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Kategorie: Rezensionen

Jürgen Haffke,  Klaus-Dieter Kleefeld und Winfried Schenk (Hg.): Historische Geographie. Konzepte und Fragestellungen. Gestern – Heute – Morgen. Festschrift für Klaus Fehn zum 75. Geburtstag. Bergisch Gladbach 2011. Colloquium Geographicum 33. E. Ferger Verlag. 306 S.

Dieser Band ist eine Würdigung für Klaus Fehn zum 75. Geburtstag. Aber darüber hinaus ist er eine Standortbestimmung der Historischen Geographie in Mitteleuropa. Klaus Fehn nimmt eine Sonderstellung unter den deutschen Geographen ein, weil er in Bonn von 1972–2001 der Inhaber des einzigen Lehrstuhls für Historische Geographie in Deutschland war und zugleich Direktor eines selbstständigen Instituts, also unabhängig von einem Geographischen Institut. Wie die klugen Jungfrauen im Evangelium hat er diese Stellung benutzt, um die Historische Geographie in Deutschland zu einem starken Forschungszweig auszubauen. Jeder, der in den Bannkreis seines Bonner Instituts kam, wie die Rezensentin, die dort als Humboldt Stipendiatin von 1978–1980 Gast war, weiß, was alles dazu gehörte: gemeinsam mit seinen Assistenten Busso von der Dollen, Rainer Graafen und Andreas Dix der Aufbau einer Fachbibliothek, die Herausgabe der Zeitschrift ‚Siedlungsforschung‘(seit 1983), Betreuung von Gastdozenten, studentische Ausbildung besonders von Doktoranden, die sich auch politischen Themen widmeten wie z.B. der Veränderung der Kulturlandschaft unter dem nationalsozialistischen Staat oder der Veränderung der Kulturlandschaft im östlichen Deutschland nach dem Fall des Kommunismus. Vor allen Dingen galt Klaus Fehns nicht geringes Organisationstalent dem ‚Arbeitskreis für Genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa‘, der 1974 gegründet wurde und 2005 unter Winfried Schenk zum ‚Arbeitskreis für Historische Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa‘ (ARKUM) umbenannt worden ist.

Lange bevor Polen in die EU eintrat organisierte Klaus Fehn ein Treffen seines Arbeitskreises in Posnan (Posen) wohlwissend von den Schwierigkeiten einer ersten Begegnung zwischen Kollegen dieser beiden Länder. Faszinierend war auch, wie Klaus Fehn die Historische Geographie aus dem ‘Ivory Tower’ herausholte, indem er die angewandte Historische Geographie aktiv unterstützte mit einem eigenen Arbeitskreis und wie er instinktiv begriff, dass die Zukunft der Kulturlandschaftsforschung nur auf interdisziplinärer Zusammenarbeit beruhen kann.

Die Konzeption dieses Bandes verfolgt das Ziel, Entwicklungen und vor allem auch aktuelle Forschungsfelder zusammenfassend vorzustellen (Standortbestimmung), die an einigen deutschen Universitäten und in einigen Nachbarländern mit historisch-geographischen Forschungen vertreten sind. Diese Institute, deren Struktur und historisch-geographische Arbeitsmöglichkeiten von Klaus Fehn in einem Beitrag kurz umrissen werden, standen über Jahrzehnte in enger Verbindung zum Historisch-Geographischen Seminar in Bonn und repräsentieren mit ihren namhaften Vertretern einen wesentlichen Teil historisch-geographischer Forschung in Mitteleuropa. Zu diesen gehören Winfried Schenk (Fehns Nachfolger in Bonn), Andreas Dix (Bamberg) und Rainer Graafen (Koblenz), die beide bei Klaus Fehn Assistenten waren und sich unter seiner Betreuung habilitierten und Jürgen Haffke und Klaus-Dieter Kleefeld, die beide bei Klaus Fehn promovierten. Peter Burggraaff hat viele Jahre in von Fehn geleiteten Projekten mitgearbeitet. Mit den beiden Kollegen Hans Renes (Holland) und Rudolf Egli (Schweiz) hat Klaus Fehn über vierzig Jahre vor allem im Rahmen des ‚Arbeitskreises für genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa‘ engsten Kontakt.

Einleitend steht ein grundlegender Überblick und Rückblick von Dietrich Denecke über ‚Historisch-genetische Siedlungsforschungen im Rahmen einer Historischen Geographie der Kulturlandschaft. Die vielseitige Epoche von 1960–2000.’ Dieser Aufsatz, der sich auf ein 18 Seiten langes Literaturverzeichnis bezieht, bestätigt, dass in Deutschland in der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung die Siedlungsforschung im Mittelpunkt stand. Methodisch umfasst diese Forschung wesentlich drei Betrachtungsansätze: 1. die genetische (retrospektive) Analyse des Bestandes der Siedlungslandschaft; 2. die Rekonstruktion von Altlandschaften (Querschnitte) und 3. Die Entwicklung der Kulturlandschaft (Längsschnitt). Die bei Schlüter implizierte Idee, dass sich die Kulturlandschaft von einer Urlandschaft geradlinig bis heute weiterentwickelt habe, wurde besonders durch die Ergebnisse der Wüstungsforschung widerlegt, denn es gab im Spätmittelalter weiträumige Regressionen des Siedlungsbestandes. Denecke weist darauf hin, dass die typologische Zuordnung von Ortsformen und die Interpretation von Stadtgrundrissen von Rückschreibungen ausgingen und weitestgehend eine Formenkonstanz annahmen, die durch archäologische Befunde nicht immer bestätigt wurden. Ein heutiger Stadtplan kann Primärformen beinhalten, aber es können auch bedeutende Umänderungen im Straßennetz eingetreten sein.

Nach Denecke war es besonders die Methode der Geländeforschung, die die Historische Geographie zu einem Teilbereich innerhalb der geographischen Kulturlandschaftsforschung machte. Die physiognomisch ausgerichtete Kulturlandschaftsforschung, wie sie Otto Schlüter betrieb, ist seit den 1960er Jahren durch eine Prozessforschung abgelöst worden, in der es um die Auswirkung und die Erklärung von raumwirksamen Kräften geht und damit auch um die Hinwendung zu Gegenwartsproblemen mit planungsorientierten Projekten einer Erhaltung. Diese neuesten Ansätze können Verluste bringen durch eine Verminderung der empirisch-analytischen Forschungsansätze (Grundlagenforschung). Noch zeigen die nunmehr 28 Bände der ‚Siedlungsforschung‘ den reichen Ertrag zur interdisziplinären vielseitigen allgemeinen wie auch regionalen Forschung zu Themen aus der historischen Kulturlandschaft.

Richtungsweisend ist ein angewandt-methodischer Beitrag von Peter Burggraaff und Klaus-Dieter Kleefeld, der den Ansatz des digitalen kulturlandschaftlichen Informationssytems im Rahmen historisch-geographischer Inventarisierungen darstellt.

Von zukunftsweisendem Interesse ist der Beitrag von Klaus Fehn selbst, in dem er darlegt, wie er sich den weiteren Werdegang der Historischen Geographie in Bonn wünschen würde. Der Aufsatz ist sozusagen sein Testament, in dem er weiterführende Aufgaben der Historischen Geographie umschreibt: 1. Verbindungsfach zwischen zahlreichen benachbarten Fächern. 2. Historisch-geographische integrierende Kulturlandschaftspflege. 3. Interdisziplinäre genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa. 4. Koordinationsstelle für eine internationale Historische Geographie in Mitteleuropa. In seinem Beitrag setzt Klaus Fehn sich auch mit Arbeiten von Kollegen auseinander, die sich allgemein auf die Stellung der Historischen Geographie beziehen, insbesondere von Carl Troll, Staffan Helmfrid, Hans H. Blotevogel und Dietrich Denecke. Er beschreibt in spannendem Detail die Integration der Historischen Geographie in das Hauptfach Geographie an der Universität in Bonn.

Der abschließende Beitrag des Buches ist eine Würdigung von Klaus Fehns Leben und Werk durch Jürgen Haffke, der betont, dass Klaus Fehn sich für sein Fach immer persönlich verantwortlich fühlte und noch fühlt, weit über seine Emeritierung (2001) hinaus. Er hat das große Glück, dass Winfried Schenk, ‘senior editor’ dieses Bandes, die Geschicke der Historischen Geographie in Bonn im Rahmen des Möglichen erfolgreich weiterführt. Neben der biographischen Würdigung liefert Jürgen Haffke auch eine umfassende Dokumentation zu Klaus Fehns Tätigkeit als Forscher und akademischer Lehrer mit einer Veröffentlichungsliste mit 338 Einträgen bis zu einer Liste von ausgewählten Buchbesprechungen, von Lehrveranstaltungen, Examensarbeiten und Kolloquiumsthemen. Diese Dokumentation bietet über die Person hinaus einen Einblick in die Themen, die die Historische Geographie in Deutschland in dem angegebenen Zeitraum beschäftigten. Die Position von Klaus Fehn bezieht sich dabei eindeutig auf sein Bekenntnis zum interdisziplinären Ansatz, seine Orientierung auf eine vergleichende Historische Geographie innerhalb von Mitteleuropa, sein Engagement in der Wissenschaftsorganisation und auf den Umgang mit der angewandten Historischen Geographie.

Aus der Lektüre dieses Bandes erfährt der Außenstehende, dass das führende Paradigma in der heutigen deutschen Historischen Geographie die Angewandte Historische Geographie geworden ist. Gibt es eine Antwort auf die Frage, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist? Eine zweite Frage ist, warum die deutsche Historische Geographie die Themenbereiche der ‘New Cultural Geography’, die sich im Bereich zwischen Kultur und Bewusstsein bewegen, erst zögernd aufgegriffen hat? Steht man in Deutschland dem Konzept von Landschaft als Erfahrungsinhalt eher skeptisch gegenüber? Der von der Materialität ausgehende Zugang zur Kulturlandschaft, wie Winfrid Schenk es nennt, hat zweifelsohne großen Forschungswert. Aber vielleicht wäre es gut für die Stellung der Historischen Geographie innerhalb der Geisteswissenschaften, wenn das Spannungsfeld Grundlagenforschung und Angewandte Historische Geographie deutlicher erweitert würde um den Themenkreis der gesellschaftskritischen ‘New Cultural Geography’. Zweifelsohne wäre es für Kollegen aus dem angelsächsischen Raum von Interesse auf der Basis dieses Bandes einen Eindruck zu gewinnen, wie an deutschen Universitäten, in den Niederlanden und in der Schweiz Historische Geographie betrieben wird. Leider gibt es hier das Sprachproblem.

Wir schulden den Herausgebern und Autoren Dank, dass sie mit diesem Band den ‚Altvater‘ der deutschen Historischen Geographie im Rahmen seines vollen Wirkungsfeldes geehrt haben. Der von ihm lebenslang geförderten Disziplin der Historischen Geographie ist damit ein weiterer Meilenstein gesetzt, der zukunftsweisend ist. Der Band trägt dazu bei, die Identität der Historischen Geographie in Deutschland zu bestimmen.

Anngret Simms

Quelle: Erdkunde, 67. Jahrgang, 2013, Heft 1, S. 98-100

 

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