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Kategorie: Rezensionen

Jan Germen Janmaat: Nation-building in post-Soviet Ukraine; educational policy and the response of the Russian-speaking population. Utrecht/Amsterdam 2000 (Nederlandse Geografische Studies 268). 233 S.

Die auf eine Amsterdamer Dissertation zurückgehende Publikation analysiert den Beitrag, den die Bildungspolitik der Ukraine für die Entwicklung eines neuen Nationalbewusstseins leisten kann und bisher geleistet hat, indem in der Schule "nationale" Inhalte im Sprach-, Geschichts- und Geographieuntericht vermittelt werden und indem insbesondere außerhalb der von russischer Bevölkerung dominierten Landesteile in ukrainischer Sprache unterrichtet wird.

Die Untersuchung holt weit aus und stellt zunächst die ethnisch-sprachliche Situation, die Entwicklung des Lehrplans, die "nationalen" Inhalte und die Umsetzung der nationalen Politik in den vier Städten Lviv, Kiev, Donezk und Odessa dar. Den empirischen Hauptteil bildet die Präsentation der Ergebnisse einer Umfrage, die das Verhalten der Ukrainer, der Russen und der Russisch sprechenden Ukrainer in einer durch die jeweils dominierende Sprache geprägten Umwelt analysiert. Die Untersuchung ist materialreich, beruht auf gründlicher Literaturdurchsicht und theoriegeleiteter Interpretation, ohne in irgendeinem Teil langatmig zu werden. Bisweilen wird sogar relativ knapp ohne ausführliche Erörterungen der aktuelle Wissensstand referiert. Andererseits führt die gründliche Analyse der Befragungsergebnisse zu relativ klaren Aussagen über sprachliche Bindungen. Die künftige Sprachentwicklung bei den Ukrainisch sprechenden Russen wird als entscheidend für den Fortgang des nation-building nachgewiesen. Die Arbeit ist gleichermaßen ein Beitrag zur Geographie der Minderheiten, zur Transformationsforschung sowie zur Politischen Geographie und sollte mit ihrem räumlich differenzierenden Ansatz (auch wenn dieser relativ grob bleibt) auch außerhalb der Geographie Beachtung finden. Das zunehmende Gewicht zentralistischer Strömungen, die Bedeutung der gesamtstaatlichen und regionalen Behörden, aber auch das Beharrungsvermögen des russischen Sprachelements im Osten und Süden der Ukraine werden klar herausgearbeitet. Allerdings erscheint das abschließende Zukunftsszenario, diese Landesteile könnten eine Katalanien vergleichbare Entwicklung nehmen, aus heutiger Sicht zu optimistisch und deutlich verfrüht.    
Autor: Jörg Stadelbauer

Quelle: Erdkunde, 56. Jahrgang, 2002, Heft 3, S. 329