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Kategorie: Rezensionen

Gülay Çaglar, Maria do Mar Castro Varela & Helen Schwenken (Hg.): Klima – Macht – Geschlecht. Feministische Perspektiven auf Klima, gesellschaftliche Naturverhältnisse und Gerechtigkeit Leverkusen-Opladen u.a.: Barbara Budrich 2012. 218 S.

Die Debatte um den anthropogenen Klimawandel und dessen politische Bearbeitung scheint nach wie vor stark geprägt durch eine „Technikgläubigkeit“ (7), die seine sozialen Dimensionen aus dem Blick geraten lässt. Daher ist es das Anliegen der Herausgeberinnen, aktuelle internationale feministische Debatten um Klimawandel zu beleuchten und der Frage nachzugehen, „wie der politische Umgang mit dem Klimawandel zur Reproduktion von sozialer und politischer Ungerechtigkeit in den Geschlechterverhältnissen beiträgt“ (8). Mit einem Fokus auf Macht- und Herrschaftsdimensionen als zentrale Konstitutionsfaktoren von Geschlechter- und Naturverhältnissen, greifen sie eine Kernidee der Feministischen Politischen Ökologie wieder auf und weisen damit auch auf eine zentrale Verkürzung in der Debatte hin: den Vulnerabilitäts- und Viktimisierungsdiskurs, der an essentialistische Argumente anknüpft und strukturelle geschlechtsspezifische Ungleichheitsverhältnisse ignoriert.

Der Band versammelt in drei Themenabschnitten neben der Einleitung der Herausgeberinnen insgesamt 11 Beiträge von Autorinnen, die sich in ihrer Arbeit intensiv mit den Wechselwirkungen von Geschlechter- und Naturverhältnissen in Industrieländern oder aus einer Süd-Nord-Perspektive auseinandersetzen.

Im ersten Abschnitt zu Fragen der (Geschlechter-)Gerechtigkeit beschäftigen sich sowohl Claudia von Braunmühl als auch Dagmar Vinz aus governance- und demokratietheoretischen Perspektiven mit der Klimapolitik. Vinz stellt hierbei verschiedene Szenarien von Nachhaltigkeitspolitik gegenüber, die sie unter Bezugnahme auf gerechtigkeitstheoretische Ansätze von Nancy Fraser auf Bedingungen und Implikationen für Geschlechtergerechtigkeit prüft. Einen stärker systematisierenden Überblick über verschiedene Stränge der geschlechtersensiblen Klimaforschung bietet Sybille Bauriedl. Dabei identifiziert sie die Anknüpfungspunkte an die Geschlechterforschung. Indem sie die in der Klimadebatte existierenden impliziten essentialistischen, gleichheits- oder differenzorientierten Geschlechterbegriffe herausarbeitet, zeigt sie einige zu bewältigende Herausforderungen auf: So bedürfe es der Öffnung gegenüber weiteren intersektionalen Strukturkategorien sozialer Ungleichheit, um zu einem differenzierteren Bild über mögliche Handlungsoptionen im Umgang mit dem Klimawandel zu gelangen.

Der zweite Abschnitt widmet sich internationalen klimapolitischen Instrumenten und Strategien. Jyoti Parikh identifiziert in ihrem politisch argumentierenden Beitrag geschlechtsbezogene Dimensionen von Verwundbarkeit und Anpassung, indem sie verschiedene empirische Dimensionen von Geschlechterungleichheiten aufzeigt. Zudem betont sie die bedeutsame Rolle, die Klimaschutzprojekte und der damit verbundene Wissenstransfer für das Empowerment von Frauen im Umgang mit dem Klimawandel spielen können. Sie plädiert für eine umfassende Ausweitung von Gender-Mainstreaming-Instrumenten in klimapolitischen Strategien. Anhand der Infrastrukturpolitik in den Feldern Wasser und Verkehr kritisiert Christine Bauhardt das globale, naturwissenschaftliche und technische Framing von Umwelt- und Klimawandel. Darin werde der Zusammenhang von globalen politischen Problemlösungen mit lokalen Lebens- und Machtverhältnissen zu wenig berücksichtigt. Bauhardts Konzept des Zugangs und der Nutzung sowie der politischen Gestaltung des Umgangs mit Ressourcen ist „radikal lokal“ (111) und fordert den Anschluss von Politiken an die unmittelbaren, konkreten und spezifischen Lebenskontexte der Bevölkerung. Birte Rhodenberg und Liane Schalatek unterziehen die zentralen Instrumente der Klimaschutz- und Anpassungspolitik einer kritischen Überprüfung in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit. Sie fordern ein „doppeltes Mainstreaming“ (117): einerseits ein Mainstreaming der Anpassungpolitik, andererseits ein Gender-Mainstreaming in die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Rhodenberg zeigt die engen Verknüpfungen von entwicklungs- und anpassungspolitischen Herausforderungen auf, wenn sie betont, eine wesentliche Ursache geschlechtsbezogener Verwundbarkeit liege in der geschlechtlichen Arbeitsteilung und den daraus resultierenden eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten von Frauen. Sie weist dabei auf konkrete Möglichkeiten der Erweiterung geschlechtsbezogener Handlungsspielräume hin.

Im dritten Abschnitt zu feministischen Diskursen im Klimawandel sieht Susanne Lettow die Notwendigkeit einer „Rekonzeptualisierung des Verhältnisses von Natur und menschlichen Körpern“ (168). Sie geht der Frage nach, wie aufnahmefähig die Ansätze Bruno Latours und der Frankfurter Sozialen Ökologie für eine Perspektive auf Geschlechterverhältnisse sind. Obwohl beide Ansätze den Anspruch erheben, den Dualismus von Natur und Mensch aufzulösen, kommt Lettow zu dem Schluss, dass es ihnen nicht gelingt, gesellschaftliche Naturverhältnisse konsequent auch als vergeschlechtlichte Auseinandersetzungen und Aushandlungsprozesse zu betrachten. Ines Weller verdeutlicht anhand empirischer Befunde zu den Klimaeffekten des Konsumverhaltens, dass Produktions- und Konsummuster eindeutige Geschlechterdimensionen aufweisen, die jedoch differenziert zu betrachten sind. Ewa Charkiewicz kritisiert die herrschende technologische und marktliberale Problembearbeitung des Klimawandels. Innerhalb dieser „Biopolitik“ (191) würden Diskussionen über Armut und Verteilung oder Produktion und Konsum überflüssig. Aufgrund der „geschlechtlichen Arbeits- und Verantwortungsteilung“ trügen Frauen die Hauptlast der ökologischen und sozialen Kosten. Sie konstatiert, in der geschlechtsbezogenen Umweltforschung habe sich zudem ein „feministischer Managerialismus“ durchgesetzt, der nicht mehr in der Lage sei, die „Einfriedung des feministischen und ökologischen Diskurses in der Marktrationalität herauszufordern“ (196). Mit dem Gender-Mainstreaming in den internationalen Klimaverhandlungen befasst sich Sonalini Kaur Sapra. Sie zeigt, dass sich nicht nur aufgrund undemokratischer Verfahrensregeln oder Ausschließungsmechanismen, sondern auch wegen unterschiedlicher Ansprüche und Strategien der feministischen AkteurInnen selbst lediglich eine schwache Variante des Gender-Mainstreaming habe durchsetzen können.

Insgesamt bietet der Band einen sehr guten Überblick über die heterogenen Debatten zum Thema in Nord und Süd. Trotz der Vielfalt der Perspektiven findet sich in nahezu allen Beiträgen die Kritik an dem technokratischen, ökonomistischen und naturalisierenden Diskurs um Klimawandel wieder, in dem soziale, politische und damit auch vergeschlechtliche Machtverhältnisse nur unzureichend erfasst werden und sich androzentrische Problemlösungsansätze durchsetzen. Übereinstimmung herrscht auch in der Infragestellung kollektiver Kategoriebildungen, die immer wieder zu essentialistischen Geschlechterzuschreibungen führen. Vor allem mit Analysen, die die polit-ökonomischen Verhältnisse in das Zentrum der Betrachtung rücken, wie z.B. der Beitrag von Charkiewicz, oder Ansatzpunkte für die Ausweitung von geschlechtsbezogenen Anpassungskapazitäten und damit Möglichkeiten für die Veränderung von Geschlechterverhältnissen aufzeigen, wie Rhodenbergs Beitrag, setzt der Band diesen Narrativen überzeugende Alternativen entgegen.

Sarah Hackfort

PERIPHERIE Nr. 128, 32. Jg. 2012, S. 526-527

 

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