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Kategorie: Rezensionen

Martin Wentz (Hg.): Die kompakte Stadt. Frankfurt/Main, New York 2000 (Die Zukunft des Städtischen, Band 11). 272 S.

Unter dem programmatisch wegweisenden Begriff der "kompakten Stadt" liegt nun der elfte Band der Reihe "Die Zukunft des Städtischen" vor, die vom damaligen Frankfurter Planungsdezernenten Martin Wentz initiiert worden war. Mit der Dokumentation von Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen sowie der Vorlage einer Vielzahl relevanter Textbeiträge aus dem In- und Ausland hat diese Reihe wichtige Impulse für den urbanistischen Diskurs in Deutschland gegeben. Auch dieser vorläufig letzte Band der Reihe präsentiert eine außergewöhnlich anregende Sammlung von Texten, er ist vorzüglich ediert und kombiniert in bewährter Form allgemeine Sichtweisen zum Thema Stadtentwicklung mit Beispielen aus der Frankfurter Planungspraxis.
Mit dem anspruchsvollen, aber auch oft mißverstandenen Begriff der "kompakten Stadt" verbindet sich im herrschenden, überwiegend planerisch orientierten Diskurs ein Leitbildbündel, das gemeinhin den spätmodernen Entwürfen vom Typus der "Zwischenstadt" oder "Netzstadt" gegenüber gestellt wird. Es subsumiert solche Auffassungen von Städtebau, die vor dem Hintergrund der europäischen Stadtbaugeschichte heute auch als nachhaltig gelten sollen: kurze Wege, soziale Integration, ökologische Verträglichkeit. Aufgrund scheinbar widersprüchlicher empirischer Befunde zur gegenwärtigen Stadtentwicklung - Investition und Aufwertung in Innenstädten einerseits, Fortgang der Wohn- und Gewerbesuburbanisierung andererseits - und angesichts offenkundiger Grenzen traditionellen Planens hat dieser Begriff zurecht eine strittige Rezeption erfahren. Welche Region ist für diesen Diskurs besser geeignet als Rhein-Main, mit ihrer Parallelität von massiger Konzentration hochwertiger Nutzungen und zugleich immer weiter ausufernden Aktionsradien?
Das Buch macht glücklicherweise erst gar nicht den Versuch, eine ökologischtechnische Politik des Stadtumbaus mit Werkzeugen wie Dichte, Mischung und Polyzentralität zu begründen, wie dies hierzulande im Kontext der traditionellen europäischen Stadtidee oft geschieht. Denn dieser Vorgehensweise sind enge Grenzen gesetzt. So werden die einer solchen Sichtweise zugrunde liegenden Thesen durch empirische Befunde nicht oder nur sehr partiell gestützt, schon was die Beschreibung der städtischen Realitäten angeht. Programmatisch weisen sie in mindestens zwei verschiedene, durchaus entgegengesetzte Richtungen - je nachdem, wie stark man den Zusammenhang zwischen der Nutzung des Stadtraums und den baulichräumlichen Strukturen sehen will. Und dieser Kontext hat sich unter den Bedingungen von Informationstechnik, neuen Raumlogiken und Interdependenzen globaler und lokaler Dynamiken fortlaufend verändert, was nicht ohne Auswirkungen auf diese Debatte bleiben kann.
Der einleitende Beitrag des Herausgebers verdeutlicht die Absicht, Kompaktheit als Strukturlogik einer nachhaltigen Stadtentwicklung neu zu definieren, ohne diesen Terminus gleichzeitig als inhaltsleeres Schlagwort, als Kampfbegriff gegen Flächenwachstum und moderne Raumdynamiken per se einzusetzen. Um der Mehrdimensionalität des Städtischen gerecht zu werden, reicht ein vorrangig städtebaulicher Zugang zu diesem Gegenstand, wie Wentz konzediert, allein nicht aus. In der Konkretisierung dieses Gedankens bleibt der Autor aber unentschlossen und vage. Und die Rolle der Stadtplanung darin zu sehen, einen "Rahmen" für die "Entfaltung der Stadt" zu setzen, ist noch nicht sonderlich innovativ. Diese Unentschlossenheit in der Bewertung des Bestehenden entspricht jedoch ohne Zweifel der Unübersichtlichkeit der gegenwärtigen Entwicklung, erst recht mit Blick auf die Prognose dessen, was in den kommenden 15 Jahren trendbestimmend sein könnte.
Suchbewegungen dominieren daher das Terrain, und hier sind Gestaltungsfragen sicher leichter zu beherrschen als treffsichere Analysen und Bewertungen der aktuellen Raumnutzungen. Zu beidem liefert der Band eine reichhaltige Palette von Positionen und Interpretationen. Die einzelnen Beiträge kommen aus sehr unterschiedlichen Disziplinen, was zweifellos zu den Stärken des Buchs beiträgt; u. a. seien genannt Städtebau (Albers), Architektur (Sieverts, Christianse), Soziologie (Schmals), Geographie (Bördlein/Tharun), Umwelt (Petersen), Stadtplanung (Krau, Schneider). Der Mehrwert dieser Zusammenstellung offenbart sich vor allem dort, wo - aus dem Gehäuse der Leitbildkonstruktionen ausbrechend - nach neuen Interpretationsfiguren gesucht wird: etwa bei Gerd de Bruyns Rede von den "Perforationen des Urbanen", womit der Durchlässigkeit, der Porösität des Raumes phänomenologisch auf den Grund gegangen wird; oder bei Kees Christianse, der die Suche nach der verloren gegangenen Urbanität über die kompakte Stadt für sinnlos hält, weil sich die Stadt entwickeln würde, wohin sie will. Er plädiert für mehr Aufmerksamkeit gegenüber den "Korridorgebieten" der städtischen "Kulturlandschaften" - also einem System von Punkten und Linien, in denen sich bisher kaum vereinbare Stadtkomponenten (insbes. die "sperrigen" Nutzungen und Infrastrukturen) in Verbindung bringen lassen und somit eine "mehrfache Urbanität" erzeugen.
Die eher theoretisch reflektierenden Aufsätze des Buches werden ergänzt durch Planungsbeispiele aus der Region Rhein-Main, die auf verschiedene Teilräume gerichtet sind: Innenstadt, Mainuferräume, Planungen in der Peripherie, der Flughafen als Teil einer neuen "Dienstleistungsstadt". Wenn es ein gemeinsames Credo der in diesem Band versammelten, überaus lesenswerten Beiträge gibt, dann ist es vielleicht die Einsicht in die Notwendigkeit, den Diskurs über die urbane Form mit einer Vorstellung von (stadt-)gesellschaftlicher Entwicklung zu verknüpfen. Die Frage, inwieweit sich diese Stadtgesellschaft wiederum räumlich äußert, gehört zweifellos zu den bleibenden Herausforderungen an die Stadtforschung.
"Die kompakte Stadt" lenkt den Blick auf zwei weitere Publikationen, die mit dem gleichen Begriff arbeiten. Zum einen ist dies das 1996 erschienene Standardwerk zu dieser Diskussion aus Großbritannien, das überwiegend städtebaulich und stadtplanerisch orientiert ist und eine Reihe sorgfältig untermauerter Thesen zu diesem Thema zusammenstellt (Jenks/Burton/ Williams 1996). Insbesondere die Gegenüberstellung der Argumente von "Zentristen" und "Dezentristen" (M. Breheney) bietet der deutschen Diskussion um die urbane Form einen besonderen Anschauungswert. Zum zweiten ist dies die Dortmunder Dissertation von Gerd Held, die den Begriff der kompakten Stadt auf eine erfrischend unkonventionelle, intellektuell anregende Weise behandelt (Held, 1998). Ausgehend von der Frage, welche Bindekräfte die "moderne" europäische Stadt heute zusammenhalten, ist Held in der postfordistisch segmentierten, differenzierten Ökonomie der spanischen Stadt Elche fündig geworden. Mit einem theoretischen Ansatz, der angelehnt ist an die Institutionenökonomie, wird der Strukturwandel einer Low-Tech-Branche (Schuhfertigung) analysiert. Der zentrale Befund: Aus der spezifischen, sozial-räumlich fragmentierten Organisation von Produktion und Arbeit, die dort vorgefunden wird, resultiert ein neues Vermögen der Stadt zur räumlichen Konzentration. Denn dieses "Produktionsmodell" ist auf räumliche Nähe geradezu angewiesen: Nur so können die Akteure zu möglichst geringen Transaktionskosten produzieren. An diesem Punkt scheinen wirtschaftliche Sachzwänge und die Rekonstruktion des Städtischen in der Stadt - anders als im klassischen Auflösungsdiskurs - eine positive Verbindung einzugehen. Damit wird eine Sicht auf grundlegende Eigenschaften des Städtischen möglich, die sich der Kompaktheit als ökonomischer Strukturlogik bedient, ohne sie als rein gestalterische, mitunter auch ideologisch gewendete Hülle vor die Stadt zu hängen.
Literatur
Jenks, M., E. Burton, K. Williams (eds.) 1996: The Compact City: A Sustainable Urban Form? London (UK).
Held, G. 1998: Potentiale der kompakten Stadt. Eine institutionenökonomische Studie über die spanische Schuhstadt Elche. Dortmund (Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, Band 87 [Blaue Reihe]).
Autor: Markus Hesse

Quelle: geographische revue, 3. Jahrgang, 2001, Heft 1, S. 85-88