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Kategorie: Rezensionen

Eckard Störmer: Ökologieorientierte Unternehmensnetzwerke. Regionale umweltinformationsorientierte Unternehmensnetzwerke als Ansatz für eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. München 2001. 375 S.

Bei der Dissertation von Eckhard Störmer handelt es sich um eine der wenigen Arbeiten (nicht nur im deutschsprachigen Raum), die sich aus explizit wirtschaftsgeographischer Perspektive mit Fragen des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung befassen.

Im Mittelpunkt stehen sogenannte "regionale umweltinformationsorientierte Unternehmensnetzwerke", die in Anlehnung an das Konzept der "regionalen Akteursnetze (RAN)" nach Geelhaar/ Ramseier/Muntwyler (1996) von Störmer auch als "RUN" bezeichnet werden (vgl. auch Geelhaar/ Muntwyler 1998). Ihnen kommt - so das zentrale Postulat der Arbeit - im Zuge unternehmerischer Anpassungsprozesse zur Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes eine zentrale Bedeutung zu. Eine Orientierung am Leitbild der nachhaltigen (oder besser: dauerhaft umweltgerechten) Entwicklung stellt für Unternehmen einen Innovationsprozeß dar. Die Operationalisierung des Leitbildes bedarf dabei zunächst der Informationsgewinnung und hierbei der Kooperation mit Partnern, wie sie innerhalb der RUN zu finden sind. An die Frage nach dem möglichen Beitrag der "Vernetzung von Unternehmen in RUN zu einer nachhaltigkeitsorientierten Unternehmensentwicklung" (S. 5) schließt sich darüber hinaus die anwendungsorientierte Frage an, ob und wie erfolgreiche RUN durch regionalpolitische Maßnahmen in ihrer Entwicklung gefördert werden können bzw. wie ihre Entstehung initiiert werden kann.
 Am Anfang des konzeptionellen Teils der Arbeit (Kap. 2-5) steht eine kritische Diskussion des Begriffs der "Nachhaltigkeit", die in eine tragfähige Definition mündet, welche "Nachhaltiges Wirtschaften" als "prozessuales Konzept" des Suchens, Lernens und Gestaltens im Hinblick auf eine dauerhaft umweltgerechte Wirtschaftsweise versteht. Dabei werden gleichermaßen ökonomische, soziale und ökologische Aspekte aufgegriffen. Es folgen die beiden wesentlichen konzeptionellen Blöcke, in denen einmal die ökologische "Umorientierung von Unternehmen" aus innovationstheoretischer Sicht erörtet wird (Kap. 3 - Mikroebene), und zum anderen die Funktionsweise von RUN anhand organisations- und netzwerktheoretischer Modelle erklärt wird (Kap. 5 - Mesoebene). Dazwischen erläutert Kap. 4 die "Rahmenbedingungen langfristiger Entwicklung" (Makro- und Metaebene), basierend auf regulationstheoretischen Überlegungen. Vor dem Hintergrund, daß es sich bei den genannten theoretischen Konzepten um Ansätze handelt, die in der Wirtschaftsgeographie und benachbarten Disziplinen sehr breit diskutiert werden, und hier zudem ihre Tragfähigkeit für die umweltbezogene Fragestellung geprüft werden soll, verwundert es nicht, daß der konzeptionelle Teil deutlich mehr als die Hälfte der Arbeit ausmacht. Dementsprechend ausführlich erläutert Kap. 3 zunächst ein nach außen gerichtetes Unternehmensverständnis (Unternehmen als "strukturpolitischer Akteur" in den Arenen "Markt", "Politikfindung", "Gesetzesvollzug", "Öffentlichkeit" und der Metaarena "natürliche Umwelt"), sodann ein nach innen gerichtetes Unternehmensverständnis (Konzept des integrierten Umweltmanagements), bevor eine Annäherung an das "nachhaltige Unternehmen" versucht wird. Letztere stellt eine Auswahl unterschiedlicher, aufeinander aufbauender Konzepte zur Aufnahme nachhaltigkeitsorientierter Leitbilder in unternehmerische Strategien vor, bevor die Wettbewerbsfähigkeit ökologischen Wirtschaftens diskutiert wird. Wie bereits angedeutet, wird umweltorientiertes Wirtschaften als Innovation verstanden, der Weg zum "nachhaltigen" Unternehmen als evolutionärer Prozeß, der keinem bestimmten Entwicklungsmodell folgt, sondern auf erfolgsunsicherem Suchen und Experimentieren begründet ist. Kap. 5 diskutiert Funktions- und Wirkungsweisen unterschiedlicher Ansätze wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Netzwerkforschung. Dies geschieht zum Teil nur schlaglichtartig und unter nicht immer klar nachvollziehbaren Gruppierungen bzw. Sammelbezeichnungen. Es wird unterschieden zwischen ökonomischen Standardansätzen (etwa Williamsons Transaktionskostenansatz), Interorganisationstheorien (etwa Organisationssoziologischer Institutionalismus), strategieorientierten industrieökonomischen Ansätzen (z.B. Porters Diamantkonzept), wettbewerbsbezogenen Metatheorien (z.B. Theorie der Flexiblen Spezialisierung), akteursorientierten Ansätzen (z.B. Eliten-Netzwerke) und schließlich regionalorientierten Ansätzen (z.B. Kreative Milieus). Dieser "aufgespannte Fächer von 15 Ansätzen" wird in der anschließenden Zusammenfassung bewußt nicht zu einem "Modellnetzwerk" zusammengeführt, sondern soll einen handlungsbezogenen Erklärungsansatz liefern, der "die Vielfalt der existierenden Ausprägungen berücksichtigt" (S. 189). Letztere kommt in Störmers "Zielwürfel der Netzwerkhandlungen" (S. 184) zum Ausdruck, der als wichtiger Baustein in das folgende Analyseschema eingeht.
 Das Analyseschema (Kap. 6) der Fallstudie über RUN im Großraum München ist in drei Schritte gegliedert. Zunächst liefert eine prozessuale Kontextanalyse Einblicke in den jeweiligen Entstehungszusammenhang der umweltorientierten Unternehmensnetzwerke (s. Kap. 3) sowie in die Handlungsmotivationen ihrer Schlüsselakteure. Die anschließende Netzwerkanalyse untersucht die Organisations- und Funktionsweise der einzelnen Netzwerke (Strukturanalyse) sowie die Rolle der beteiligten Personen und Organisationen (Akteursanalyse). Den Abschluß bildet eine Wirkungsanalyse, die sowohl die unternehmensbezogenen Wirkungen der Netzwerksteilnahme thematisiert, als auch die Wirkungen innerhalb und außerhalb des Netzwerks. Die empirischen Befunde basieren im wesentlichen auf qualitativen Interviews mit mehr als 60 Akteuren aus den zwölf untersuchten RUN. Letztere gliedern sich in sog. "Erfagruppen" (Erfahrungsaustausch), Unternehmer- und Berufsverbände sowie Projektnetzwerke (S. 203). Steckbriefartig trägt Kapitel 7 sowohl die Grundmerkmale jedes dieser RUN als auch die jeweiligen Ergebnisse der drei Analyseschritte zusammen. Auf dieser Grundlage werden die Funktions- und Arbeitsweisen sowie die Wirkungen der RUN ausführlich diskutiert. Identifiziert werden dabei die unverzichtbaren Elemente, die ein erfolgreiches Funktionieren der RUN gewährleisten (z.B. effiziente Koordination/Moderation, soziale Nähe der Akteure). Diese werden später im Rahmen der Konzeption eines Managementwerkzeugs ("RUNTreiber", S. 303ff.) operationalisiert.
 Zwar räumt der Autor abschließend ein, daß der "Beitrag von RUN zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung .... aufgrund der geringen Anzahl direkt zurechenbare(r) betriebliche(r) Maßnahmen nicht direkt ermittelt werden" (S. 302f.) kann; dennoch sieht er eine nicht zu unterschätzende Wirkung, die durch die Bewußtseinsbildung innerhalb (und außerhalb) der Netzwerke in Gang gesetzt wurde. Diese war und ist vielfach Wegbereiter für umweltschutzbezogene Innovationsprozesse in den Unternehmen. Hieraus leitet sich die in Kap. 8 diskutierte regionalpolitische Relevanz der RUN ab, deren Arbeit durch gezielte Förderungsmaßnahmen unterstützt werden sollte, die aber gleichwohl nicht "durch eine ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik [...] erzwungen werden" (S. 322) kann.
 Die Stärke der Arbeit liegt einerseits in der Darstellung und Verknüpfung wesentlicher konzeptioneller Ansätze und deren Übertragung auf den Untersuchungsgegenstand, andererseits in der analytischen Klarheit der Fallstudie und der Kreativität im Umgang mit den empirischen Befunden. Letztere zeichnet sich durch eine überaus besonnene und praxisnahe Interpretation aus, die sich auch nicht scheut, grundlegende Postulate der Arbeit zu relativieren (s.o.). Auch gelingt die Verzahnung zwischen theoretisch-konzeptionellen Vorüberlegungen und deren Operationalisierung in der Untersuchung, wenngleich nur punktuell auf die Vielzahl der Netzwerkkonzepte zurückgegriffen wird. Die Arbeit leistet sowohl einen aktuellen Beitrag zur wirtschaftsgeographischen Beschäftigung mit Netzwerkansätzen und deren regionalpolitischen Potentialen, bietet aber gleichzeitig auch einen Einblick in unternehmerische Verhaltensanpassungen im Zusammenhang mit ökologischen Nachhaltigkeitsstrategien - ein nicht nur von der Wirtschaftsgeographie vernachlässigtes Feld.
Autor: Christian Schulz  

Quelle: Geographische Zeitschrift, 90. Jahrgang, 2002, Heft 3 u. 4, Seite 245-247