifelsohne aus dem Innovationsstreben der Forscher, welches insbesondere den Schwerpunkt auf eine gründliche topographische Studie der darzustellenden Räume legt und zudem die erstellten Karten mit einer umfassenden Beschreibung aufwertet. Dadurch, dass auch die Verschiedenartigkeit in der Malerei zur Geltung gebracht wird, zeigt der Autor dem Leser nicht nur die Entwicklung der Darstellungsmethoden, sondern auch die Wichtigkeit der farbigen Darstellung in der Wahrnehmung einer natürlichen Realität. Die Arbeiten von Reiss und Stübel erlaubten, Fotografien als wichtige Dokumente in historische und geographische Forschungen einzuführen und damit die Debatte über die Zuverlässigkeit von Gemälden und Fotographien anzustoßen.

Die in Asien ausgeführten Arbeiten kennzeichnen die Vorteile einer engagierten und interdisziplinären wissenschaftlichen Zusammenarbeit der verschiedenen Zweige der Geographie. Diese Arbeiten legen die Ergebnisse der von den Brüdern Schlagintweit, Ferdinand von Richthofen und Emil Trinkler auf den Spuren von Humboldt ausgeführten Forschungen dar. Die Ersteren haben sich damit befasst, nicht nur den Weg nach Indien, sondern auch Regionen, Landschaften und Siedlungen in Assam, im Himalaya (insbesondere Ost- und Zentral Himalaya), in Pakistan, in Nepal und West-Tibet durch Aquarelle und Zeichnungen zu beschreiben. Ferdinand von Richthofen hat insofern eine sehr innovative Arbeit durchgeführt, als dass er der allererste Geograph gewesen ist, der im 19. Jahrhundert eine bildhafte Darstellung von Ost- und Südchina vorlegte. Insbesondere seine Beschreibung der geologischen und geomorphologischen Strukturen der untersuchten Gebiete, wie diejenigen der Berge, Gewässer und Höhlen werden eindrücklich dargestellt. Weiterhin wird auf seine Beschreibungen zur Lebensweise der Bewohner sowie der natürlichen Schönheit und der touristischen Sehenswürdigkeiten der Landschaft dargeboten. Emil Trinkler, der von Walter Bosshard, einem professionellen Fotografen, sowie von dem Geographen Terra begleitet wurde, hat eine Forschungsreise in Zentralasien durchgeführt und im Zuge dessen Porträts von Landschaften als auch von Menschen erarbeitet. Diese Porträts beschreiben auf der Basis von Aquarellen und Fotografien die verschiedenen Phasen der Expeditionen in die Regionen von Leh (Kashmir, Ladakh), Karakorum, Kunlun shan und  Takla makan.

Der dritte Teil des Werkes widmet sich den im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Afrika durchgeführten Forschungsreisen von Heinrich Barth, Hans Meyer und dem Ehepaar Thorbecke. Die Arbeiten von Barth werden am Beispiel von Lithographien und ausgeführten Zeichnungen aus den besuchten Regionen Murzuk, Timbuktou und Fumban vorgestellt. Diese thematisieren die einheimische Bevölkerung, Siedlungsstrukturen sowie menschliche Aktivitäten und Landschaften. Der Autor analysiert Abbildungen, die in dem Reisebericht von Barth erscheinen und zeigt damit die enge Verbindung zwischen Barth und Humboldt auf. Barths anthropogeographisch sowie ethnologisch ausgerichteten Forschungsaktivitäten markieren den Einfluss seiner Ausbildung auf die von ihm produzierten Raum- und Menschenbilder. Die von Barth während seiner Reise ausgeführten Zeichnungen und graphischen Darstellungen markieren einen deutlichen Gegenpol zu denjenigen seiner Vorgänger, die in anderen Kontinenten gearbeitet haben. Dieser deutlich wahrnehmbare Unterschied wird aber in den Ausführungen des Autors nur unzureichend thematisiert. Im Gegensatz zu anderen in dem hier besprochenen Werk präsentierten Forschungsreisenden, werden lediglich am Beispiel weniger Illustrationen von Meyer entsprechende deskriptive und graphische Fähigkeiten bewertet. Der Autor präsentiert weiterhin interessante Bilder und Aquarelle, die vom Ehepaar Thorbecke gestaltet wurden.

In diesem Zusammenhang wird eine glanzvolle sozio-ethnologische Analyse des Bamun-Volkes vorgelegt. Diese Analyse wird mit Bildern untermauert, die den narrativen Gesichtspunkt des Autors widerspiegeln und dem Leser die hier beschriebenen Völker näherbringen.

Zum Schluss kann konstatiert werden, dass Wiese mit seinem Versuch der Darstellung von Kontinuitäten und Veränderungen in der Praxis bildhafter Darstellungen sowie der Funktionsanalyse entsprechender Abbildungen in den Werken deutscher Forschungsreisenden eine enzyklopädische Arbeit durchgeführt hat und damit die Beziehungen zwischen Kunst und Natur hervorhebt. Weiterhin werden die sich aus wissenschaftlicher Strenge ergebenden Herausforderungen sowie Aspekte des Strebens nach dem Schönen betont. Dadurch, dass Wiese Forscher mit ähnlichen Schwerpunkten einander gegenüber stellt, unterstreicht der Autor, dass die Poesie, das Ästhetische und die Wissenschaft durchaus miteinander verbunden sind. Die Raumdarstellung bzw. -produktion ist und bleibt eine menschliche Konstruktion, obwohl der entsprechende Konstruktionen produzierende Forscher danach strebt, seinem Publikum die Realität möglichst näher zu bringen. Das Werk ist sowohl inhaltlich als auch formal ansprechend verfasst. Die interdisziplinäre Ausrichtung verweist auf unterschiedliche Kenntnisbereiche, nämlich auf diejenigen der Geschichte, Ethnologie, Geographie, Bilddokumentationswissenschaften.
Désiré Tchigankong Noubissié

Quelle: Erdkunde, 66. Jahrgang, 2012, Heft 4, S. 367-369

 

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